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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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ein Feuilleton zugibt, so mag die novellistische Besprechung der Zeitereignisse,
wie sie in Gutzkow's Plan gelegen hat, noch immer die zweckmäßigste Verwerthung
desselben sein.

Allein Gutzkow hat zu dergleichen kein Geschick. Er sagt selber mit einem
gewissen Selbstgefühl, daß er sich von den französischen Feuilletonisten wesentlich
unterscheide; diesen kommt es uur darauf an, zum Schluß jedes Capitels eine
Spannung eintreten zu lassen, die das Publicum auf die Fortsetzung neugierig
macht. Zugegeben, daß das eine sehr untergeordnete Kunstform ist, so wird mau
doch nicht bestreiten, daß sie zum Wesen des Feuilleton-Romans gehört, denn
ohne sie ist es anch für den geduldigsten Leser unmöglich, die Erzählung tropfenweise
einzunehmen. Mau wird ferner uicht bestreiten wollen, daß auch zu dieser vou
der suffisance uuserer Romantiker so niedrig angeschlagenen Manier ein Talent
gehört, welches z. B. Gutzkow nicht besitzt; er ist eine viel zu subjective und
reflectirende Natur, ulu einfach, unbefangen und anschaulich erzählen zu können.

In der Beilage zur Zeitung ist es mir also unmöglich gewesen, den Roman
zu verfolgen. Wie ich glaube, wird es deu meiste" Lesern uicht besser ergangen
sein. Der Wiederabdruck desselben in einem getrennten Bande verschafft uns jetzt
eine Gelegenheit dazu.

Es geht mir ganz eigenthümlich mit Gutzkow. Für mich hat diese unermüd-
liche, ängstliche, fieberhafte Thätigkeit, die sich so herzlich danach sehnt, erwaö
recht Neues und Großes zu leisten, etwas Rührendes; bei jedem neuen Werk,
das mir vou ihm in die Hände fällt, gebe ich mir die aufrichtigste Mühe, das
Gute, Auerkeuueuöwerthe, Dauerhafte herauszufinden. Aber diese Mühe hat
denselben Erfolg, wie Gutzkow's eigue Anstrengung. Die Prätensionen, die
der Dichter macht, sind so groß, und das, was er leistet, so genug, daß die
Kritik treulos gegen ihre Aufgabe sein würde, wenn sie uicht jedesmal eine sehr
ernsthafte Zurechtweisung eintreten ließe.

In jeder neuen Phase seines Lebeus hat Gutzkow das Publicum zu überreden
gesucht, und ist vielleicht selbst davon überzeugt gewesen, daß er ihm etwas ganz
Neues, Unerhörtes, uoch nie Dagewesenes darböte. Nach der Reihe hat er
sich im vollsten Ernst für den Erfinder des socialen Romans, der Tendenz-Novelle,
des bürgerlichen Drama's gehalten. Die Weisheit unsers seligen -- oder noch
nicht seligen? -- Bundestags, der in Ermangelung einer bessern Beschäftigung
sich bemüßigt faud, mit deu Kräften des gesammten Deutschlands gegen die
Herren Gutzkow, Munde u. s. w. zu Felde zu ziehen, um das Vaterland vor
dem sicher bevorstehenden Untergang zu retten, und der elende Zustand uuserer
Journalistik, die sich damals fast ganz, und auch jetzt uoch zum Theil, in den
Händen weggelaufeuer Commis und Jünglinge von einer entsprechenden Bil¬
dung befand, die mit einigen abgelauschten philosophischen Brocken und Reminis¬
cenzen aus Heine und Börne ihre Gedankenlosigkeit anfpntzten, und die über-


ein Feuilleton zugibt, so mag die novellistische Besprechung der Zeitereignisse,
wie sie in Gutzkow's Plan gelegen hat, noch immer die zweckmäßigste Verwerthung
desselben sein.

Allein Gutzkow hat zu dergleichen kein Geschick. Er sagt selber mit einem
gewissen Selbstgefühl, daß er sich von den französischen Feuilletonisten wesentlich
unterscheide; diesen kommt es uur darauf an, zum Schluß jedes Capitels eine
Spannung eintreten zu lassen, die das Publicum auf die Fortsetzung neugierig
macht. Zugegeben, daß das eine sehr untergeordnete Kunstform ist, so wird mau
doch nicht bestreiten, daß sie zum Wesen des Feuilleton-Romans gehört, denn
ohne sie ist es anch für den geduldigsten Leser unmöglich, die Erzählung tropfenweise
einzunehmen. Mau wird ferner uicht bestreiten wollen, daß auch zu dieser vou
der suffisance uuserer Romantiker so niedrig angeschlagenen Manier ein Talent
gehört, welches z. B. Gutzkow nicht besitzt; er ist eine viel zu subjective und
reflectirende Natur, ulu einfach, unbefangen und anschaulich erzählen zu können.

In der Beilage zur Zeitung ist es mir also unmöglich gewesen, den Roman
zu verfolgen. Wie ich glaube, wird es deu meiste» Lesern uicht besser ergangen
sein. Der Wiederabdruck desselben in einem getrennten Bande verschafft uns jetzt
eine Gelegenheit dazu.

Es geht mir ganz eigenthümlich mit Gutzkow. Für mich hat diese unermüd-
liche, ängstliche, fieberhafte Thätigkeit, die sich so herzlich danach sehnt, erwaö
recht Neues und Großes zu leisten, etwas Rührendes; bei jedem neuen Werk,
das mir vou ihm in die Hände fällt, gebe ich mir die aufrichtigste Mühe, das
Gute, Auerkeuueuöwerthe, Dauerhafte herauszufinden. Aber diese Mühe hat
denselben Erfolg, wie Gutzkow's eigue Anstrengung. Die Prätensionen, die
der Dichter macht, sind so groß, und das, was er leistet, so genug, daß die
Kritik treulos gegen ihre Aufgabe sein würde, wenn sie uicht jedesmal eine sehr
ernsthafte Zurechtweisung eintreten ließe.

In jeder neuen Phase seines Lebeus hat Gutzkow das Publicum zu überreden
gesucht, und ist vielleicht selbst davon überzeugt gewesen, daß er ihm etwas ganz
Neues, Unerhörtes, uoch nie Dagewesenes darböte. Nach der Reihe hat er
sich im vollsten Ernst für den Erfinder des socialen Romans, der Tendenz-Novelle,
des bürgerlichen Drama's gehalten. Die Weisheit unsers seligen — oder noch
nicht seligen? — Bundestags, der in Ermangelung einer bessern Beschäftigung
sich bemüßigt faud, mit deu Kräften des gesammten Deutschlands gegen die
Herren Gutzkow, Munde u. s. w. zu Felde zu ziehen, um das Vaterland vor
dem sicher bevorstehenden Untergang zu retten, und der elende Zustand uuserer
Journalistik, die sich damals fast ganz, und auch jetzt uoch zum Theil, in den
Händen weggelaufeuer Commis und Jünglinge von einer entsprechenden Bil¬
dung befand, die mit einigen abgelauschten philosophischen Brocken und Reminis¬
cenzen aus Heine und Börne ihre Gedankenlosigkeit anfpntzten, und die über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/90>, abgerufen am 24.08.2024.