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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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empfinden anders, reden anders, geberden sich anders; sie haben eine andere
Voraussehung der Bildung, eine andere Logik als die unsrige; wenn wir uns
mit einander verständigen wollten, so müßten wir anders reden, als uns um'ö
Herz ist, und solch halbes Wesen nutzt in der Politik nichts. Wenn uns die
Nothwendigkeit auf den nämlichen Weg treibt, so wird das geschehen, auch ohne
daß wir uns vorher scho'ne Dinge sagen.

Aber mit eiuer Clique, die auch geneigt ist, in die lyrischen Ergüsse des
Kladderadatsch über die Gothaer Würste einzustimmen, muß ich uoch ein Wörtchen
reden: mit der sogenannten specifisch-ministeriellen Partei, die bestimmt ist, bald
von den Absolutisten, bald von den Constitutionellen in'ö Schlepptau genommen
zu werden. Das Organ derselben -- das zugleich, wie ich glaube, der Inbegriff
der gesammten Partei ist -- hat sich bemüsfigt gefunden -- wahrscheinlich weil
der Redacteur von der constitutionellen Zeitung für einen Narren erklärt ist --
die Schande des ganzen vergangenen Jahres auf die constitutionelle Partei zu
wälzen. Das ist vou einem Blatt, das sich der Inspiration des Herrn v. Man-
teuffel rühmt, sehr unbesonnen. Wenn es uns Schande bringen soll, daß
ein Plan, den wir als den einzig verständigen auffaßten, den wir in jeder
Phase mit allen Kräften, die uns zur Disposition standen, unterstützt, deu wir
vou Anfang bis zu Ende in der Form, wie wir ihn zuerst aufgefaßt, gegen alle
Widersacher vertheidigt haben, daß dieser Plan ohne unsere Schuld gescheitert ist,
so frage ich: was soll man denn von der starken Regierung sagen, die sich diesen
Plan ohne innere Ueberzeugung von uns, deu Schwachen, octroyiren ließ, die
ihn zwar so ungeschickt als möglich, und so unredlich als möglich, aber doch so
weit verfolgte, daß sie sich darüber beinahe in einen Krieg mit ihren besten Freun-
den eingelassen hätte? daß sie erst in einem Augenblick umkehrte, wo es aller
Welt klar sein mußte, uur äußere Furcht sei der bestimmende Grund? Wenn
Einer das Recht hat, über uns zu spotten, so ist es sicher uicht die deutsche
Reform.

Was wir durch unsere Theilnahme am Staatsleben im letzten Jahr und durch
die damit verbundene Complicität bei zwei Schritten, die wir mißbilligten --> dem
Bruch mit Frankfurt und der willkürlichen Veränderung deö Wahlgesetzes -- dem
Staat und der liberalen Partei genützt haben, kann Jedermann in den "Nund-
schaneu" deö Herrn v. Gerlach nachlesen. Ich rechne dazu die Existenz einer
beschworenen Verfassung, die allerdings kein Muster, aber die noch immer viel
besser ist, als die vom 3. Februar 1847. Wenn die deutsche Reform meint, wir
wären die einzige Partei, die im Laufe der Revolution nichts producirt hätte, so
möchte ich doch wissen, was die ihrige, und was die Demokratie producirt haben?

Freilich sollten uus einige dunkle Worte der Absolutisten über die Zukunft
dieser Verfassung besorgt machen. Die Redaction der Kreuzzeitung erbietet sich,
der Krone auf persönlichen Credit hinlängliche Geldmittel zu verschaffen, damit


empfinden anders, reden anders, geberden sich anders; sie haben eine andere
Voraussehung der Bildung, eine andere Logik als die unsrige; wenn wir uns
mit einander verständigen wollten, so müßten wir anders reden, als uns um'ö
Herz ist, und solch halbes Wesen nutzt in der Politik nichts. Wenn uns die
Nothwendigkeit auf den nämlichen Weg treibt, so wird das geschehen, auch ohne
daß wir uns vorher scho'ne Dinge sagen.

Aber mit eiuer Clique, die auch geneigt ist, in die lyrischen Ergüsse des
Kladderadatsch über die Gothaer Würste einzustimmen, muß ich uoch ein Wörtchen
reden: mit der sogenannten specifisch-ministeriellen Partei, die bestimmt ist, bald
von den Absolutisten, bald von den Constitutionellen in'ö Schlepptau genommen
zu werden. Das Organ derselben — das zugleich, wie ich glaube, der Inbegriff
der gesammten Partei ist — hat sich bemüsfigt gefunden — wahrscheinlich weil
der Redacteur von der constitutionellen Zeitung für einen Narren erklärt ist —
die Schande des ganzen vergangenen Jahres auf die constitutionelle Partei zu
wälzen. Das ist vou einem Blatt, das sich der Inspiration des Herrn v. Man-
teuffel rühmt, sehr unbesonnen. Wenn es uns Schande bringen soll, daß
ein Plan, den wir als den einzig verständigen auffaßten, den wir in jeder
Phase mit allen Kräften, die uns zur Disposition standen, unterstützt, deu wir
vou Anfang bis zu Ende in der Form, wie wir ihn zuerst aufgefaßt, gegen alle
Widersacher vertheidigt haben, daß dieser Plan ohne unsere Schuld gescheitert ist,
so frage ich: was soll man denn von der starken Regierung sagen, die sich diesen
Plan ohne innere Ueberzeugung von uns, deu Schwachen, octroyiren ließ, die
ihn zwar so ungeschickt als möglich, und so unredlich als möglich, aber doch so
weit verfolgte, daß sie sich darüber beinahe in einen Krieg mit ihren besten Freun-
den eingelassen hätte? daß sie erst in einem Augenblick umkehrte, wo es aller
Welt klar sein mußte, uur äußere Furcht sei der bestimmende Grund? Wenn
Einer das Recht hat, über uns zu spotten, so ist es sicher uicht die deutsche
Reform.

Was wir durch unsere Theilnahme am Staatsleben im letzten Jahr und durch
die damit verbundene Complicität bei zwei Schritten, die wir mißbilligten —> dem
Bruch mit Frankfurt und der willkürlichen Veränderung deö Wahlgesetzes — dem
Staat und der liberalen Partei genützt haben, kann Jedermann in den „Nund-
schaneu" deö Herrn v. Gerlach nachlesen. Ich rechne dazu die Existenz einer
beschworenen Verfassung, die allerdings kein Muster, aber die noch immer viel
besser ist, als die vom 3. Februar 1847. Wenn die deutsche Reform meint, wir
wären die einzige Partei, die im Laufe der Revolution nichts producirt hätte, so
möchte ich doch wissen, was die ihrige, und was die Demokratie producirt haben?

Freilich sollten uus einige dunkle Worte der Absolutisten über die Zukunft
dieser Verfassung besorgt machen. Die Redaction der Kreuzzeitung erbietet sich,
der Krone auf persönlichen Credit hinlängliche Geldmittel zu verschaffen, damit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/452>, abgerufen am 22.07.2024.