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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Thorn." "So soll euch der Teufel ze." Und Hiernut bemächtigen sich die beiden
Nüssen des Unglücklichen, binden ihm die Hände auf den Rücken und schleppen ihn bis
auf die russische Grenzlinie. Dort machen sie plötzlich Halt und wenden sich mit der
Frage an den Gefangenen: "Hallunk Du von Ueburlauf, will Dn zahl uns ein Trink¬
geld, wenn wir lassu Dir entlauf?" Der Gefangene, freudig überrascht, sich durch
ein Lösegeld von einer unnützen, meilenweiten, unfreiwilligen Reise befreien zu können,
bietet flugs einen halben Thaler, und die Kosaken sind sogleich gute Freunde. "O Du
gutes Mensch sein! Du uns noch vier Gros gehn für unsir Pferdu!" "Nun gut,
Ihr Canaillen, so bekommt Ihr 10 Groschen von mir." "O, Gott soll Dir vergelt;
Du ganz gutes Mensch sein. Geb her Geld. So! O Du gutes Mensch! Nun
geh' zurück in Deine Land, mach aber nix wieder Ueburlauf!" -- -- Bei solchen
Scenen werden selbst die, welche darin die leidende Rolle spielen, durch die Komik der
Russen oft dergestalt versöhnt sein, daß sie an Veschwcrdeführung nicht denken.

Noch jetzt, nachdem der Vertrag von Neuem geschlossen ist, werden wir durch
eine Menge von Flüchtlingen belästigt, obgleich die polnische Grenze durch eine Mauer
von Wächtern abgesperrt ist, die Grenzdistricte im Russischen einer fortlaufenden Wüstenei
gleichen, und der Flüchtling gegenwärtig mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen
hat. Dem Gebildeten gelingt es allerdings leichter, durch Preußen durchzuschlüpfen,
ohne mit der Polizei in Berührung zu kommen. Schmuggler und Juden helfen ihm
die Grenzwächter bestechen, oder führen ihn in dunkler Nacht bei den Baracken der
Posten vorüber; aber auch die Militärflüchtlinge aus den Dörfern wissen oft mit großer
Schlauheit und unter furchtbaren Entbehrungen sich durchzuschlagen und in einem ent¬
legenen Gehöft zu bergen. Jedes Jahr wissen wir an der Grenze, so oft in Polen die
Zeit der Conscription kommt; wenn wir die Flüchtlinge nicht sehen, so merken wir sie an
der vermehrten Zahl der Diebstahle und Einbrüche, und den häufiger auflodernden nächt¬
lichen Feuern.

ES ist ein Unglück an Nußland zu grenzen, aber eine Aufhebung des CartellS
wäre, so lange diese Nachbarschaft wahrt, für uns an der Grenze ein großes Unglück.




Am I.Januar 1851 beginnt der Jahrgang der "Grenz-
boten." Da derselbe nur aus Verlangen abgegeben wird, so werden
die geehrten Leser freundlichst ersucht, ihre Bestellungen recht frühzeitig
an die betreffenden Buchhandlungen oder Postämter abzugeben, damit
in der Zusendung keine Störung eintritt.Die Nerlagshandlnng.




Verlag von F. L. Herbig. -- Redacteure: Gustav Fveytag und Julian Schmidt.
Druck von C. E. Elbert.

Thorn." „So soll euch der Teufel ze." Und Hiernut bemächtigen sich die beiden
Nüssen des Unglücklichen, binden ihm die Hände auf den Rücken und schleppen ihn bis
auf die russische Grenzlinie. Dort machen sie plötzlich Halt und wenden sich mit der
Frage an den Gefangenen: „Hallunk Du von Ueburlauf, will Dn zahl uns ein Trink¬
geld, wenn wir lassu Dir entlauf?" Der Gefangene, freudig überrascht, sich durch
ein Lösegeld von einer unnützen, meilenweiten, unfreiwilligen Reise befreien zu können,
bietet flugs einen halben Thaler, und die Kosaken sind sogleich gute Freunde. „O Du
gutes Mensch sein! Du uns noch vier Gros gehn für unsir Pferdu!" „Nun gut,
Ihr Canaillen, so bekommt Ihr 10 Groschen von mir." „O, Gott soll Dir vergelt;
Du ganz gutes Mensch sein. Geb her Geld. So! O Du gutes Mensch! Nun
geh' zurück in Deine Land, mach aber nix wieder Ueburlauf!" — — Bei solchen
Scenen werden selbst die, welche darin die leidende Rolle spielen, durch die Komik der
Russen oft dergestalt versöhnt sein, daß sie an Veschwcrdeführung nicht denken.

Noch jetzt, nachdem der Vertrag von Neuem geschlossen ist, werden wir durch
eine Menge von Flüchtlingen belästigt, obgleich die polnische Grenze durch eine Mauer
von Wächtern abgesperrt ist, die Grenzdistricte im Russischen einer fortlaufenden Wüstenei
gleichen, und der Flüchtling gegenwärtig mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen
hat. Dem Gebildeten gelingt es allerdings leichter, durch Preußen durchzuschlüpfen,
ohne mit der Polizei in Berührung zu kommen. Schmuggler und Juden helfen ihm
die Grenzwächter bestechen, oder führen ihn in dunkler Nacht bei den Baracken der
Posten vorüber; aber auch die Militärflüchtlinge aus den Dörfern wissen oft mit großer
Schlauheit und unter furchtbaren Entbehrungen sich durchzuschlagen und in einem ent¬
legenen Gehöft zu bergen. Jedes Jahr wissen wir an der Grenze, so oft in Polen die
Zeit der Conscription kommt; wenn wir die Flüchtlinge nicht sehen, so merken wir sie an
der vermehrten Zahl der Diebstahle und Einbrüche, und den häufiger auflodernden nächt¬
lichen Feuern.

ES ist ein Unglück an Nußland zu grenzen, aber eine Aufhebung des CartellS
wäre, so lange diese Nachbarschaft wahrt, für uns an der Grenze ein großes Unglück.




Am I.Januar 1851 beginnt der Jahrgang der „Grenz-
boten." Da derselbe nur aus Verlangen abgegeben wird, so werden
die geehrten Leser freundlichst ersucht, ihre Bestellungen recht frühzeitig
an die betreffenden Buchhandlungen oder Postämter abzugeben, damit
in der Zusendung keine Störung eintritt.Die Nerlagshandlnng.




Verlag von F. L. Herbig. — Redacteure: Gustav Fveytag und Julian Schmidt.
Druck von C. E. Elbert.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/488>, abgerufen am 22.07.2024.