Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Abhängigkeit von den Contribuenten, also auch von den Kammern und von den
darin herrschenden Parteien gerathen muß, als bisher. Außerdem zeigt Hannover
durch entschlossenes Vorgehen in der diesem Staat natürlichen und angemessenen
Politik, Norddeutschland zu vereinigen, was die preußische Negierung hätte thun
können und sollen.

Sticht Alles, was unsern Feinden Schaden bringt, kommt uns zu Gute.
Was die Macht, Unabhängigkeit und Festigkeit des preußischen Staats unter¬
gräbt, bringt unsern Ideen, unsern Zwecken keinen Segen. Weit mehr als
der angeblich schwarzweißen, eigentlich schwarzgelben Partei muß uus daran lie¬
gen, daß Preußen aus seiner hohen Stellung nicht herausgedrängt werde, auch
wenn Preußen für den Augenblick in den Händen der Reaction ist.

Auf der audern Seite fangen die buudestäglicheu Regierungen der Mittel¬
staaten bereits an zu merken, was sie durch ihre rücksichtslose Feindschaft gegen
Preußen, durch ihre rücksichtslose Hingabe an Oestreich gewonnen haben. Auch
dieser Erfolg kauu uns uicht freuen. Denn so entschieden wir gegen die unbe-
rechtigten Großmachtö - Gelüste dieser Mittelstaateu Opposition gemacht haben,
ebenso stark müssen wir den Wunsch hegen, daß der segensreiche Einfluß, welchen
die Existenz dieser Mittelstaaten, namentlich Hannovers und Sachsens, auf den
Wohlstand und die Cultur gehabt haben, uicht verloren gehe. Dieser Einfluß
ist aber uur daun möglich, wenn ihnen ein mächtiges Preußen zur Seite steht,
ein Preußen, welches uicht der Abhängigkeit von Oestreich und Rußland ver-
fallen ist. Die Regierungen dieser Staate" werdeu bald -- wenn nur nicht zu
spät -- einsehen, daß ihnen an Preußens Unabhängigkeit ebenso viel, vielleicht
mehr gelegen sein muß, als den Preußen selbst; daß die "entarteten Söhne
des Vaterlandes" die eigentlichen Patrioten, auch die sächsischen Patrioten
waren.

Weil wir dies wünschen, müssen wir auch ferner, wie wir es stets gethan
haben, in unserer Opposition sorgfältig die preußische Regierung vom preußischen
Staat (uicht blos vom preußischen Volk, welches ohne Staat nicht existirt) unter¬
scheiden. Unsere Partei, deren einziger bedeutender Fehler wohl überhaupt der
gewesen ist, daß sie zu sanguinisch war, hat bei mehreren Gelegenheiten in Augen¬
blicken leidenschaftlicher Aufregung ausgerufen: Wenn Preußen jetzt uicht dies oder
das thut, so ist seine Ehre verloren, und wir müssen das Klagelied anstimmen: I'ini"
öorussiae. -- Mit der Ehre von Staaten hat es aber eine audere Bewandtniß,
als mit der Ehre von Privatpersonen. Zwar wollen wir, auch in Beziehung aus
Staaten, uicht unbedingt das ironische Bonmot eines Berliner Witzblattes adop-
tiren: "Ehre verloren, Nichts verloren; Geduld verloren, Alles verloren!" --
Aber etwas Richtiges liegt doch darin. Ein Staat kaun 'ein großes Maß von
Schimpf und Schande ertragen, ohne darüber zu Grunde zu gehen. Auch die
Olmützer Punctationen wird der preußische Staat zu verwinden wissen, wenn


Abhängigkeit von den Contribuenten, also auch von den Kammern und von den
darin herrschenden Parteien gerathen muß, als bisher. Außerdem zeigt Hannover
durch entschlossenes Vorgehen in der diesem Staat natürlichen und angemessenen
Politik, Norddeutschland zu vereinigen, was die preußische Negierung hätte thun
können und sollen.

Sticht Alles, was unsern Feinden Schaden bringt, kommt uns zu Gute.
Was die Macht, Unabhängigkeit und Festigkeit des preußischen Staats unter¬
gräbt, bringt unsern Ideen, unsern Zwecken keinen Segen. Weit mehr als
der angeblich schwarzweißen, eigentlich schwarzgelben Partei muß uus daran lie¬
gen, daß Preußen aus seiner hohen Stellung nicht herausgedrängt werde, auch
wenn Preußen für den Augenblick in den Händen der Reaction ist.

Auf der audern Seite fangen die buudestäglicheu Regierungen der Mittel¬
staaten bereits an zu merken, was sie durch ihre rücksichtslose Feindschaft gegen
Preußen, durch ihre rücksichtslose Hingabe an Oestreich gewonnen haben. Auch
dieser Erfolg kauu uns uicht freuen. Denn so entschieden wir gegen die unbe-
rechtigten Großmachtö - Gelüste dieser Mittelstaateu Opposition gemacht haben,
ebenso stark müssen wir den Wunsch hegen, daß der segensreiche Einfluß, welchen
die Existenz dieser Mittelstaaten, namentlich Hannovers und Sachsens, auf den
Wohlstand und die Cultur gehabt haben, uicht verloren gehe. Dieser Einfluß
ist aber uur daun möglich, wenn ihnen ein mächtiges Preußen zur Seite steht,
ein Preußen, welches uicht der Abhängigkeit von Oestreich und Rußland ver-
fallen ist. Die Regierungen dieser Staate« werdeu bald — wenn nur nicht zu
spät — einsehen, daß ihnen an Preußens Unabhängigkeit ebenso viel, vielleicht
mehr gelegen sein muß, als den Preußen selbst; daß die „entarteten Söhne
des Vaterlandes" die eigentlichen Patrioten, auch die sächsischen Patrioten
waren.

Weil wir dies wünschen, müssen wir auch ferner, wie wir es stets gethan
haben, in unserer Opposition sorgfältig die preußische Regierung vom preußischen
Staat (uicht blos vom preußischen Volk, welches ohne Staat nicht existirt) unter¬
scheiden. Unsere Partei, deren einziger bedeutender Fehler wohl überhaupt der
gewesen ist, daß sie zu sanguinisch war, hat bei mehreren Gelegenheiten in Augen¬
blicken leidenschaftlicher Aufregung ausgerufen: Wenn Preußen jetzt uicht dies oder
das thut, so ist seine Ehre verloren, und wir müssen das Klagelied anstimmen: I'ini«
öorussiae. — Mit der Ehre von Staaten hat es aber eine audere Bewandtniß,
als mit der Ehre von Privatpersonen. Zwar wollen wir, auch in Beziehung aus
Staaten, uicht unbedingt das ironische Bonmot eines Berliner Witzblattes adop-
tiren: „Ehre verloren, Nichts verloren; Geduld verloren, Alles verloren!" —
Aber etwas Richtiges liegt doch darin. Ein Staat kaun 'ein großes Maß von
Schimpf und Schande ertragen, ohne darüber zu Grunde zu gehen. Auch die
Olmützer Punctationen wird der preußische Staat zu verwinden wissen, wenn


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0454" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92743"/>
            <p xml:id="ID_1476" prev="#ID_1475"> Abhängigkeit von den Contribuenten, also auch von den Kammern und von den<lb/>
darin herrschenden Parteien gerathen muß, als bisher. Außerdem zeigt Hannover<lb/>
durch entschlossenes Vorgehen in der diesem Staat natürlichen und angemessenen<lb/>
Politik, Norddeutschland zu vereinigen, was die preußische Negierung hätte thun<lb/>
können und sollen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1477"> Sticht Alles, was unsern Feinden Schaden bringt, kommt uns zu Gute.<lb/>
Was die Macht, Unabhängigkeit und Festigkeit des preußischen Staats unter¬<lb/>
gräbt, bringt unsern Ideen, unsern Zwecken keinen Segen. Weit mehr als<lb/>
der angeblich schwarzweißen, eigentlich schwarzgelben Partei muß uus daran lie¬<lb/>
gen, daß Preußen aus seiner hohen Stellung nicht herausgedrängt werde, auch<lb/>
wenn Preußen für den Augenblick in den Händen der Reaction ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1478"> Auf der audern Seite fangen die buudestäglicheu Regierungen der Mittel¬<lb/>
staaten bereits an zu merken, was sie durch ihre rücksichtslose Feindschaft gegen<lb/>
Preußen, durch ihre rücksichtslose Hingabe an Oestreich gewonnen haben. Auch<lb/>
dieser Erfolg kauu uns uicht freuen. Denn so entschieden wir gegen die unbe-<lb/>
rechtigten Großmachtö - Gelüste dieser Mittelstaateu Opposition gemacht haben,<lb/>
ebenso stark müssen wir den Wunsch hegen, daß der segensreiche Einfluß, welchen<lb/>
die Existenz dieser Mittelstaaten, namentlich Hannovers und Sachsens, auf den<lb/>
Wohlstand und die Cultur gehabt haben, uicht verloren gehe. Dieser Einfluß<lb/>
ist aber uur daun möglich, wenn ihnen ein mächtiges Preußen zur Seite steht,<lb/>
ein Preußen, welches uicht der Abhängigkeit von Oestreich und Rußland ver-<lb/>
fallen ist. Die Regierungen dieser Staate« werdeu bald &#x2014; wenn nur nicht zu<lb/>
spät &#x2014; einsehen, daß ihnen an Preußens Unabhängigkeit ebenso viel, vielleicht<lb/>
mehr gelegen sein muß, als den Preußen selbst; daß die &#x201E;entarteten Söhne<lb/>
des Vaterlandes" die eigentlichen Patrioten, auch die sächsischen Patrioten<lb/>
waren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1479" next="#ID_1480"> Weil wir dies wünschen, müssen wir auch ferner, wie wir es stets gethan<lb/>
haben, in unserer Opposition sorgfältig die preußische Regierung vom preußischen<lb/>
Staat (uicht blos vom preußischen Volk, welches ohne Staat nicht existirt) unter¬<lb/>
scheiden. Unsere Partei, deren einziger bedeutender Fehler wohl überhaupt der<lb/>
gewesen ist, daß sie zu sanguinisch war, hat bei mehreren Gelegenheiten in Augen¬<lb/>
blicken leidenschaftlicher Aufregung ausgerufen: Wenn Preußen jetzt uicht dies oder<lb/>
das thut, so ist seine Ehre verloren, und wir müssen das Klagelied anstimmen: I'ini«<lb/>
öorussiae. &#x2014; Mit der Ehre von Staaten hat es aber eine audere Bewandtniß,<lb/>
als mit der Ehre von Privatpersonen. Zwar wollen wir, auch in Beziehung aus<lb/>
Staaten, uicht unbedingt das ironische Bonmot eines Berliner Witzblattes adop-<lb/>
tiren: &#x201E;Ehre verloren, Nichts verloren; Geduld verloren, Alles verloren!" &#x2014;<lb/>
Aber etwas Richtiges liegt doch darin. Ein Staat kaun 'ein großes Maß von<lb/>
Schimpf und Schande ertragen, ohne darüber zu Grunde zu gehen. Auch die<lb/>
Olmützer Punctationen wird der preußische Staat zu verwinden wissen, wenn</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0454] Abhängigkeit von den Contribuenten, also auch von den Kammern und von den darin herrschenden Parteien gerathen muß, als bisher. Außerdem zeigt Hannover durch entschlossenes Vorgehen in der diesem Staat natürlichen und angemessenen Politik, Norddeutschland zu vereinigen, was die preußische Negierung hätte thun können und sollen. Sticht Alles, was unsern Feinden Schaden bringt, kommt uns zu Gute. Was die Macht, Unabhängigkeit und Festigkeit des preußischen Staats unter¬ gräbt, bringt unsern Ideen, unsern Zwecken keinen Segen. Weit mehr als der angeblich schwarzweißen, eigentlich schwarzgelben Partei muß uus daran lie¬ gen, daß Preußen aus seiner hohen Stellung nicht herausgedrängt werde, auch wenn Preußen für den Augenblick in den Händen der Reaction ist. Auf der audern Seite fangen die buudestäglicheu Regierungen der Mittel¬ staaten bereits an zu merken, was sie durch ihre rücksichtslose Feindschaft gegen Preußen, durch ihre rücksichtslose Hingabe an Oestreich gewonnen haben. Auch dieser Erfolg kauu uns uicht freuen. Denn so entschieden wir gegen die unbe- rechtigten Großmachtö - Gelüste dieser Mittelstaateu Opposition gemacht haben, ebenso stark müssen wir den Wunsch hegen, daß der segensreiche Einfluß, welchen die Existenz dieser Mittelstaaten, namentlich Hannovers und Sachsens, auf den Wohlstand und die Cultur gehabt haben, uicht verloren gehe. Dieser Einfluß ist aber uur daun möglich, wenn ihnen ein mächtiges Preußen zur Seite steht, ein Preußen, welches uicht der Abhängigkeit von Oestreich und Rußland ver- fallen ist. Die Regierungen dieser Staate« werdeu bald — wenn nur nicht zu spät — einsehen, daß ihnen an Preußens Unabhängigkeit ebenso viel, vielleicht mehr gelegen sein muß, als den Preußen selbst; daß die „entarteten Söhne des Vaterlandes" die eigentlichen Patrioten, auch die sächsischen Patrioten waren. Weil wir dies wünschen, müssen wir auch ferner, wie wir es stets gethan haben, in unserer Opposition sorgfältig die preußische Regierung vom preußischen Staat (uicht blos vom preußischen Volk, welches ohne Staat nicht existirt) unter¬ scheiden. Unsere Partei, deren einziger bedeutender Fehler wohl überhaupt der gewesen ist, daß sie zu sanguinisch war, hat bei mehreren Gelegenheiten in Augen¬ blicken leidenschaftlicher Aufregung ausgerufen: Wenn Preußen jetzt uicht dies oder das thut, so ist seine Ehre verloren, und wir müssen das Klagelied anstimmen: I'ini« öorussiae. — Mit der Ehre von Staaten hat es aber eine audere Bewandtniß, als mit der Ehre von Privatpersonen. Zwar wollen wir, auch in Beziehung aus Staaten, uicht unbedingt das ironische Bonmot eines Berliner Witzblattes adop- tiren: „Ehre verloren, Nichts verloren; Geduld verloren, Alles verloren!" — Aber etwas Richtiges liegt doch darin. Ein Staat kaun 'ein großes Maß von Schimpf und Schande ertragen, ohne darüber zu Grunde zu gehen. Auch die Olmützer Punctationen wird der preußische Staat zu verwinden wissen, wenn

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/454
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/454>, abgerufen am 22.07.2024.