Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

habe, ja es habe durch seine Gesetze das Amt der Obrigkeit völlig lahm gelegt.
Das ist eine gehässige Uebertreibung. Wahr ist, daß dnrch die eilfertige Gesetzgebung
der Demokratie mauche gefährliche Schleuse geöffnet worden ist. Dahin gehört
vor Allem das fast jeder schützenden Garantie entbehrende Preßgesetz, über
dessen heillose Früchte sich Eberhard später selbst entsetzt hat, obwohl die Gesetz¬
vorlage dein Deputirten Henkel damals noch viel zu engherzig war. Auch hat
die Staatsbehörde nach zwei mißlungenen Versuchen auf die Verfolgung der Pre߬
vergehen ganz verzichtet, wozu doch die ultraradicale Presse Veranlassung genug
darbot. Dahin gehört ferner die gesetzliche Bestimmung über Auswahl der
Geschwornen ans breitester Grundlage ohne allen Census. Die hierin liegende
Gefahr wird jedoch größtentheils dadurch beseitigt, daß die Ausstellung der Haupt-
geschworueuliste sür jeden Bezirk in die Hand des BezirköratheS gelegt ist, dessen
Wahl und Znsammensetzung genügende Garantien darbietet. Eine dritte der
Demokratie anfgethane Schleuse findet sich in der Bestimmung des Gesetzes über
Mitwirkung der Landstände bei Besetzung des O b erappellations-
qerichtes, wonach die Stäude bei ihren Vorschlägen nicht an das Urtheil des
Oberappellationsgerichts über die Befähigung der Kandidaten sollen gebunden sein.
Vergebens vindicirte B. W. Pfeiffer die Qualisicationöfeftstellung unbedingt dem
höchsten Gerichtshof selbst; vergebens sprach der Deputirte Ziegler ans Hanau,
ein Nichtjurist, das warnende Wort: "Wir suchen stets nach Garantie der Re¬
gierung gegenüber; schaffen wir sie aber auch gegen unsre eigue Unvollkommen-
heit." Vergebens vertheidigte der Landtagscommissar die Gesetzvorlage. Die
Juristen Henkel, Victor, Nebelthau gewannen die Majorität für die Ausseht, daß
in dieser Beschränkung eine "unwürdige Bevormundung" der Ständeversammlung
liege, und das Ministerium war leider schwach genug nachzugeben. Die Sache wäre
ziemlich unbedenklich geblieben, wenn wir der frühern gemäßigten Majorität in der
Kammer immer hätten versichert sein können. Aber wie, wenn nun unsre röth-
liche Linke, die in der purificirter alten Kammer (!8;>) noch gar nicht, in der
nach dem revidirten alten Wahlgesetz berufenen Kammer (seit Nov. 18-58) schon
durch 8 Stimmen, in der ersten nach dem neuen Wahlgesetz gewählten Versamm¬
lung (seit Mai 1849) dnrch 14 Stimmen, in der folgenden unter dem Eindruck
des Unmuths über Hassenpflng gewählten Kammer (Angust 1850) sogar dnrch
25 Stimmen vertreten war, -- eine dauernde Majorität gewänne: welchen Vor¬
schlägen für die Besetzung deö höchsten Gerichtshofes dürften wir dann vielleicht
entgegensehen?! Daß aber die Demokratenpartei, ungeachtet ihrer numerischen
Minorität im Volke, die Majorität in der Kammer noch öfters an sich'reiße, ist
sehr möglich, weil ihr durch Einführung der directen Wahlen ans ziemlich
breiter Grundlage im neuen Wahlgesetz abermals ein weites Feld für ihre Dema¬
gogenkünste geöffnet worden ist. Sogar B. W. Pfeiffer erwartete schon vor
Hassenpflug's Wiederkehr mit bekümmerten Herzen nur von Erfurt aus die Cor-


128"

habe, ja es habe durch seine Gesetze das Amt der Obrigkeit völlig lahm gelegt.
Das ist eine gehässige Uebertreibung. Wahr ist, daß dnrch die eilfertige Gesetzgebung
der Demokratie mauche gefährliche Schleuse geöffnet worden ist. Dahin gehört
vor Allem das fast jeder schützenden Garantie entbehrende Preßgesetz, über
dessen heillose Früchte sich Eberhard später selbst entsetzt hat, obwohl die Gesetz¬
vorlage dein Deputirten Henkel damals noch viel zu engherzig war. Auch hat
die Staatsbehörde nach zwei mißlungenen Versuchen auf die Verfolgung der Pre߬
vergehen ganz verzichtet, wozu doch die ultraradicale Presse Veranlassung genug
darbot. Dahin gehört ferner die gesetzliche Bestimmung über Auswahl der
Geschwornen ans breitester Grundlage ohne allen Census. Die hierin liegende
Gefahr wird jedoch größtentheils dadurch beseitigt, daß die Ausstellung der Haupt-
geschworueuliste sür jeden Bezirk in die Hand des BezirköratheS gelegt ist, dessen
Wahl und Znsammensetzung genügende Garantien darbietet. Eine dritte der
Demokratie anfgethane Schleuse findet sich in der Bestimmung des Gesetzes über
Mitwirkung der Landstände bei Besetzung des O b erappellations-
qerichtes, wonach die Stäude bei ihren Vorschlägen nicht an das Urtheil des
Oberappellationsgerichts über die Befähigung der Kandidaten sollen gebunden sein.
Vergebens vindicirte B. W. Pfeiffer die Qualisicationöfeftstellung unbedingt dem
höchsten Gerichtshof selbst; vergebens sprach der Deputirte Ziegler ans Hanau,
ein Nichtjurist, das warnende Wort: „Wir suchen stets nach Garantie der Re¬
gierung gegenüber; schaffen wir sie aber auch gegen unsre eigue Unvollkommen-
heit." Vergebens vertheidigte der Landtagscommissar die Gesetzvorlage. Die
Juristen Henkel, Victor, Nebelthau gewannen die Majorität für die Ausseht, daß
in dieser Beschränkung eine „unwürdige Bevormundung" der Ständeversammlung
liege, und das Ministerium war leider schwach genug nachzugeben. Die Sache wäre
ziemlich unbedenklich geblieben, wenn wir der frühern gemäßigten Majorität in der
Kammer immer hätten versichert sein können. Aber wie, wenn nun unsre röth-
liche Linke, die in der purificirter alten Kammer (!8;>) noch gar nicht, in der
nach dem revidirten alten Wahlgesetz berufenen Kammer (seit Nov. 18-58) schon
durch 8 Stimmen, in der ersten nach dem neuen Wahlgesetz gewählten Versamm¬
lung (seit Mai 1849) dnrch 14 Stimmen, in der folgenden unter dem Eindruck
des Unmuths über Hassenpflng gewählten Kammer (Angust 1850) sogar dnrch
25 Stimmen vertreten war, — eine dauernde Majorität gewänne: welchen Vor¬
schlägen für die Besetzung deö höchsten Gerichtshofes dürften wir dann vielleicht
entgegensehen?! Daß aber die Demokratenpartei, ungeachtet ihrer numerischen
Minorität im Volke, die Majorität in der Kammer noch öfters an sich'reiße, ist
sehr möglich, weil ihr durch Einführung der directen Wahlen ans ziemlich
breiter Grundlage im neuen Wahlgesetz abermals ein weites Feld für ihre Dema¬
gogenkünste geöffnet worden ist. Sogar B. W. Pfeiffer erwartete schon vor
Hassenpflug's Wiederkehr mit bekümmerten Herzen nur von Erfurt aus die Cor-


128"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0507" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92796"/>
          <p xml:id="ID_1612" prev="#ID_1611" next="#ID_1613"> habe, ja es habe durch seine Gesetze das Amt der Obrigkeit völlig lahm gelegt.<lb/>
Das ist eine gehässige Uebertreibung. Wahr ist, daß dnrch die eilfertige Gesetzgebung<lb/>
der Demokratie mauche gefährliche Schleuse geöffnet worden ist. Dahin gehört<lb/>
vor Allem das fast jeder schützenden Garantie entbehrende Preßgesetz, über<lb/>
dessen heillose Früchte sich Eberhard später selbst entsetzt hat, obwohl die Gesetz¬<lb/>
vorlage dein Deputirten Henkel damals noch viel zu engherzig war. Auch hat<lb/>
die Staatsbehörde nach zwei mißlungenen Versuchen auf die Verfolgung der Pre߬<lb/>
vergehen ganz verzichtet, wozu doch die ultraradicale Presse Veranlassung genug<lb/>
darbot. Dahin gehört ferner die gesetzliche Bestimmung über Auswahl der<lb/>
Geschwornen ans breitester Grundlage ohne allen Census. Die hierin liegende<lb/>
Gefahr wird jedoch größtentheils dadurch beseitigt, daß die Ausstellung der Haupt-<lb/>
geschworueuliste sür jeden Bezirk in die Hand des BezirköratheS gelegt ist, dessen<lb/>
Wahl und Znsammensetzung genügende Garantien darbietet. Eine dritte der<lb/>
Demokratie anfgethane Schleuse findet sich in der Bestimmung des Gesetzes über<lb/>
Mitwirkung der Landstände bei Besetzung des O b erappellations-<lb/>
qerichtes, wonach die Stäude bei ihren Vorschlägen nicht an das Urtheil des<lb/>
Oberappellationsgerichts über die Befähigung der Kandidaten sollen gebunden sein.<lb/>
Vergebens vindicirte B. W. Pfeiffer die Qualisicationöfeftstellung unbedingt dem<lb/>
höchsten Gerichtshof selbst; vergebens sprach der Deputirte Ziegler ans Hanau,<lb/>
ein Nichtjurist, das warnende Wort: &#x201E;Wir suchen stets nach Garantie der Re¬<lb/>
gierung gegenüber; schaffen wir sie aber auch gegen unsre eigue Unvollkommen-<lb/>
heit." Vergebens vertheidigte der Landtagscommissar die Gesetzvorlage. Die<lb/>
Juristen Henkel, Victor, Nebelthau gewannen die Majorität für die Ausseht, daß<lb/>
in dieser Beschränkung eine &#x201E;unwürdige Bevormundung" der Ständeversammlung<lb/>
liege, und das Ministerium war leider schwach genug nachzugeben. Die Sache wäre<lb/>
ziemlich unbedenklich geblieben, wenn wir der frühern gemäßigten Majorität in der<lb/>
Kammer immer hätten versichert sein können. Aber wie, wenn nun unsre röth-<lb/>
liche Linke, die in der purificirter alten Kammer (!8;&gt;) noch gar nicht, in der<lb/>
nach dem revidirten alten Wahlgesetz berufenen Kammer (seit Nov. 18-58) schon<lb/>
durch 8 Stimmen, in der ersten nach dem neuen Wahlgesetz gewählten Versamm¬<lb/>
lung (seit Mai 1849) dnrch 14 Stimmen, in der folgenden unter dem Eindruck<lb/>
des Unmuths über Hassenpflng gewählten Kammer (Angust 1850) sogar dnrch<lb/>
25 Stimmen vertreten war, &#x2014; eine dauernde Majorität gewänne: welchen Vor¬<lb/>
schlägen für die Besetzung deö höchsten Gerichtshofes dürften wir dann vielleicht<lb/>
entgegensehen?! Daß aber die Demokratenpartei, ungeachtet ihrer numerischen<lb/>
Minorität im Volke, die Majorität in der Kammer noch öfters an sich'reiße, ist<lb/>
sehr möglich, weil ihr durch Einführung der directen Wahlen ans ziemlich<lb/>
breiter Grundlage im neuen Wahlgesetz abermals ein weites Feld für ihre Dema¬<lb/>
gogenkünste geöffnet worden ist.  Sogar B. W. Pfeiffer erwartete schon vor<lb/>
Hassenpflug's Wiederkehr mit bekümmerten Herzen nur von Erfurt aus die Cor-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 128"</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0507] habe, ja es habe durch seine Gesetze das Amt der Obrigkeit völlig lahm gelegt. Das ist eine gehässige Uebertreibung. Wahr ist, daß dnrch die eilfertige Gesetzgebung der Demokratie mauche gefährliche Schleuse geöffnet worden ist. Dahin gehört vor Allem das fast jeder schützenden Garantie entbehrende Preßgesetz, über dessen heillose Früchte sich Eberhard später selbst entsetzt hat, obwohl die Gesetz¬ vorlage dein Deputirten Henkel damals noch viel zu engherzig war. Auch hat die Staatsbehörde nach zwei mißlungenen Versuchen auf die Verfolgung der Pre߬ vergehen ganz verzichtet, wozu doch die ultraradicale Presse Veranlassung genug darbot. Dahin gehört ferner die gesetzliche Bestimmung über Auswahl der Geschwornen ans breitester Grundlage ohne allen Census. Die hierin liegende Gefahr wird jedoch größtentheils dadurch beseitigt, daß die Ausstellung der Haupt- geschworueuliste sür jeden Bezirk in die Hand des BezirköratheS gelegt ist, dessen Wahl und Znsammensetzung genügende Garantien darbietet. Eine dritte der Demokratie anfgethane Schleuse findet sich in der Bestimmung des Gesetzes über Mitwirkung der Landstände bei Besetzung des O b erappellations- qerichtes, wonach die Stäude bei ihren Vorschlägen nicht an das Urtheil des Oberappellationsgerichts über die Befähigung der Kandidaten sollen gebunden sein. Vergebens vindicirte B. W. Pfeiffer die Qualisicationöfeftstellung unbedingt dem höchsten Gerichtshof selbst; vergebens sprach der Deputirte Ziegler ans Hanau, ein Nichtjurist, das warnende Wort: „Wir suchen stets nach Garantie der Re¬ gierung gegenüber; schaffen wir sie aber auch gegen unsre eigue Unvollkommen- heit." Vergebens vertheidigte der Landtagscommissar die Gesetzvorlage. Die Juristen Henkel, Victor, Nebelthau gewannen die Majorität für die Ausseht, daß in dieser Beschränkung eine „unwürdige Bevormundung" der Ständeversammlung liege, und das Ministerium war leider schwach genug nachzugeben. Die Sache wäre ziemlich unbedenklich geblieben, wenn wir der frühern gemäßigten Majorität in der Kammer immer hätten versichert sein können. Aber wie, wenn nun unsre röth- liche Linke, die in der purificirter alten Kammer (!8;>) noch gar nicht, in der nach dem revidirten alten Wahlgesetz berufenen Kammer (seit Nov. 18-58) schon durch 8 Stimmen, in der ersten nach dem neuen Wahlgesetz gewählten Versamm¬ lung (seit Mai 1849) dnrch 14 Stimmen, in der folgenden unter dem Eindruck des Unmuths über Hassenpflng gewählten Kammer (Angust 1850) sogar dnrch 25 Stimmen vertreten war, — eine dauernde Majorität gewänne: welchen Vor¬ schlägen für die Besetzung deö höchsten Gerichtshofes dürften wir dann vielleicht entgegensehen?! Daß aber die Demokratenpartei, ungeachtet ihrer numerischen Minorität im Volke, die Majorität in der Kammer noch öfters an sich'reiße, ist sehr möglich, weil ihr durch Einführung der directen Wahlen ans ziemlich breiter Grundlage im neuen Wahlgesetz abermals ein weites Feld für ihre Dema¬ gogenkünste geöffnet worden ist. Sogar B. W. Pfeiffer erwartete schon vor Hassenpflug's Wiederkehr mit bekümmerten Herzen nur von Erfurt aus die Cor- 128"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/507
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/507>, abgerufen am 22.07.2024.