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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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ziehend, nach rechts und links mit einem salbungsvollen: Guten Abend! grüßte.
Jetzt wandte sich das Gespräch, wie überall wo hier ein Reisender einkehrt, auf
das Treiben in der Welt draußen, und ich mußte auskramen, was ich wußte.
"Nur Geduld," sagte der Geistliche zuletzt; "der liebe Gott wird schon helfen!"
Es versteht sich, daß "des Herrn Pfarrer sein Gott" ein entschiedener Reactionär
war, und so fuhr er denn fort: "Unlängst bin ich in Gastein oben gewesen, da
war unser Erzherzog aus Frankfurt mit andern vornehmen Herren und er hat
das Versprechen gegeben -- ich Hab's selber mit angehört -- daß in zwei Mo¬
naten mit Gottes Hilfe Alles beim Alten sein soll. Nun, in zwei Monat ist viel
gesagt, es wird wohl etwas länger dauern. Man muß es damit so genau nit
nehmen, denn wir wissen schon, unser Erzherzog möcht einen Jeden immer ganz
glücklich machen und verspricht aus purer Güte gern ein bischen zu rasch. Anno
50 kann's schon sein und da wollen wir unserem Herrgott danken!"

Alles beim Alten! Das hatte Erzherzog Johann gewiß uicht gesagt, aber
so allgemein und nebelhaft Pflegen die Worte volksfreundlicher Großen zu sein,
daß sie in Jedermanns Ohr anders klingen. Und zu den sogenannten Großen
der Erde muß Johann gerechnet werden, obwohl er seine bürgerlich geborne Frau
bei jeder Gelegenheit "sein Liebstes" nannte und sich gern im schlichten Frack auf
den Straßen Frankfurts zeigte. Daß auch Kaiser Franz sich gern zum Volk her¬
abließ , ohne mit seinem leutseligen Händedruck es aufzurichten, bedachte der deutsche
Philister nicht; er hielt den Erzherzog für einen einfachen Bürger und dieser ließ
sich dafür halten. Ich mag der Aufrichtigkeit Johann's uicht nahe treten und bin
überzeugt, daß er Niemand mehr täuschte als sich selbst. Wo der Streit zwischen
alter und neuer Zeit ihm ausgesprochen und gerüstet entgegentrat, schrack er bald
zurück; so vor der Vermittlerrolle zwischen Ungarn und Oestreich, die er nach
einem ohnmächtigen Anlauf fallen ließ. Ob ihn diese Erinnerung uicht störte, als
thu zum zweiten Mal der Frankfurter Jubel empfing? Er wollte Fürsten und
Völkern zugleich dienen, aber dazu muß man beiden gleich imponiren können. Das
konnte Johann nicht, denn er brachte keinen greifbaren Gedanken nach Deutsch¬
land, er wußte keinen Weg ans dem Labyrinth der Revolution zu einem lohnen¬
den Ziele, noch hatte er den Muth, den Ersten der Nation auf ihrem Wege zu
folgen; er hatte Nichts als ein freundliches Ja! zu deu verschiedenartigsten Illu¬
sionen, welche die Flitterwochen der Volkssouveränität erzeugte, Nichts als einige
Jodelsprüche altöstreichischer Gemüthlichkeit. Damit löst man keine modernen
Dissonanzen. Wie der Jodelton Lust oder Pein, Uebermuth oder Verzweif¬
lung ausdrücken kenn, so greiser Fürst, haben Deine Versprechungen Jedem An¬
deres bedeutet; dem einfältigen Landpfarrer: Alles beim Alten; dem Frankfurter
Patnoten: Einheit und Freiheit; den Mitgliedern der Jnterimscommission, und
denen sagtest Du es neulich mit dürren Worten: daß ewig fortbestehen müsse, was
von Alters her durch "Recht und Gesetz geheiligt ist!" Keinem Fürsteuvorrecht


ziehend, nach rechts und links mit einem salbungsvollen: Guten Abend! grüßte.
Jetzt wandte sich das Gespräch, wie überall wo hier ein Reisender einkehrt, auf
das Treiben in der Welt draußen, und ich mußte auskramen, was ich wußte.
„Nur Geduld," sagte der Geistliche zuletzt; „der liebe Gott wird schon helfen!"
Es versteht sich, daß „des Herrn Pfarrer sein Gott" ein entschiedener Reactionär
war, und so fuhr er denn fort: „Unlängst bin ich in Gastein oben gewesen, da
war unser Erzherzog aus Frankfurt mit andern vornehmen Herren und er hat
das Versprechen gegeben — ich Hab's selber mit angehört — daß in zwei Mo¬
naten mit Gottes Hilfe Alles beim Alten sein soll. Nun, in zwei Monat ist viel
gesagt, es wird wohl etwas länger dauern. Man muß es damit so genau nit
nehmen, denn wir wissen schon, unser Erzherzog möcht einen Jeden immer ganz
glücklich machen und verspricht aus purer Güte gern ein bischen zu rasch. Anno
50 kann's schon sein und da wollen wir unserem Herrgott danken!"

Alles beim Alten! Das hatte Erzherzog Johann gewiß uicht gesagt, aber
so allgemein und nebelhaft Pflegen die Worte volksfreundlicher Großen zu sein,
daß sie in Jedermanns Ohr anders klingen. Und zu den sogenannten Großen
der Erde muß Johann gerechnet werden, obwohl er seine bürgerlich geborne Frau
bei jeder Gelegenheit „sein Liebstes" nannte und sich gern im schlichten Frack auf
den Straßen Frankfurts zeigte. Daß auch Kaiser Franz sich gern zum Volk her¬
abließ , ohne mit seinem leutseligen Händedruck es aufzurichten, bedachte der deutsche
Philister nicht; er hielt den Erzherzog für einen einfachen Bürger und dieser ließ
sich dafür halten. Ich mag der Aufrichtigkeit Johann's uicht nahe treten und bin
überzeugt, daß er Niemand mehr täuschte als sich selbst. Wo der Streit zwischen
alter und neuer Zeit ihm ausgesprochen und gerüstet entgegentrat, schrack er bald
zurück; so vor der Vermittlerrolle zwischen Ungarn und Oestreich, die er nach
einem ohnmächtigen Anlauf fallen ließ. Ob ihn diese Erinnerung uicht störte, als
thu zum zweiten Mal der Frankfurter Jubel empfing? Er wollte Fürsten und
Völkern zugleich dienen, aber dazu muß man beiden gleich imponiren können. Das
konnte Johann nicht, denn er brachte keinen greifbaren Gedanken nach Deutsch¬
land, er wußte keinen Weg ans dem Labyrinth der Revolution zu einem lohnen¬
den Ziele, noch hatte er den Muth, den Ersten der Nation auf ihrem Wege zu
folgen; er hatte Nichts als ein freundliches Ja! zu deu verschiedenartigsten Illu¬
sionen, welche die Flitterwochen der Volkssouveränität erzeugte, Nichts als einige
Jodelsprüche altöstreichischer Gemüthlichkeit. Damit löst man keine modernen
Dissonanzen. Wie der Jodelton Lust oder Pein, Uebermuth oder Verzweif¬
lung ausdrücken kenn, so greiser Fürst, haben Deine Versprechungen Jedem An¬
deres bedeutet; dem einfältigen Landpfarrer: Alles beim Alten; dem Frankfurter
Patnoten: Einheit und Freiheit; den Mitgliedern der Jnterimscommission, und
denen sagtest Du es neulich mit dürren Worten: daß ewig fortbestehen müsse, was
von Alters her durch „Recht und Gesetz geheiligt ist!" Keinem Fürsteuvorrecht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/116>, abgerufen am 27.06.2024.