Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Besonders feierlich wissen die Geistlichen sich beim Hausgebet zu benehmen.
Im Gasteiner Thal saß ich eines Abends in der dämmrigen Wirthsstube eines
kleinen Dorfes und wartete auf mein Diner; es sollte in"Böckenem" (Bockfleisch)
bestehen, welches trotz seines zudringlichen Geruchs in diesen Gegenden für einen
Sonntagsbraten gilt. Das enge Thal, welches, zwei gute Tagereisen lang, bis
über Bad Gastein zu dem Naßseld, 5000 Fuß über der Meeresfläche, hinaufführt,
ist ebeu so arm wie schön. Die gelbe Aehre erscheint hier nnr wie das Mädchen
aus der Fremde in kleinen, besonders gesegneten Winkeln, und aus den Aepseln,
die im vorigen Herbst dort gereist sein mögen, könnte man wohl keinen Viertel¬
eimer Aepfelwein pressen; Alpenweide, Holz und Vogelbeeren machen den ganzen
Reichthum dieses Paradieses aus. Für das Auge aber schmückt es sich mit diesen
geringen Mitteln harmonisch genug. Herrlich prangen die dichten Kronen der ro¬
then Vogelbeerbäume, bald in den blauen Himmel tauchend, bald ans dem düstern
Grün der F^hreuwaldnng, aus dem heitere" Grün des saftigen Wiesengrundcs
hervorguckend oder den schneebedeckten Bergkämmen in's frostige Antlitz lachend.
Und es ist ein Genuß für Leib und Seele zugleich, früh am Herbstmorgen aus¬
wandernd, sich in der reinen Luft zu baden, die vom Heuduft leicht gewürzt ist,
wenn von den hohen, einsamen Almen dann und wann einzelne Jodeltöne bis
herunter fallen, leise, wie der Klang einer fernen Windharfe oder ore das Zwit¬
schern einer wolkennahen Lerche, und wenn die Ache in ihrem stürmischen Rauschen
über die endlosen Wehren ihres Felsenbettes dnrch keinen andern Laut gestört wird.
Wie um Ischl das gelobte Land der Seen, so ist hier das der Wasser- und
Schleierfälle. Die unbedeutendsten Bächlein führen die wunderbarsten und wag¬
halsigsten Stücklein aus. So ist's in der ganzen Welt. Niagara und Schaffhau-
sen sind nur einmal vorhanden, denn von erwachsenen Flüssen kann man nicht
verlangen, daß sie noch kecke Sprünge machen, während die schlanke Bergquclle
ohne Bedenken von schwindelnd hohen Felswänden senkrecht niederschwebt. Die
volleren Bäche bei Gotting, Leut und Gastein fallen weder so hoch, noch so ans
dem Stegreif; sie donnern in mehreren Sprüngen über eine drei- bis vierstufige
Felstreppe nieder.

Also ich wartete in der Dämmerung auf mein Böckencs, welches mir später
über einer glühenden Kohlenpfanne aufgetischt ward, und hörte zu, wie die Wir¬
thin mit einem schwarzen Mann plauderte, der nach seiner Tracht ein Geistlicher,
nach seinen Aeußerungen ein Hirt oder Viehhändler schien, denn er sprach fast
nur von dem Preis, zu dem er einige Kühe und Ochsen erhandelt hatte und die
er wieder losschlagen wollte. Endlich brachte man Licht. Der Geistliche zog
augenblicklich sein Sammtkäppchen vom Scheitel, als neigte er sich wie ein Parse
vor dem heiligen Schein der Pfennigkerze, verbarg sein Gesicht in beide Hände
und betete lang und leise. Alles rings um den Tisch folgte seinem Beispiel und
Niemand wagte aufzublicken, bis er Amen! seufzte und, die Hände vom Antlitz


14*

Besonders feierlich wissen die Geistlichen sich beim Hausgebet zu benehmen.
Im Gasteiner Thal saß ich eines Abends in der dämmrigen Wirthsstube eines
kleinen Dorfes und wartete auf mein Diner; es sollte in„Böckenem" (Bockfleisch)
bestehen, welches trotz seines zudringlichen Geruchs in diesen Gegenden für einen
Sonntagsbraten gilt. Das enge Thal, welches, zwei gute Tagereisen lang, bis
über Bad Gastein zu dem Naßseld, 5000 Fuß über der Meeresfläche, hinaufführt,
ist ebeu so arm wie schön. Die gelbe Aehre erscheint hier nnr wie das Mädchen
aus der Fremde in kleinen, besonders gesegneten Winkeln, und aus den Aepseln,
die im vorigen Herbst dort gereist sein mögen, könnte man wohl keinen Viertel¬
eimer Aepfelwein pressen; Alpenweide, Holz und Vogelbeeren machen den ganzen
Reichthum dieses Paradieses aus. Für das Auge aber schmückt es sich mit diesen
geringen Mitteln harmonisch genug. Herrlich prangen die dichten Kronen der ro¬
then Vogelbeerbäume, bald in den blauen Himmel tauchend, bald ans dem düstern
Grün der F^hreuwaldnng, aus dem heitere» Grün des saftigen Wiesengrundcs
hervorguckend oder den schneebedeckten Bergkämmen in's frostige Antlitz lachend.
Und es ist ein Genuß für Leib und Seele zugleich, früh am Herbstmorgen aus¬
wandernd, sich in der reinen Luft zu baden, die vom Heuduft leicht gewürzt ist,
wenn von den hohen, einsamen Almen dann und wann einzelne Jodeltöne bis
herunter fallen, leise, wie der Klang einer fernen Windharfe oder ore das Zwit¬
schern einer wolkennahen Lerche, und wenn die Ache in ihrem stürmischen Rauschen
über die endlosen Wehren ihres Felsenbettes dnrch keinen andern Laut gestört wird.
Wie um Ischl das gelobte Land der Seen, so ist hier das der Wasser- und
Schleierfälle. Die unbedeutendsten Bächlein führen die wunderbarsten und wag¬
halsigsten Stücklein aus. So ist's in der ganzen Welt. Niagara und Schaffhau-
sen sind nur einmal vorhanden, denn von erwachsenen Flüssen kann man nicht
verlangen, daß sie noch kecke Sprünge machen, während die schlanke Bergquclle
ohne Bedenken von schwindelnd hohen Felswänden senkrecht niederschwebt. Die
volleren Bäche bei Gotting, Leut und Gastein fallen weder so hoch, noch so ans
dem Stegreif; sie donnern in mehreren Sprüngen über eine drei- bis vierstufige
Felstreppe nieder.

Also ich wartete in der Dämmerung auf mein Böckencs, welches mir später
über einer glühenden Kohlenpfanne aufgetischt ward, und hörte zu, wie die Wir¬
thin mit einem schwarzen Mann plauderte, der nach seiner Tracht ein Geistlicher,
nach seinen Aeußerungen ein Hirt oder Viehhändler schien, denn er sprach fast
nur von dem Preis, zu dem er einige Kühe und Ochsen erhandelt hatte und die
er wieder losschlagen wollte. Endlich brachte man Licht. Der Geistliche zog
augenblicklich sein Sammtkäppchen vom Scheitel, als neigte er sich wie ein Parse
vor dem heiligen Schein der Pfennigkerze, verbarg sein Gesicht in beide Hände
und betete lang und leise. Alles rings um den Tisch folgte seinem Beispiel und
Niemand wagte aufzublicken, bis er Amen! seufzte und, die Hände vom Antlitz


14*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0115" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92938"/>
            <p xml:id="ID_370"> Besonders feierlich wissen die Geistlichen sich beim Hausgebet zu benehmen.<lb/>
Im Gasteiner Thal saß ich eines Abends in der dämmrigen Wirthsstube eines<lb/>
kleinen Dorfes und wartete auf mein Diner; es sollte in&#x201E;Böckenem" (Bockfleisch)<lb/>
bestehen, welches trotz seines zudringlichen Geruchs in diesen Gegenden für einen<lb/>
Sonntagsbraten gilt. Das enge Thal, welches, zwei gute Tagereisen lang, bis<lb/>
über Bad Gastein zu dem Naßseld, 5000 Fuß über der Meeresfläche, hinaufführt,<lb/>
ist ebeu so arm wie schön. Die gelbe Aehre erscheint hier nnr wie das Mädchen<lb/>
aus der Fremde in kleinen, besonders gesegneten Winkeln, und aus den Aepseln,<lb/>
die im vorigen Herbst dort gereist sein mögen, könnte man wohl keinen Viertel¬<lb/>
eimer Aepfelwein pressen; Alpenweide, Holz und Vogelbeeren machen den ganzen<lb/>
Reichthum dieses Paradieses aus. Für das Auge aber schmückt es sich mit diesen<lb/>
geringen Mitteln harmonisch genug. Herrlich prangen die dichten Kronen der ro¬<lb/>
then Vogelbeerbäume, bald in den blauen Himmel tauchend, bald ans dem düstern<lb/>
Grün der F^hreuwaldnng, aus dem heitere» Grün des saftigen Wiesengrundcs<lb/>
hervorguckend oder den schneebedeckten Bergkämmen in's frostige Antlitz lachend.<lb/>
Und es ist ein Genuß für Leib und Seele zugleich, früh am Herbstmorgen aus¬<lb/>
wandernd, sich in der reinen Luft zu baden, die vom Heuduft leicht gewürzt ist,<lb/>
wenn von den hohen, einsamen Almen dann und wann einzelne Jodeltöne bis<lb/>
herunter fallen, leise, wie der Klang einer fernen Windharfe oder ore das Zwit¬<lb/>
schern einer wolkennahen Lerche, und wenn die Ache in ihrem stürmischen Rauschen<lb/>
über die endlosen Wehren ihres Felsenbettes dnrch keinen andern Laut gestört wird.<lb/>
Wie um Ischl das gelobte Land der Seen, so ist hier das der Wasser- und<lb/>
Schleierfälle. Die unbedeutendsten Bächlein führen die wunderbarsten und wag¬<lb/>
halsigsten Stücklein aus. So ist's in der ganzen Welt. Niagara und Schaffhau-<lb/>
sen sind nur einmal vorhanden, denn von erwachsenen Flüssen kann man nicht<lb/>
verlangen, daß sie noch kecke Sprünge machen, während die schlanke Bergquclle<lb/>
ohne Bedenken von schwindelnd hohen Felswänden senkrecht niederschwebt. Die<lb/>
volleren Bäche bei Gotting, Leut und Gastein fallen weder so hoch, noch so ans<lb/>
dem Stegreif; sie donnern in mehreren Sprüngen über eine drei- bis vierstufige<lb/>
Felstreppe nieder.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_371" next="#ID_372"> Also ich wartete in der Dämmerung auf mein Böckencs, welches mir später<lb/>
über einer glühenden Kohlenpfanne aufgetischt ward, und hörte zu, wie die Wir¬<lb/>
thin mit einem schwarzen Mann plauderte, der nach seiner Tracht ein Geistlicher,<lb/>
nach seinen Aeußerungen ein Hirt oder Viehhändler schien, denn er sprach fast<lb/>
nur von dem Preis, zu dem er einige Kühe und Ochsen erhandelt hatte und die<lb/>
er wieder losschlagen wollte. Endlich brachte man Licht. Der Geistliche zog<lb/>
augenblicklich sein Sammtkäppchen vom Scheitel, als neigte er sich wie ein Parse<lb/>
vor dem heiligen Schein der Pfennigkerze, verbarg sein Gesicht in beide Hände<lb/>
und betete lang und leise. Alles rings um den Tisch folgte seinem Beispiel und<lb/>
Niemand wagte aufzublicken, bis er Amen! seufzte und, die Hände vom Antlitz</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 14*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0115] Besonders feierlich wissen die Geistlichen sich beim Hausgebet zu benehmen. Im Gasteiner Thal saß ich eines Abends in der dämmrigen Wirthsstube eines kleinen Dorfes und wartete auf mein Diner; es sollte in„Böckenem" (Bockfleisch) bestehen, welches trotz seines zudringlichen Geruchs in diesen Gegenden für einen Sonntagsbraten gilt. Das enge Thal, welches, zwei gute Tagereisen lang, bis über Bad Gastein zu dem Naßseld, 5000 Fuß über der Meeresfläche, hinaufführt, ist ebeu so arm wie schön. Die gelbe Aehre erscheint hier nnr wie das Mädchen aus der Fremde in kleinen, besonders gesegneten Winkeln, und aus den Aepseln, die im vorigen Herbst dort gereist sein mögen, könnte man wohl keinen Viertel¬ eimer Aepfelwein pressen; Alpenweide, Holz und Vogelbeeren machen den ganzen Reichthum dieses Paradieses aus. Für das Auge aber schmückt es sich mit diesen geringen Mitteln harmonisch genug. Herrlich prangen die dichten Kronen der ro¬ then Vogelbeerbäume, bald in den blauen Himmel tauchend, bald ans dem düstern Grün der F^hreuwaldnng, aus dem heitere» Grün des saftigen Wiesengrundcs hervorguckend oder den schneebedeckten Bergkämmen in's frostige Antlitz lachend. Und es ist ein Genuß für Leib und Seele zugleich, früh am Herbstmorgen aus¬ wandernd, sich in der reinen Luft zu baden, die vom Heuduft leicht gewürzt ist, wenn von den hohen, einsamen Almen dann und wann einzelne Jodeltöne bis herunter fallen, leise, wie der Klang einer fernen Windharfe oder ore das Zwit¬ schern einer wolkennahen Lerche, und wenn die Ache in ihrem stürmischen Rauschen über die endlosen Wehren ihres Felsenbettes dnrch keinen andern Laut gestört wird. Wie um Ischl das gelobte Land der Seen, so ist hier das der Wasser- und Schleierfälle. Die unbedeutendsten Bächlein führen die wunderbarsten und wag¬ halsigsten Stücklein aus. So ist's in der ganzen Welt. Niagara und Schaffhau- sen sind nur einmal vorhanden, denn von erwachsenen Flüssen kann man nicht verlangen, daß sie noch kecke Sprünge machen, während die schlanke Bergquclle ohne Bedenken von schwindelnd hohen Felswänden senkrecht niederschwebt. Die volleren Bäche bei Gotting, Leut und Gastein fallen weder so hoch, noch so ans dem Stegreif; sie donnern in mehreren Sprüngen über eine drei- bis vierstufige Felstreppe nieder. Also ich wartete in der Dämmerung auf mein Böckencs, welches mir später über einer glühenden Kohlenpfanne aufgetischt ward, und hörte zu, wie die Wir¬ thin mit einem schwarzen Mann plauderte, der nach seiner Tracht ein Geistlicher, nach seinen Aeußerungen ein Hirt oder Viehhändler schien, denn er sprach fast nur von dem Preis, zu dem er einige Kühe und Ochsen erhandelt hatte und die er wieder losschlagen wollte. Endlich brachte man Licht. Der Geistliche zog augenblicklich sein Sammtkäppchen vom Scheitel, als neigte er sich wie ein Parse vor dem heiligen Schein der Pfennigkerze, verbarg sein Gesicht in beide Hände und betete lang und leise. Alles rings um den Tisch folgte seinem Beispiel und Niemand wagte aufzublicken, bis er Amen! seufzte und, die Hände vom Antlitz 14*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/115
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/115>, abgerufen am 21.06.2024.