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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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gänzlich aufgehoben ist, daß man sich aber im ersten Aufgebot durch Männer des
zweiten Aufgebots kaun vertreten lassen.

Einen sehr erfreulichen Fortschritt bekundet im Militänvcseu das Gesetz über
öffentliche Abhaltung der Stand- und Kriegsgerichte, desgleichen die
Abschaffung der körperlichen Züchtigung, des scharfen Arrests und
der Lattenstrafe und deren Ersatz durch Strafabtheiluugeu und Dunkel.-Arrest.
Die Umbildung der Strafjustiz nach früheren westphälischen und jetzigem
rheinländischen Muster ist mit überraschender Schnelligkeit, aber ans einem allzu
kostspieligen Fuße vor sich gegangen. Manche unnöthige Weitläufigkeit muß ab¬
geschnitten und viel erspart werdeu, namentlich durch Erweiterung der Competenz
der Unter- und Obergerichte und möglichste Beseitigung der vielen kostspieligen
Reisen des höhern Nichterpersonals. -- Eine neue Organisation der Ver¬
waltung war zwar in den Proclamationen vom 7. und 11. März nicht verheißen,
wurde aber, zusammengreifend mit dem in der Verfassung längst verheißenen Be-
zirk'Srathsiustitute und mit der neuen Gerichtsorganisation, für zweckmäßig erachtet.
Die neue Bezirkseintheilung schließt sich mit Ausnahme der neuhessischen Gebiete
den althessischem Landschaften oder Strombezirken, den Bezirksbehörden im Allge¬
meinen der frühern westphälischen Organisation an. Die Einrichtung ist noch zit
neu, als daß man schon ein endgültiges Urtheil darüber abgeben könnte. Der in
den "Motiven" angesprochene Gruudgedaut'e, eine wahrhaft volksthümliche und
möglichst vereinfachte Verwaltung zu erzielen, ist vortrefflich, scheint aber ziemlich
unvollkommen ausgeführt wordeu zu sein. Man hat formell Vieles geändert,
materiell aber das Meiste heim Alten gelassen. Behörden, Geschäfte und Kosten
sind eher vermehrt als vermindert worden. Dazu kommt der Uebelstand, daß die
Bezirkskassen Geld im Uebevflnß (zusammen an 170,000 Thaler) haben und die
Ueberschüsse auf Zinsen aufthun, während es in der Staatskasse mangelt, ohne
daß diese auch uur das Recht hat, die Überschüsse der Bezirkskasseu einzuziehen.
Auch hier müssen bedeutende Ersparnisse eintreten. Ueberhaupt scheint mir auch
uach der von B. W. Pfeiffer in Ur. 79 und 81 der K. A. Z. von 1850 und uach
der in der "Gedenkschrist" versuchten Widerlegung der Vorwurf noch nicht ganz
entkräftet, daß das März-Ministerium mit unsern Finanzen nicht behutsam und
sparsam genug umgegangen sei. -- Fiir die Ordnung der Kirchen- und Schul¬
verhältnisse blieb dem vielgeplagten Ministerium Eberhard eigentlich keine
Muße übrig. Doch wurden für Kirchen- und Schulwesen (uicht ohne manche
Personal-Mißgriffe) Commissionen niedergesetzt, die Gehalte der Volksschullehrer
mit 38000 Thaler Zuschuß aus der Staatskasse erhöht u. s. w. Durch Berufung
Z aller's nach Marburg hat Eberhard der hessischen Kirche keinen guten Dienst
geleistet; doch trifft die Verantwortung weit mehr den geistlichen Referenten in
dieser Angelegenheit, als den Minister.

Man hat dem März-Ministerium ferner vorgeworfen, daß es ohne festes


gänzlich aufgehoben ist, daß man sich aber im ersten Aufgebot durch Männer des
zweiten Aufgebots kaun vertreten lassen.

Einen sehr erfreulichen Fortschritt bekundet im Militänvcseu das Gesetz über
öffentliche Abhaltung der Stand- und Kriegsgerichte, desgleichen die
Abschaffung der körperlichen Züchtigung, des scharfen Arrests und
der Lattenstrafe und deren Ersatz durch Strafabtheiluugeu und Dunkel.-Arrest.
Die Umbildung der Strafjustiz nach früheren westphälischen und jetzigem
rheinländischen Muster ist mit überraschender Schnelligkeit, aber ans einem allzu
kostspieligen Fuße vor sich gegangen. Manche unnöthige Weitläufigkeit muß ab¬
geschnitten und viel erspart werdeu, namentlich durch Erweiterung der Competenz
der Unter- und Obergerichte und möglichste Beseitigung der vielen kostspieligen
Reisen des höhern Nichterpersonals. — Eine neue Organisation der Ver¬
waltung war zwar in den Proclamationen vom 7. und 11. März nicht verheißen,
wurde aber, zusammengreifend mit dem in der Verfassung längst verheißenen Be-
zirk'Srathsiustitute und mit der neuen Gerichtsorganisation, für zweckmäßig erachtet.
Die neue Bezirkseintheilung schließt sich mit Ausnahme der neuhessischen Gebiete
den althessischem Landschaften oder Strombezirken, den Bezirksbehörden im Allge¬
meinen der frühern westphälischen Organisation an. Die Einrichtung ist noch zit
neu, als daß man schon ein endgültiges Urtheil darüber abgeben könnte. Der in
den „Motiven" angesprochene Gruudgedaut'e, eine wahrhaft volksthümliche und
möglichst vereinfachte Verwaltung zu erzielen, ist vortrefflich, scheint aber ziemlich
unvollkommen ausgeführt wordeu zu sein. Man hat formell Vieles geändert,
materiell aber das Meiste heim Alten gelassen. Behörden, Geschäfte und Kosten
sind eher vermehrt als vermindert worden. Dazu kommt der Uebelstand, daß die
Bezirkskassen Geld im Uebevflnß (zusammen an 170,000 Thaler) haben und die
Ueberschüsse auf Zinsen aufthun, während es in der Staatskasse mangelt, ohne
daß diese auch uur das Recht hat, die Überschüsse der Bezirkskasseu einzuziehen.
Auch hier müssen bedeutende Ersparnisse eintreten. Ueberhaupt scheint mir auch
uach der von B. W. Pfeiffer in Ur. 79 und 81 der K. A. Z. von 1850 und uach
der in der „Gedenkschrist" versuchten Widerlegung der Vorwurf noch nicht ganz
entkräftet, daß das März-Ministerium mit unsern Finanzen nicht behutsam und
sparsam genug umgegangen sei. — Fiir die Ordnung der Kirchen- und Schul¬
verhältnisse blieb dem vielgeplagten Ministerium Eberhard eigentlich keine
Muße übrig. Doch wurden für Kirchen- und Schulwesen (uicht ohne manche
Personal-Mißgriffe) Commissionen niedergesetzt, die Gehalte der Volksschullehrer
mit 38000 Thaler Zuschuß aus der Staatskasse erhöht u. s. w. Durch Berufung
Z aller's nach Marburg hat Eberhard der hessischen Kirche keinen guten Dienst
geleistet; doch trifft die Verantwortung weit mehr den geistlichen Referenten in
dieser Angelegenheit, als den Minister.

Man hat dem März-Ministerium ferner vorgeworfen, daß es ohne festes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/510>, abgerufen am 22.07.2024.