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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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entschädigen. Trotz der Verluste dieses Abends, die durch die Gerüchte noch ver¬
größert wurden, wollte man doch dem Gedanken nicht Raum geben, daß man
es aufgeben müsse Friedrichstadt zu nehmen, besonders weil die letzte Zeit
das einzige Gespräch der ganzen Armee war, wie man allein von hier aus den
Feind von seiner ganzen Linie zurückwerfen könne.

Endlich trafen wir in dem Menschenknäuel auf der Chaussee unser Corps,
welches seitwärts von der Chaussee schou stundenlang Gewehr bei Fuß dastand,
um einen etwaigen Angriff auf die Batterie zurückzuweisen. Da sahen wir manch
frohes Gesicht und fühlten warmen Händedruck, als wir Alle so unerwartet wieder
in die Mitte der Kameraden traten. Und oben wurde unser Zurückbleiben auch
gnädiger augesehen, als wir erwartet hatten.

Wir erhielten Befehl zum Rückmarsch. Jedoch ging es nicht, wie wir in
unseren nassen Kleidern hofften, zurück in die Quartiere, uns ward die schwere
Aufgabe zu Theil, unsere Kameraden den Nest der Nacht zu bewachen, indem
wir eine Neservestellung für die Vorposten bei dem ChansseehanS einnehmen sollten.
Langsam verging diese Nacht und es däuchte uns eine Ewigkeit, bis der Morgen
graute. Die Kälte und Nässe erlaubte keinen Schlaf und die Erstarrung, welche
allmälig Körper und Geist ergriff, ließ das einzige Mittel, welches Leben in den
Gliedern erhalten konnte, stete Bewegung, versäumen. Einige Glückliche fanden
gegen Morgen in unserer Nähe einen sogenannten Haferdiemen, d. h. einen
hohen Schober von unanögedroschenem Hafer, und diese Nachricht brachte
schnell die ganze Schaar in Bewegung, indem jetzt Alle hinstürzten, um einen
Arm voll erwärmenden Strohs zu erHaschen. Dabei ging es zwar Manchem
durch deu Sinn, wie hier das werthvolle Eigenthum eines Fremden, vielleicht
eines Armen, um deö genügen augenblicklichen Nutzens willen verwüstet werde,
und manche Hand zauderte einen Augenblick, ehe sie zugriff, aber es war auch
uur ein Moment. Der Trieb der Selbsterhaltung überwog jede Regung des
Gewissens, und bald saßen Alle dicht zusammengekauert, hoch mit Stroh bedeckt,
und starrten halb schlafend, halb wachend in die noch immer hoch auflodernden
Flammen der vor uns liegenden Stadt. Ringsherum herrschte tiefes Schweigen,
das nnr durch das Wimmern der Verwundeten, welches aus dem Chausseehause
zu uns drang, unterbrochen wurde. Dichte weiße Marschuebel stiegen allmälig
Geistern gleich in wunderbaren Formen aus deu Gräben empor und wogten um¬
her, bis sie sich in Haufen zusammenballten und Alles, auch das unglückliche
Friedrichstadt, mit ihrem kalten Hauche verdeckt hatten. Da entschlummerten
Viele, die sich bis dahin gewaltsam wach erhalten hatten, durch die drückende be¬
ängstigende Luft uoch mehr ermüdet, zu einem unerquicklichen, tränmereichen Schlaf,
und wurden uicht einmal durch den unglücklichen Schuß erweckt, welcher aus einem
durch Unvorsichtigkeit entladenen Gewehr siel und in unserer Nähe einen Kame¬
raden so traf, daß er bald verschied, und einen andern schwer verwundete. Selbst


entschädigen. Trotz der Verluste dieses Abends, die durch die Gerüchte noch ver¬
größert wurden, wollte man doch dem Gedanken nicht Raum geben, daß man
es aufgeben müsse Friedrichstadt zu nehmen, besonders weil die letzte Zeit
das einzige Gespräch der ganzen Armee war, wie man allein von hier aus den
Feind von seiner ganzen Linie zurückwerfen könne.

Endlich trafen wir in dem Menschenknäuel auf der Chaussee unser Corps,
welches seitwärts von der Chaussee schou stundenlang Gewehr bei Fuß dastand,
um einen etwaigen Angriff auf die Batterie zurückzuweisen. Da sahen wir manch
frohes Gesicht und fühlten warmen Händedruck, als wir Alle so unerwartet wieder
in die Mitte der Kameraden traten. Und oben wurde unser Zurückbleiben auch
gnädiger augesehen, als wir erwartet hatten.

Wir erhielten Befehl zum Rückmarsch. Jedoch ging es nicht, wie wir in
unseren nassen Kleidern hofften, zurück in die Quartiere, uns ward die schwere
Aufgabe zu Theil, unsere Kameraden den Nest der Nacht zu bewachen, indem
wir eine Neservestellung für die Vorposten bei dem ChansseehanS einnehmen sollten.
Langsam verging diese Nacht und es däuchte uns eine Ewigkeit, bis der Morgen
graute. Die Kälte und Nässe erlaubte keinen Schlaf und die Erstarrung, welche
allmälig Körper und Geist ergriff, ließ das einzige Mittel, welches Leben in den
Gliedern erhalten konnte, stete Bewegung, versäumen. Einige Glückliche fanden
gegen Morgen in unserer Nähe einen sogenannten Haferdiemen, d. h. einen
hohen Schober von unanögedroschenem Hafer, und diese Nachricht brachte
schnell die ganze Schaar in Bewegung, indem jetzt Alle hinstürzten, um einen
Arm voll erwärmenden Strohs zu erHaschen. Dabei ging es zwar Manchem
durch deu Sinn, wie hier das werthvolle Eigenthum eines Fremden, vielleicht
eines Armen, um deö genügen augenblicklichen Nutzens willen verwüstet werde,
und manche Hand zauderte einen Augenblick, ehe sie zugriff, aber es war auch
uur ein Moment. Der Trieb der Selbsterhaltung überwog jede Regung des
Gewissens, und bald saßen Alle dicht zusammengekauert, hoch mit Stroh bedeckt,
und starrten halb schlafend, halb wachend in die noch immer hoch auflodernden
Flammen der vor uns liegenden Stadt. Ringsherum herrschte tiefes Schweigen,
das nnr durch das Wimmern der Verwundeten, welches aus dem Chausseehause
zu uns drang, unterbrochen wurde. Dichte weiße Marschuebel stiegen allmälig
Geistern gleich in wunderbaren Formen aus deu Gräben empor und wogten um¬
her, bis sie sich in Haufen zusammenballten und Alles, auch das unglückliche
Friedrichstadt, mit ihrem kalten Hauche verdeckt hatten. Da entschlummerten
Viele, die sich bis dahin gewaltsam wach erhalten hatten, durch die drückende be¬
ängstigende Luft uoch mehr ermüdet, zu einem unerquicklichen, tränmereichen Schlaf,
und wurden uicht einmal durch den unglücklichen Schuß erweckt, welcher aus einem
durch Unvorsichtigkeit entladenen Gewehr siel und in unserer Nähe einen Kame¬
raden so traf, daß er bald verschied, und einen andern schwer verwundete. Selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/469>, abgerufen am 22.07.2024.