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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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nicht von Dauer sein, weil ihr Ausdruck der Leidenschaft, die er wiedergeben
sott, nicht gerecht wird. Sie vereinigen alle Fehler der alten und der neuen
Schule: die politischen Unterredungen z. B. in der edai-toto sind ebenso seicht
rationalistisch, wie in den schlechtesten Dramen von Voltaire, und I^uerees enthält
durch Eimuischuug irrationeller Momente, z. B. der Cumanischen Sybille, soviel
Romantik, als sich mit einer excessiv nüchternen Darstellung uur überhaupt verträgt.
Diese Art der Classicität ist uur ein neuer Abweg der Romantik.

Am verkehrtesten ist aber die Wiederaufnahme der antiken Stoffe. In dem
sogenannten classischen Theater wurden die Römer nicht als Römer, sondern als
geläufige populäre Figuren der aus Livius excerpirten Kinderbücher geschildert.
Weil man die historische Bestimmtheit vermeiden wollte, nahm man eine Zeit, die
uur aus naiven Darstellungen bekannt war, und die daher dem currenten Idea¬
lismus keinen Widerstand entgegensehe. Diese Personen waren schon durch
Plutarch und Livius hinlänglich idealisirt, um als Rechenexempel der Cartesianischen
Probleme benützt werden zu können. Seitdem aber die neuere Forschung sich
in die concreten sittlichem Verhältnisse, in die Details des NechtSweseuS, der Ge¬
bräuche und so zu sagen des Stilllebens im Alterthum vertieft, seitdem die neueren
Dichter, namentlich Byron, die bisher nnr ans der Schule bekannten Localfarben
des Homerischen Himmels durch unmittelbare lebendige Anschauung aufgefrischt
haben, kauu die Antike sich zu einem willigen Stoff des modernen Gefühlsconflicts
nicht mehr hergeben. Auch ein ungelehrter Mann, wie Alexander Dumas, wird
in seinem Caligula eine Fülle von Genremalerei anbringen müssen, die den naiven
Kaiser- und Tyrannengeschichten eines Corneille oder Racine so fremd ist, wie
Niebuhrs Studien deu Plutarchischen Floskeln, aus denen Robespierre seine Staats-
weisheit schöpfte. Wenn wir aber einmal die Detailmalerei nicht vermeiden können,
so ziehen wir billig eine Zeit vor, zu der wir uns noch in bestimmtem Verhältniß
wissen. Am abgeschmacktesten ist aber die angebliche Wiederherstellung des antiken
Lustspiels, welches außer Pousard uoch einige audere junge Dichter versucht ha¬
ben. Aus einzelnen witzigen Oden des Horaz oder Catnll (I^alio; 1o moweau
Ü6 Lesdio) wird eine Intrigue zusammengesetzt, die nuf einen sentimental-epigram-
matischen Effect hinausläuft, und schou durch ihre Ausführlichkeit den poetischen
Duft jeuer Lyrik vollständig zerstört; die uns Sitten schildert, die nicht die un-
srigen siud, und in denen wir uns doch zu Hause finden sollen; die satirisch ist
gegen einen Schatten, oder gegen den Schatten eines Schattens. Zum Lustspiel
.1. 8. eignet sich uur eine sittliche Voraussetzung: die unsrige.




nicht von Dauer sein, weil ihr Ausdruck der Leidenschaft, die er wiedergeben
sott, nicht gerecht wird. Sie vereinigen alle Fehler der alten und der neuen
Schule: die politischen Unterredungen z. B. in der edai-toto sind ebenso seicht
rationalistisch, wie in den schlechtesten Dramen von Voltaire, und I^uerees enthält
durch Eimuischuug irrationeller Momente, z. B. der Cumanischen Sybille, soviel
Romantik, als sich mit einer excessiv nüchternen Darstellung uur überhaupt verträgt.
Diese Art der Classicität ist uur ein neuer Abweg der Romantik.

Am verkehrtesten ist aber die Wiederaufnahme der antiken Stoffe. In dem
sogenannten classischen Theater wurden die Römer nicht als Römer, sondern als
geläufige populäre Figuren der aus Livius excerpirten Kinderbücher geschildert.
Weil man die historische Bestimmtheit vermeiden wollte, nahm man eine Zeit, die
uur aus naiven Darstellungen bekannt war, und die daher dem currenten Idea¬
lismus keinen Widerstand entgegensehe. Diese Personen waren schon durch
Plutarch und Livius hinlänglich idealisirt, um als Rechenexempel der Cartesianischen
Probleme benützt werden zu können. Seitdem aber die neuere Forschung sich
in die concreten sittlichem Verhältnisse, in die Details des NechtSweseuS, der Ge¬
bräuche und so zu sagen des Stilllebens im Alterthum vertieft, seitdem die neueren
Dichter, namentlich Byron, die bisher nnr ans der Schule bekannten Localfarben
des Homerischen Himmels durch unmittelbare lebendige Anschauung aufgefrischt
haben, kauu die Antike sich zu einem willigen Stoff des modernen Gefühlsconflicts
nicht mehr hergeben. Auch ein ungelehrter Mann, wie Alexander Dumas, wird
in seinem Caligula eine Fülle von Genremalerei anbringen müssen, die den naiven
Kaiser- und Tyrannengeschichten eines Corneille oder Racine so fremd ist, wie
Niebuhrs Studien deu Plutarchischen Floskeln, aus denen Robespierre seine Staats-
weisheit schöpfte. Wenn wir aber einmal die Detailmalerei nicht vermeiden können,
so ziehen wir billig eine Zeit vor, zu der wir uns noch in bestimmtem Verhältniß
wissen. Am abgeschmacktesten ist aber die angebliche Wiederherstellung des antiken
Lustspiels, welches außer Pousard uoch einige audere junge Dichter versucht ha¬
ben. Aus einzelnen witzigen Oden des Horaz oder Catnll (I^alio; 1o moweau
Ü6 Lesdio) wird eine Intrigue zusammengesetzt, die nuf einen sentimental-epigram-
matischen Effect hinausläuft, und schou durch ihre Ausführlichkeit den poetischen
Duft jeuer Lyrik vollständig zerstört; die uns Sitten schildert, die nicht die un-
srigen siud, und in denen wir uns doch zu Hause finden sollen; die satirisch ist
gegen einen Schatten, oder gegen den Schatten eines Schattens. Zum Lustspiel
.1. 8. eignet sich uur eine sittliche Voraussetzung: die unsrige.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/484>, abgerufen am 22.07.2024.