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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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ohne wissenschaftlichen Zweck und ohne künstlerische Form. Die schöne Seele fühlte
sich schon dnrch ihr Dasein berechtigt. Jene Zeit, in der Schleiermacher seine
Monologen, seine Reden über Religion, seine Weihnachtöfrenden schrieb, Jacobi
seine verschiedenen Betrachtungen, Wackenroder seine Herzensergießungen, Jean
Paul die Extrablätter, Goethe die Bekenntnisse einer Schollen Seele, Novalis und
die Schlegel ihre Aphorismen, Fichte die Anweisung zum seligen Leben u. s. w.,
die schreibenden Damen nicht zu rechnen. DaS eben emancipirte Gefühl glaubte
uicht breit genug ausströmen zu können.

Diese Zeit scheint wiedergekommen zu sein. Aufs Neue werden wir von
einem Strom der Empfindung heimgesucht, der zu breit und zu unruhig fließt,
um sich in das enge Bette der Kunst oder der Wissenschaft eindämmen zu lassen.
Auf diese Weise kommt die Religion zu einer neuen Stellung. Sie wird wieder
dem grübelnden Denken entzogen und in'ö Herz gelegt.

Die angeführten Schriften steheu alle in einem nähern oder entferntern Ver¬
hältniß zu dieser neuen Stellung der Religion. Sie sind alle im Interesse einer
aufgeklärten Religiosität geschrieben, welche die Mystik und Ekstase eiuer trüben
Schwärmerei ebenso zu vermeiden strebt, als die Nüchternheit eitles einseitig licht¬
freundlichen Denkens. Der Zweck der Erbauung -- wenn auch uicht in dem
gewöhnlichen theologischen Sinn, drängt entschieden die sonstigen wissenschaftlichen
und künstlerischen Bestrebungen in den Hintergrund. --

Nur uneigentlich gehört das Buch von F. Nork in diese Reihe. Wir können
in dem Augenblick nur eine vorläufige Anzeige geben, da uns bis jetzt die unab-
sehbare Masse voll ebräischen, indischen ze. Citaten zu sehr verwirrt, die Allgemein¬
heit des Resultats -- die Auflösung aller möglichen Sagen und Geschichten in
astronomische Symbole -- zu sehr überrascht, um auch uur vom Standpunkt
eiues Laien eine einigermaßen lillbefaugene Allsicht zu gewinnen. -- Wir müssen
daher für jetzt unsere Kritik ganz allgemein halten. -- In jeder Religion findet
sich neben dem ethischen, menschlichen, oder specifisch geistigen Moment (des Aus¬
drucks der Volksindividualitäten in deu Eigenschaften ihrer Götter und deu Ge-
schichten, die sie vou ihnen erzählen) auch ein uaturalistischeö: eine Beziehung ans
wiederkehrende Ereignisse der Natur, namentlich des Hiiunlels, lllld deren Gesetz
in Festen, hieroglyphischen Bildern u. tgi. Beide Momente gehen im Cultus, den
Dogmen und der Mythologie zuweilen neben einander, so daß die Kritik sie dentlich
von einander unterscheiden kam; zuweilen, vernlischell sie sich in unklaren Vor-
stellungen, indem entweder in eine Mythe voll ursprünglich ethischem Gehalt eine
astronomische Vorstellung eingeschwärzt wird oder umgekehrt: das Letztere häufiger;
deun die auf die Naturerscheinungen sich beziehenden Hieroglyphen bleiben ein Ge¬
heimniß der Wissenden, währeud das Volk und seine Dichter, denen diese Beziehung
fremd ist, sie sich menschlich zurecht zu legen suchen. Es ist ferner leicht begreiflich,
daß gerade dieses Moment, weil es all fertige Formeln gebunden und ohne Tra-


ohne wissenschaftlichen Zweck und ohne künstlerische Form. Die schöne Seele fühlte
sich schon dnrch ihr Dasein berechtigt. Jene Zeit, in der Schleiermacher seine
Monologen, seine Reden über Religion, seine Weihnachtöfrenden schrieb, Jacobi
seine verschiedenen Betrachtungen, Wackenroder seine Herzensergießungen, Jean
Paul die Extrablätter, Goethe die Bekenntnisse einer Schollen Seele, Novalis und
die Schlegel ihre Aphorismen, Fichte die Anweisung zum seligen Leben u. s. w.,
die schreibenden Damen nicht zu rechnen. DaS eben emancipirte Gefühl glaubte
uicht breit genug ausströmen zu können.

Diese Zeit scheint wiedergekommen zu sein. Aufs Neue werden wir von
einem Strom der Empfindung heimgesucht, der zu breit und zu unruhig fließt,
um sich in das enge Bette der Kunst oder der Wissenschaft eindämmen zu lassen.
Auf diese Weise kommt die Religion zu einer neuen Stellung. Sie wird wieder
dem grübelnden Denken entzogen und in'ö Herz gelegt.

Die angeführten Schriften steheu alle in einem nähern oder entferntern Ver¬
hältniß zu dieser neuen Stellung der Religion. Sie sind alle im Interesse einer
aufgeklärten Religiosität geschrieben, welche die Mystik und Ekstase eiuer trüben
Schwärmerei ebenso zu vermeiden strebt, als die Nüchternheit eitles einseitig licht¬
freundlichen Denkens. Der Zweck der Erbauung — wenn auch uicht in dem
gewöhnlichen theologischen Sinn, drängt entschieden die sonstigen wissenschaftlichen
und künstlerischen Bestrebungen in den Hintergrund. —

Nur uneigentlich gehört das Buch von F. Nork in diese Reihe. Wir können
in dem Augenblick nur eine vorläufige Anzeige geben, da uns bis jetzt die unab-
sehbare Masse voll ebräischen, indischen ze. Citaten zu sehr verwirrt, die Allgemein¬
heit des Resultats — die Auflösung aller möglichen Sagen und Geschichten in
astronomische Symbole — zu sehr überrascht, um auch uur vom Standpunkt
eiues Laien eine einigermaßen lillbefaugene Allsicht zu gewinnen. — Wir müssen
daher für jetzt unsere Kritik ganz allgemein halten. — In jeder Religion findet
sich neben dem ethischen, menschlichen, oder specifisch geistigen Moment (des Aus¬
drucks der Volksindividualitäten in deu Eigenschaften ihrer Götter und deu Ge-
schichten, die sie vou ihnen erzählen) auch ein uaturalistischeö: eine Beziehung ans
wiederkehrende Ereignisse der Natur, namentlich des Hiiunlels, lllld deren Gesetz
in Festen, hieroglyphischen Bildern u. tgi. Beide Momente gehen im Cultus, den
Dogmen und der Mythologie zuweilen neben einander, so daß die Kritik sie dentlich
von einander unterscheiden kam; zuweilen, vernlischell sie sich in unklaren Vor-
stellungen, indem entweder in eine Mythe voll ursprünglich ethischem Gehalt eine
astronomische Vorstellung eingeschwärzt wird oder umgekehrt: das Letztere häufiger;
deun die auf die Naturerscheinungen sich beziehenden Hieroglyphen bleiben ein Ge¬
heimniß der Wissenden, währeud das Volk und seine Dichter, denen diese Beziehung
fremd ist, sie sich menschlich zurecht zu legen suchen. Es ist ferner leicht begreiflich,
daß gerade dieses Moment, weil es all fertige Formeln gebunden und ohne Tra-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/80>, abgerufen am 24.08.2024.