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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Phrasen von Freundschaft und gegenseitiger Hochachtung betrachten. Gegen Ru߬
lands Freundschaft, gegen die schmähliche Abhängigkeit vom russischen Juteresse
gibt es für deu "neuen" Staat, der uoch zu gelähmt ist, um allein zu stehen,
kein besseres Band als die Verbrüderung mit deu deutschen Staaten. Und noch
Zweierlei wird dadurch erreicht, außer der größern Unabhängigkeit von Se. Peters¬
burg. Erstens die Möglichkeit den deutschen Geist, welcher Oestreichs Bildung
in uuablösbarer Abhängigkeit hält, uach den Bedürfnissen des Kaiserhauses
zu zügeln, und zweitens, Preußen vou seiner Bestimmung: ein abgerundeter, also
starker und großer Staat zu werden, so lange als möglich fern zu halten.
Das Alles erreicht Oestreich, wenn es mit seinem Gesammtgebiet in den Bund
tritt. Es ist ein großer und vortrefflicher Sieg, an deu das Cabinet noch vor
einem Jahr nicht dachte; er ist gewonnen ohne Blutvergießen und Gefahr;
dnrch einige Stilübungen, einige Malicen; einige kleine Intriguen der kaiserlichen
Diplomaten und durch die Haltung des preußischen Cabinets, für welche schwerlich
in unserer Sprache ein bezeichnendes Prädicat zu finden ist.

Es ist nicht die Absicht, hier auszuführen, daß die Hoffnung der östreichischen
Diplomaten, eine freie Position gegen Rußland zu gewinnen, vergeblich sein wird.
Der Bund sei geschlossen, preußische Landwehren sollen helfen, die aufsätzigen Ungarn
in Arad zu fnsilireu, oder italienische Frauen in Brescia aufzuschneiden; Preußen
und Oestreich helfen zusammen den kleinen Regierungen ihre Demokraten einsperren
und aufsätzige Kammermitglieder durch starke Einquartierung beruhigen; brüderliche
Gesinnung stellt sich ein, und Friede und Freundschaft herrscht in Deutschland und
Oestreich; der neue Bund hat die schwachen Staaten in ihrer Scheinsonveränität
erhalten und Preußen und Oestreich regieren dieselben gemeinschaftlich, so leise
und selten gegen einander intriguirend, alö nur möglich.

Wie aber will der Bund regieren? Preußen und Oestreich haben die
Veränderungen auch in ihrer Stellung zum Anstand erfahren, welche eine jede
Verfassung nothwendig mit sich führt. Die Volksvertretung, welche das Bewußt¬
sein und Selbstgefühl der Nation darstellt, ist überall eifersüchtig auf jede
Gewalt, welche ihren Antheil an der Staatsregierung zu beschränken droht; als
Wächter für die Ehre und Freiheit des Staates kann und wird sie nirgend er¬
tragen, daß die Souveränität ihres Staates, die Gesetzgebung und Politik der
Heimath, bestimmt und gemodelt wird dnrch einen hohen Nath der Regierungen,
welcher unverantwortlich und anßer dem Bereich der Landesgesetze waltet, und
doch von ihr, der Volksvertretung des einzelnen Staates bezahlt wird; denn sie
muß alljährlich ein Budget genehmigen, zu welchem anch die Bnndeöcontribution
des Staates gehört. -- Noch mehr, in der Verfassung Preußens (anch der pro-
jectirten vou Oestreich) hat die Volksvertretung ihre Genehmigung zu der neuen
Bundesverfassung zu ertheilen. Es ist keine Aussicht, daß sie diese Genehmigung
ertheilen wird, ohne jede Garantie genommen zu haben gegen die Octroyirung


Phrasen von Freundschaft und gegenseitiger Hochachtung betrachten. Gegen Ru߬
lands Freundschaft, gegen die schmähliche Abhängigkeit vom russischen Juteresse
gibt es für deu „neuen" Staat, der uoch zu gelähmt ist, um allein zu stehen,
kein besseres Band als die Verbrüderung mit deu deutschen Staaten. Und noch
Zweierlei wird dadurch erreicht, außer der größern Unabhängigkeit von Se. Peters¬
burg. Erstens die Möglichkeit den deutschen Geist, welcher Oestreichs Bildung
in uuablösbarer Abhängigkeit hält, uach den Bedürfnissen des Kaiserhauses
zu zügeln, und zweitens, Preußen vou seiner Bestimmung: ein abgerundeter, also
starker und großer Staat zu werden, so lange als möglich fern zu halten.
Das Alles erreicht Oestreich, wenn es mit seinem Gesammtgebiet in den Bund
tritt. Es ist ein großer und vortrefflicher Sieg, an deu das Cabinet noch vor
einem Jahr nicht dachte; er ist gewonnen ohne Blutvergießen und Gefahr;
dnrch einige Stilübungen, einige Malicen; einige kleine Intriguen der kaiserlichen
Diplomaten und durch die Haltung des preußischen Cabinets, für welche schwerlich
in unserer Sprache ein bezeichnendes Prädicat zu finden ist.

Es ist nicht die Absicht, hier auszuführen, daß die Hoffnung der östreichischen
Diplomaten, eine freie Position gegen Rußland zu gewinnen, vergeblich sein wird.
Der Bund sei geschlossen, preußische Landwehren sollen helfen, die aufsätzigen Ungarn
in Arad zu fnsilireu, oder italienische Frauen in Brescia aufzuschneiden; Preußen
und Oestreich helfen zusammen den kleinen Regierungen ihre Demokraten einsperren
und aufsätzige Kammermitglieder durch starke Einquartierung beruhigen; brüderliche
Gesinnung stellt sich ein, und Friede und Freundschaft herrscht in Deutschland und
Oestreich; der neue Bund hat die schwachen Staaten in ihrer Scheinsonveränität
erhalten und Preußen und Oestreich regieren dieselben gemeinschaftlich, so leise
und selten gegen einander intriguirend, alö nur möglich.

Wie aber will der Bund regieren? Preußen und Oestreich haben die
Veränderungen auch in ihrer Stellung zum Anstand erfahren, welche eine jede
Verfassung nothwendig mit sich führt. Die Volksvertretung, welche das Bewußt¬
sein und Selbstgefühl der Nation darstellt, ist überall eifersüchtig auf jede
Gewalt, welche ihren Antheil an der Staatsregierung zu beschränken droht; als
Wächter für die Ehre und Freiheit des Staates kann und wird sie nirgend er¬
tragen, daß die Souveränität ihres Staates, die Gesetzgebung und Politik der
Heimath, bestimmt und gemodelt wird dnrch einen hohen Nath der Regierungen,
welcher unverantwortlich und anßer dem Bereich der Landesgesetze waltet, und
doch von ihr, der Volksvertretung des einzelnen Staates bezahlt wird; denn sie
muß alljährlich ein Budget genehmigen, zu welchem anch die Bnndeöcontribution
des Staates gehört. — Noch mehr, in der Verfassung Preußens (anch der pro-
jectirten vou Oestreich) hat die Volksvertretung ihre Genehmigung zu der neuen
Bundesverfassung zu ertheilen. Es ist keine Aussicht, daß sie diese Genehmigung
ertheilen wird, ohne jede Garantie genommen zu haben gegen die Octroyirung


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[0492] Phrasen von Freundschaft und gegenseitiger Hochachtung betrachten. Gegen Ru߬ lands Freundschaft, gegen die schmähliche Abhängigkeit vom russischen Juteresse gibt es für deu „neuen" Staat, der uoch zu gelähmt ist, um allein zu stehen, kein besseres Band als die Verbrüderung mit deu deutschen Staaten. Und noch Zweierlei wird dadurch erreicht, außer der größern Unabhängigkeit von Se. Peters¬ burg. Erstens die Möglichkeit den deutschen Geist, welcher Oestreichs Bildung in uuablösbarer Abhängigkeit hält, uach den Bedürfnissen des Kaiserhauses zu zügeln, und zweitens, Preußen vou seiner Bestimmung: ein abgerundeter, also starker und großer Staat zu werden, so lange als möglich fern zu halten. Das Alles erreicht Oestreich, wenn es mit seinem Gesammtgebiet in den Bund tritt. Es ist ein großer und vortrefflicher Sieg, an deu das Cabinet noch vor einem Jahr nicht dachte; er ist gewonnen ohne Blutvergießen und Gefahr; dnrch einige Stilübungen, einige Malicen; einige kleine Intriguen der kaiserlichen Diplomaten und durch die Haltung des preußischen Cabinets, für welche schwerlich in unserer Sprache ein bezeichnendes Prädicat zu finden ist. Es ist nicht die Absicht, hier auszuführen, daß die Hoffnung der östreichischen Diplomaten, eine freie Position gegen Rußland zu gewinnen, vergeblich sein wird. Der Bund sei geschlossen, preußische Landwehren sollen helfen, die aufsätzigen Ungarn in Arad zu fnsilireu, oder italienische Frauen in Brescia aufzuschneiden; Preußen und Oestreich helfen zusammen den kleinen Regierungen ihre Demokraten einsperren und aufsätzige Kammermitglieder durch starke Einquartierung beruhigen; brüderliche Gesinnung stellt sich ein, und Friede und Freundschaft herrscht in Deutschland und Oestreich; der neue Bund hat die schwachen Staaten in ihrer Scheinsonveränität erhalten und Preußen und Oestreich regieren dieselben gemeinschaftlich, so leise und selten gegen einander intriguirend, alö nur möglich. Wie aber will der Bund regieren? Preußen und Oestreich haben die Veränderungen auch in ihrer Stellung zum Anstand erfahren, welche eine jede Verfassung nothwendig mit sich führt. Die Volksvertretung, welche das Bewußt¬ sein und Selbstgefühl der Nation darstellt, ist überall eifersüchtig auf jede Gewalt, welche ihren Antheil an der Staatsregierung zu beschränken droht; als Wächter für die Ehre und Freiheit des Staates kann und wird sie nirgend er¬ tragen, daß die Souveränität ihres Staates, die Gesetzgebung und Politik der Heimath, bestimmt und gemodelt wird dnrch einen hohen Nath der Regierungen, welcher unverantwortlich und anßer dem Bereich der Landesgesetze waltet, und doch von ihr, der Volksvertretung des einzelnen Staates bezahlt wird; denn sie muß alljährlich ein Budget genehmigen, zu welchem anch die Bnndeöcontribution des Staates gehört. — Noch mehr, in der Verfassung Preußens (anch der pro- jectirten vou Oestreich) hat die Volksvertretung ihre Genehmigung zu der neuen Bundesverfassung zu ertheilen. Es ist keine Aussicht, daß sie diese Genehmigung ertheilen wird, ohne jede Garantie genommen zu haben gegen die Octroyirung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/492>, abgerufen am 22.07.2024.