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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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höheres Wesen; ebenso verlangt die Entzweiung unsers Jnnern eine Ergänzung,
einen "Heiland," den wir in einem äußern Ideal suchen. Dieser "Heiland" kann
dann natürlich kein anderer sein, als jenes "höhere Wesen." Wenn die Philo---
Sophie diese Doctrin zerstört, so hebt sie also damit die Religion nicht ans --
denn die Religion ist ein Act des Gefühls.




Kleine Korrespondenzen.

Wenn man Klutschak's neuerliche Verhaftung in Prag ohne Vorwissen des Statt¬
halters, der deshalb seine Demission eingereicht haben soll, mit andern Momenten der
jüngsten Vergangenheit Zusammenhalt, so kommt man unwillkürlich zu der Frage: Be¬
finden wir uns denn in einem geordneten, civilisirten Staate? Ein solches Verfahren
führt nothwendig zu einer totalen Verwirrung der Begriffe; wer früher conservativ hieß,
ist heute Umstnrzmann -- und die Demokraten müssen unter solchen Verhältnissen un¬
bedingt Konservative werden. Ein klarer Beweis, ans welches Ziel die Reaction mit
vollen Segeln losgeht, sind die "Bekenntnisse eines alten Soldaten" -- eine Broschüre,
nur in 50 Exemplaren abgedruckt unter persönlicher Urhunde des Verfassers, der unmit¬
telbar nach dem Abzug den Sah zerbrechen und sein geniales Geistesproduct blos an
Gleichgesinnte vertheilen ließ. Es wird darin der krasseste Absolutismus gepredigt und
mit militärischer Taktik dargethan, das Heil der Welt liege einzig und allein in der
gänzlichen Ausrottung der verpestenden Freiheitsideen und in der einfachen Rückkehr zu
deu alten Zuständen. Wahrhaft komisch klingt die Argumentation, welche sich auf einen
Vergleich zwischen der Krankheit der Völker -- dafür hielt nämlich der Verf. das Stre¬
ben nach durchgreifenden Reformen -- und der Zerrüttung des menschlichen Organismus
stützen will; wie hier -- meint er -- sei auch dort Reaction der Zeitpunkt beginnender
Heilung. Einen ferneren Beleg liefert das am 13. v. M. zu Brüx in Böhmen vorge¬
fallene Bubenstück -- eine freie Uebersetzung obiger Theorie ins Praktische. Zwei Offi-
ciere äußerten nämlich in dem Apothekerladen des Herrn Diettrich daselbst ein so unge¬
zogenes Benehmen, daß sich derselbe bemüßigt fand, um mehr Anstand zu ersuchen.
Darauf gab ihm der eine davon einen Faustschlag in's Gesicht und etliche Hiebe mit
dem blanken Säbel. Der Apotheker flieht auf die Gasse und sucht den Obersten auf,
kann ihn aber nicht sprechen. Inzwischen war von dem Apothekergehülfen eine Genö-
d'armeriepatrouille herbeigeholt worden, deren Führer jedoch auf die Erklärung, er er¬
scheine im Namen des Gesetzes, von dem Officier barsch zurückgewiesen wurde; und als
derselbe im Namen Sr. Maj. des Kaisers Einlaß begehrte, herrschte ihm jener
dictatorisch entgegen, der Gcnsd'arme sei blos Corporal -- er aber Officier, und werde
es schon zu verantworten Wissen--und die Schutzwache der persönlichen Sicherheit
des konstitutionellen Staatsbürgers zog ab, weichend der Gewalt des allmächtigen Wor¬
tes. Kaum war der Apotheker wieder zurückgekehrt und eben damit beschäftigt, seine
Wunden mit nassen Tüchern zu verbinden, als die beiden Helden in das Zimmer drangen,


höheres Wesen; ebenso verlangt die Entzweiung unsers Jnnern eine Ergänzung,
einen „Heiland," den wir in einem äußern Ideal suchen. Dieser „Heiland" kann
dann natürlich kein anderer sein, als jenes „höhere Wesen." Wenn die Philo---
Sophie diese Doctrin zerstört, so hebt sie also damit die Religion nicht ans —
denn die Religion ist ein Act des Gefühls.




Kleine Korrespondenzen.

Wenn man Klutschak's neuerliche Verhaftung in Prag ohne Vorwissen des Statt¬
halters, der deshalb seine Demission eingereicht haben soll, mit andern Momenten der
jüngsten Vergangenheit Zusammenhalt, so kommt man unwillkürlich zu der Frage: Be¬
finden wir uns denn in einem geordneten, civilisirten Staate? Ein solches Verfahren
führt nothwendig zu einer totalen Verwirrung der Begriffe; wer früher conservativ hieß,
ist heute Umstnrzmann — und die Demokraten müssen unter solchen Verhältnissen un¬
bedingt Konservative werden. Ein klarer Beweis, ans welches Ziel die Reaction mit
vollen Segeln losgeht, sind die „Bekenntnisse eines alten Soldaten" — eine Broschüre,
nur in 50 Exemplaren abgedruckt unter persönlicher Urhunde des Verfassers, der unmit¬
telbar nach dem Abzug den Sah zerbrechen und sein geniales Geistesproduct blos an
Gleichgesinnte vertheilen ließ. Es wird darin der krasseste Absolutismus gepredigt und
mit militärischer Taktik dargethan, das Heil der Welt liege einzig und allein in der
gänzlichen Ausrottung der verpestenden Freiheitsideen und in der einfachen Rückkehr zu
deu alten Zuständen. Wahrhaft komisch klingt die Argumentation, welche sich auf einen
Vergleich zwischen der Krankheit der Völker — dafür hielt nämlich der Verf. das Stre¬
ben nach durchgreifenden Reformen — und der Zerrüttung des menschlichen Organismus
stützen will; wie hier — meint er — sei auch dort Reaction der Zeitpunkt beginnender
Heilung. Einen ferneren Beleg liefert das am 13. v. M. zu Brüx in Böhmen vorge¬
fallene Bubenstück — eine freie Uebersetzung obiger Theorie ins Praktische. Zwei Offi-
ciere äußerten nämlich in dem Apothekerladen des Herrn Diettrich daselbst ein so unge¬
zogenes Benehmen, daß sich derselbe bemüßigt fand, um mehr Anstand zu ersuchen.
Darauf gab ihm der eine davon einen Faustschlag in's Gesicht und etliche Hiebe mit
dem blanken Säbel. Der Apotheker flieht auf die Gasse und sucht den Obersten auf,
kann ihn aber nicht sprechen. Inzwischen war von dem Apothekergehülfen eine Genö-
d'armeriepatrouille herbeigeholt worden, deren Führer jedoch auf die Erklärung, er er¬
scheine im Namen des Gesetzes, von dem Officier barsch zurückgewiesen wurde; und als
derselbe im Namen Sr. Maj. des Kaisers Einlaß begehrte, herrschte ihm jener
dictatorisch entgegen, der Gcnsd'arme sei blos Corporal — er aber Officier, und werde
es schon zu verantworten Wissen--und die Schutzwache der persönlichen Sicherheit
des konstitutionellen Staatsbürgers zog ab, weichend der Gewalt des allmächtigen Wor¬
tes. Kaum war der Apotheker wieder zurückgekehrt und eben damit beschäftigt, seine
Wunden mit nassen Tüchern zu verbinden, als die beiden Helden in das Zimmer drangen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/84>, abgerufen am 24.08.2024.