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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Das Gute der Krisis.
Preußischer Brief.

Die zweite Periode unserer Revolution -- die Zeit vom 26. Mai 1849 bis
zu deu Olmützer Pnnctationen -- hat in ihrem Ausgang alle die Wunderlich¬
keiten zu einem Totaleindruck zuscmimengedrängt, die vorher in ihr aufgespeichert
waren. Jene berühmte Ministersitzuug, in welcher die Mobilisirnng der Armee
mit ihrem Urheber abgeworfen wurde, gleich darauf das Handschreiben an den
gestürzten Minister, gleich darauf die wirklich erfolgte Mobilisiruug nebst einem
wahrhaft heidnischen, indianischen Kriegsgeschrei in den Heerlagern der schwarz-
weißen Reaction, das kühne Vorrücken ans Fulda mit der Schlacht bei Brou-
zell, der ebenso kühne Rückzug aus strategischen Gründen, die Reise nach Ol-
mütz in der zwölften Stunde, endlich, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen,
das einer bessern Sache würdige Bonmot: Es ist die Eigenschaft des Starken,
sich zurückzuziehn -- das alles macht das Andenken einer Zeit, die wir gern
aus uuserer Geschichte vertilgen möchten, zu einem unauslöschlichen.

Ich muß Ihnen ehrlich gestehen, in Bezug auf unsere Partei bin ich froh,
daß die Zeit vorüber ist. Wie die Dänen bei Fridericia, haben wir uns zum
Schluß noch die theuer erkaufte Befriedigung gewährt, unsern bisherigen wer¬
then Freunden und Bundesgenossen einmal recht offen und vollständig zu sagen,
was wir vou ihnen denken und wie wir gegen sie empfinden. Vincke's Rede hat
diesem tiefgefühlten Bedürfniß abgeholfen. Sie ist so schlagend, und trifft mit
jedem ihrer Vorwürfe so tief in den Kern der Sache, daß der Ausruf des Mi¬
nisters, er wolle lieber Spitzkugeln ausgesetzt sein, als so spitzigen Reden, wohl
begreiflich ist, obgleich er ihn anders verstanden hat; er wollte selber spitzig sein,
aber die Spitze kehrte sich gegen ihn, wie das Herrn von Manteuffel schon einige
Male begegnet ist.


Grenzvoten. IV. 1850. 121
Das Gute der Krisis.
Preußischer Brief.

Die zweite Periode unserer Revolution — die Zeit vom 26. Mai 1849 bis
zu deu Olmützer Pnnctationen — hat in ihrem Ausgang alle die Wunderlich¬
keiten zu einem Totaleindruck zuscmimengedrängt, die vorher in ihr aufgespeichert
waren. Jene berühmte Ministersitzuug, in welcher die Mobilisirnng der Armee
mit ihrem Urheber abgeworfen wurde, gleich darauf das Handschreiben an den
gestürzten Minister, gleich darauf die wirklich erfolgte Mobilisiruug nebst einem
wahrhaft heidnischen, indianischen Kriegsgeschrei in den Heerlagern der schwarz-
weißen Reaction, das kühne Vorrücken ans Fulda mit der Schlacht bei Brou-
zell, der ebenso kühne Rückzug aus strategischen Gründen, die Reise nach Ol-
mütz in der zwölften Stunde, endlich, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen,
das einer bessern Sache würdige Bonmot: Es ist die Eigenschaft des Starken,
sich zurückzuziehn — das alles macht das Andenken einer Zeit, die wir gern
aus uuserer Geschichte vertilgen möchten, zu einem unauslöschlichen.

Ich muß Ihnen ehrlich gestehen, in Bezug auf unsere Partei bin ich froh,
daß die Zeit vorüber ist. Wie die Dänen bei Fridericia, haben wir uns zum
Schluß noch die theuer erkaufte Befriedigung gewährt, unsern bisherigen wer¬
then Freunden und Bundesgenossen einmal recht offen und vollständig zu sagen,
was wir vou ihnen denken und wie wir gegen sie empfinden. Vincke's Rede hat
diesem tiefgefühlten Bedürfniß abgeholfen. Sie ist so schlagend, und trifft mit
jedem ihrer Vorwürfe so tief in den Kern der Sache, daß der Ausruf des Mi¬
nisters, er wolle lieber Spitzkugeln ausgesetzt sein, als so spitzigen Reden, wohl
begreiflich ist, obgleich er ihn anders verstanden hat; er wollte selber spitzig sein,
aber die Spitze kehrte sich gegen ihn, wie das Herrn von Manteuffel schon einige
Male begegnet ist.


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[0449] Das Gute der Krisis. Preußischer Brief. Die zweite Periode unserer Revolution — die Zeit vom 26. Mai 1849 bis zu deu Olmützer Pnnctationen — hat in ihrem Ausgang alle die Wunderlich¬ keiten zu einem Totaleindruck zuscmimengedrängt, die vorher in ihr aufgespeichert waren. Jene berühmte Ministersitzuug, in welcher die Mobilisirnng der Armee mit ihrem Urheber abgeworfen wurde, gleich darauf das Handschreiben an den gestürzten Minister, gleich darauf die wirklich erfolgte Mobilisiruug nebst einem wahrhaft heidnischen, indianischen Kriegsgeschrei in den Heerlagern der schwarz- weißen Reaction, das kühne Vorrücken ans Fulda mit der Schlacht bei Brou- zell, der ebenso kühne Rückzug aus strategischen Gründen, die Reise nach Ol- mütz in der zwölften Stunde, endlich, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, das einer bessern Sache würdige Bonmot: Es ist die Eigenschaft des Starken, sich zurückzuziehn — das alles macht das Andenken einer Zeit, die wir gern aus uuserer Geschichte vertilgen möchten, zu einem unauslöschlichen. Ich muß Ihnen ehrlich gestehen, in Bezug auf unsere Partei bin ich froh, daß die Zeit vorüber ist. Wie die Dänen bei Fridericia, haben wir uns zum Schluß noch die theuer erkaufte Befriedigung gewährt, unsern bisherigen wer¬ then Freunden und Bundesgenossen einmal recht offen und vollständig zu sagen, was wir vou ihnen denken und wie wir gegen sie empfinden. Vincke's Rede hat diesem tiefgefühlten Bedürfniß abgeholfen. Sie ist so schlagend, und trifft mit jedem ihrer Vorwürfe so tief in den Kern der Sache, daß der Ausruf des Mi¬ nisters, er wolle lieber Spitzkugeln ausgesetzt sein, als so spitzigen Reden, wohl begreiflich ist, obgleich er ihn anders verstanden hat; er wollte selber spitzig sein, aber die Spitze kehrte sich gegen ihn, wie das Herrn von Manteuffel schon einige Male begegnet ist. Grenzvoten. IV. 1850. 121

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/449>, abgerufen am 22.07.2024.