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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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viele andere Privatleute den ununterbrochenen Eisenbahnzügen, ohne recht zu
wissen, wohin: und, was die Verwirrung anf's Höchste steigerte, das ungarische
Papiergeld verlor in der Hauptstadt an seinem Werth, und wurde selbst im Ver¬
kehr nur von wenigen Kaufleuten und in kleineren Summen angenommen. Die
Revolution gerieth mit dem Seckel in Conflict. -- In. der Hauptstadt verbreitete
sich noch dazu das Gerücht, Görgey habe der Regierung gänzlich den Gehorsam
gekündigt, und das ministerielle Közlöny ließ über diesen höchst wichtigen Punkt
kein Sterbenswörtchen verlauten. --

In dieser allgemeinen Bestürzung konnte die offizielle Nachricht von der end¬
lichen Uebergabe Arads, und der jetzt baldigst zu hoffenden Einnahme Temesvar's
nur schwachen Trost gewähren. Zwar sah man darin eine Fügung der gütigen
Vorsehung, die in einem Momente, wo der obere Theil des Vaterlandes so hart
bedroht war, die Macht nach dem Süden erweiterte, gleichsam um für ungünstige
Eventualitäten den geschlagenen Heeren ein neues Terrain zu schaffen: aber diese
trostreichen Berechnungen wurden durch ein neues Ereigniß gestört, durch die
Eröffnung der Sitzungen der Nationalversammlung am 2. Juli in der Seminar¬
kirche in Pesth. Die Räume dieses Bethauses waren, nachdem das Redontenge-
bäude von Henzi in Schutt geschossen war, zum Sitzungssaale eingerichtet und
mit den Landesfarben geschmückt worden. Sie waren gepfropft von Menschen;
die Gemüther anf's Aeußerste gespannt: der Gouverneur erschien, auf Verlangen
des Hauses von dem Zustande des Landes zu berichten. Hätte Kossuth hier den
Muth gehabt das Verhältniß Görgey's zur Regierung in seiner nackten Wahrheit
darzustellen, oder hätte die Versammlung, die schon Alles vermuthen konnte, den
Muth gehabt, ihm diese Darstellung abzuzwingen, so mir vielleicht noch Alles zu
retten: allein der Mann, der nie den Widerstand dieser Versammlung erfahren,
konnte oder wollte nicht glauben, daß sie da helfen könne, wo seine Kraft nicht
ausreichte. Er sprach wieder nur in's Allgemeine, suchte die Gemüther zu
beruhigen, drückte aber gleich darauf die Ueberzeugung aus, er könne, wenn
das Volk ihn nicht unterstütze, das Vaterland unmöglich retten.
Dagegen machte er seinem Unmuth gegen die Pesther Lust, die auf die Nachricht
eines Verlornen Gefechts die Banknoten der Negierung nicht mehr annehmen woll¬
ten, und vertagte den Landtag bis die Negierung, die selbst vielleicht
gezwungen sein könnte, Pesth in einigen Tagen zu verlassen, Ort
und Zeit bestimmen würde, wo sich die Volksvertreter versammeln sollten u. s. w.

Welchen Eindruck diese Worte des Gouverneurs auf die gefolterten Gemüther
der Zuhörer machen mußten, ist leicht denkbar, auch die Presse, die in einer sol¬
chen Zeit Bedeutendes leisten kann, wurde, nachdem das Personal und die Druck¬
maschine des Közlöny bereits weggeschafft war und also die Regierung gar nichts
von sich hören ließ, in die peinlichste Lage versetzt. Jeder Morgen brachte neue
Schreckensnachrichten, der Tag war zu kurz, an die Gespenster, die eine Nacht


viele andere Privatleute den ununterbrochenen Eisenbahnzügen, ohne recht zu
wissen, wohin: und, was die Verwirrung anf's Höchste steigerte, das ungarische
Papiergeld verlor in der Hauptstadt an seinem Werth, und wurde selbst im Ver¬
kehr nur von wenigen Kaufleuten und in kleineren Summen angenommen. Die
Revolution gerieth mit dem Seckel in Conflict. — In. der Hauptstadt verbreitete
sich noch dazu das Gerücht, Görgey habe der Regierung gänzlich den Gehorsam
gekündigt, und das ministerielle Közlöny ließ über diesen höchst wichtigen Punkt
kein Sterbenswörtchen verlauten. —

In dieser allgemeinen Bestürzung konnte die offizielle Nachricht von der end¬
lichen Uebergabe Arads, und der jetzt baldigst zu hoffenden Einnahme Temesvar's
nur schwachen Trost gewähren. Zwar sah man darin eine Fügung der gütigen
Vorsehung, die in einem Momente, wo der obere Theil des Vaterlandes so hart
bedroht war, die Macht nach dem Süden erweiterte, gleichsam um für ungünstige
Eventualitäten den geschlagenen Heeren ein neues Terrain zu schaffen: aber diese
trostreichen Berechnungen wurden durch ein neues Ereigniß gestört, durch die
Eröffnung der Sitzungen der Nationalversammlung am 2. Juli in der Seminar¬
kirche in Pesth. Die Räume dieses Bethauses waren, nachdem das Redontenge-
bäude von Henzi in Schutt geschossen war, zum Sitzungssaale eingerichtet und
mit den Landesfarben geschmückt worden. Sie waren gepfropft von Menschen;
die Gemüther anf's Aeußerste gespannt: der Gouverneur erschien, auf Verlangen
des Hauses von dem Zustande des Landes zu berichten. Hätte Kossuth hier den
Muth gehabt das Verhältniß Görgey's zur Regierung in seiner nackten Wahrheit
darzustellen, oder hätte die Versammlung, die schon Alles vermuthen konnte, den
Muth gehabt, ihm diese Darstellung abzuzwingen, so mir vielleicht noch Alles zu
retten: allein der Mann, der nie den Widerstand dieser Versammlung erfahren,
konnte oder wollte nicht glauben, daß sie da helfen könne, wo seine Kraft nicht
ausreichte. Er sprach wieder nur in's Allgemeine, suchte die Gemüther zu
beruhigen, drückte aber gleich darauf die Ueberzeugung aus, er könne, wenn
das Volk ihn nicht unterstütze, das Vaterland unmöglich retten.
Dagegen machte er seinem Unmuth gegen die Pesther Lust, die auf die Nachricht
eines Verlornen Gefechts die Banknoten der Negierung nicht mehr annehmen woll¬
ten, und vertagte den Landtag bis die Negierung, die selbst vielleicht
gezwungen sein könnte, Pesth in einigen Tagen zu verlassen, Ort
und Zeit bestimmen würde, wo sich die Volksvertreter versammeln sollten u. s. w.

Welchen Eindruck diese Worte des Gouverneurs auf die gefolterten Gemüther
der Zuhörer machen mußten, ist leicht denkbar, auch die Presse, die in einer sol¬
chen Zeit Bedeutendes leisten kann, wurde, nachdem das Personal und die Druck¬
maschine des Közlöny bereits weggeschafft war und also die Regierung gar nichts
von sich hören ließ, in die peinlichste Lage versetzt. Jeder Morgen brachte neue
Schreckensnachrichten, der Tag war zu kurz, an die Gespenster, die eine Nacht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/109>, abgerufen am 21.06.2024.