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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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der Straße umherwandelten." Mit diesem Gedanken sprang ich an das
Fenster. Eine Dragoner-Ordonnanz hielt vor der Thür: "Rapport vom
--ten Bataillon! Ich habe mich in den vielen Colonnenwegen verirrt,
komme deshalb so spät," entschuldigt der nasse Reiter und reicht mir zum offnen
Fenster einen dicken Dienstbrief herein, der weiter nichts enthält, als die
gewöhnlichen Kranken- und Zngangslisten, und zu jeder Stunde des nächsten
Morgens früh genng gekommen wäre. Ich grolle der unnöthigen Störung und eile in
mein Bett zurück, aber mit dem Einschlafen war es vorläufig vorbei. Deun
wehe mir! Auch die Kinderstube war dnrch das Pochen aufgeweckt und Säug¬
linge, Amme und die größere Brut machten zusammen einen energischen und
dauerhaften Höllenlärm. Vergebens versuchte ich zu begreifen, welches Vergnügen
es für einen Mann sein könne, sein Haus mit schreienden Balgern anzufüllen,
bis endlich der Morgenschlummer seiue Decke von leichten Träumen ans
mich legte. Sie waren leider von kurzer Dauer. Mein Bedienter weckt mich,
als kaum die Dämmerung graut: "Der Herr General hat diesen Befehl herge¬
schickt." -- Eine liebenswürdige Votschaft: es war der Befehl, sogleich nach dein
-- ten Bataillon zu eilen und irgend etwas dort zu befehlen, damit die Aus¬
führung schon beim Vormittagsrapporte eintreffen könne. Für mich lag in dem
Auftrage der Reiz, daß ich jetzt Aussicht hatte, sämmtlichen Straßenkoth auch
auf der andern Seite des Hauptquartiers keimen zu lernen. Ich zog mit ernster
Dienstmicne die durchweichte Uniform wieder an, drängte mich nach hartem
Kampfe in die trauernden Stiefeln, nahm einen Schluck Portwein ans der Feld¬
flasche und trabte durch Nebel und Regen auf ödem Haideweg dem Dorfe zu,
in dem das Bataillon lag. Vor der Thür des ersten Bauernhauses dehnt sich
ein Bekannter mit großer Ruhe und gibt sich die unnütze Mühe, mich zu benei-
den, weil ich in der Stadt die Wohlthat eines Bettes genieße, welches für
Menschen gestopft sei, und uicht wie ein dickes Brod sich begnüge, auf dem Nabel
des Schläfers seinen Schwerpunkt zu finden und nach allen vier Zipfeln hin in
convexer Krümmung vom Leibe abzustarren. Ich beruhige ihn mit der Versiche¬
rung, daß ein Bett in der Stadt nur geringe Bedeutung habe, wenn man fort¬
dauernd außer Staude sei, darin zu liegen., und richte meinen Austrag aus.

Nach einigen Stunden bin ich nach Rendsburg zurückgekommen, habe nur eben
Zeit die beschmutzten Uniformstücke mit andern zu vertauschen und eile zum General,
den befohlenen Rapport abzustatten. Mein tapferer General zeigt mit faltigem
Antlitz, worin ich die Spuren innern Abscheu's zu lesen glaube, auf einen dicken
Stoß vou Listen und Dienstbriefen, welche ich aufarbeiten soll. Erst als die
Ordonnanz den Stoß zur Thür hinausträgt, kehrt die Seelenruhe auf dem wür¬
digen Heldengesicht zurück. Ich eile an meinen Schreibtisch. Mehrere Stunden
ununterbrochener Thätigkeit waren, wie ich voraussah, nöthig, um nur die Haupt¬
sachen, die Depeschen abzufertigen.


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der Straße umherwandelten." Mit diesem Gedanken sprang ich an das
Fenster. Eine Dragoner-Ordonnanz hielt vor der Thür: „Rapport vom
—ten Bataillon! Ich habe mich in den vielen Colonnenwegen verirrt,
komme deshalb so spät," entschuldigt der nasse Reiter und reicht mir zum offnen
Fenster einen dicken Dienstbrief herein, der weiter nichts enthält, als die
gewöhnlichen Kranken- und Zngangslisten, und zu jeder Stunde des nächsten
Morgens früh genng gekommen wäre. Ich grolle der unnöthigen Störung und eile in
mein Bett zurück, aber mit dem Einschlafen war es vorläufig vorbei. Deun
wehe mir! Auch die Kinderstube war dnrch das Pochen aufgeweckt und Säug¬
linge, Amme und die größere Brut machten zusammen einen energischen und
dauerhaften Höllenlärm. Vergebens versuchte ich zu begreifen, welches Vergnügen
es für einen Mann sein könne, sein Haus mit schreienden Balgern anzufüllen,
bis endlich der Morgenschlummer seiue Decke von leichten Träumen ans
mich legte. Sie waren leider von kurzer Dauer. Mein Bedienter weckt mich,
als kaum die Dämmerung graut: „Der Herr General hat diesen Befehl herge¬
schickt." — Eine liebenswürdige Votschaft: es war der Befehl, sogleich nach dein
— ten Bataillon zu eilen und irgend etwas dort zu befehlen, damit die Aus¬
führung schon beim Vormittagsrapporte eintreffen könne. Für mich lag in dem
Auftrage der Reiz, daß ich jetzt Aussicht hatte, sämmtlichen Straßenkoth auch
auf der andern Seite des Hauptquartiers keimen zu lernen. Ich zog mit ernster
Dienstmicne die durchweichte Uniform wieder an, drängte mich nach hartem
Kampfe in die trauernden Stiefeln, nahm einen Schluck Portwein ans der Feld¬
flasche und trabte durch Nebel und Regen auf ödem Haideweg dem Dorfe zu,
in dem das Bataillon lag. Vor der Thür des ersten Bauernhauses dehnt sich
ein Bekannter mit großer Ruhe und gibt sich die unnütze Mühe, mich zu benei-
den, weil ich in der Stadt die Wohlthat eines Bettes genieße, welches für
Menschen gestopft sei, und uicht wie ein dickes Brod sich begnüge, auf dem Nabel
des Schläfers seinen Schwerpunkt zu finden und nach allen vier Zipfeln hin in
convexer Krümmung vom Leibe abzustarren. Ich beruhige ihn mit der Versiche¬
rung, daß ein Bett in der Stadt nur geringe Bedeutung habe, wenn man fort¬
dauernd außer Staude sei, darin zu liegen., und richte meinen Austrag aus.

Nach einigen Stunden bin ich nach Rendsburg zurückgekommen, habe nur eben
Zeit die beschmutzten Uniformstücke mit andern zu vertauschen und eile zum General,
den befohlenen Rapport abzustatten. Mein tapferer General zeigt mit faltigem
Antlitz, worin ich die Spuren innern Abscheu's zu lesen glaube, auf einen dicken
Stoß vou Listen und Dienstbriefen, welche ich aufarbeiten soll. Erst als die
Ordonnanz den Stoß zur Thür hinausträgt, kehrt die Seelenruhe auf dem wür¬
digen Heldengesicht zurück. Ich eile an meinen Schreibtisch. Mehrere Stunden
ununterbrochener Thätigkeit waren, wie ich voraussah, nöthig, um nur die Haupt¬
sachen, die Depeschen abzufertigen.


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[0411] der Straße umherwandelten." Mit diesem Gedanken sprang ich an das Fenster. Eine Dragoner-Ordonnanz hielt vor der Thür: „Rapport vom —ten Bataillon! Ich habe mich in den vielen Colonnenwegen verirrt, komme deshalb so spät," entschuldigt der nasse Reiter und reicht mir zum offnen Fenster einen dicken Dienstbrief herein, der weiter nichts enthält, als die gewöhnlichen Kranken- und Zngangslisten, und zu jeder Stunde des nächsten Morgens früh genng gekommen wäre. Ich grolle der unnöthigen Störung und eile in mein Bett zurück, aber mit dem Einschlafen war es vorläufig vorbei. Deun wehe mir! Auch die Kinderstube war dnrch das Pochen aufgeweckt und Säug¬ linge, Amme und die größere Brut machten zusammen einen energischen und dauerhaften Höllenlärm. Vergebens versuchte ich zu begreifen, welches Vergnügen es für einen Mann sein könne, sein Haus mit schreienden Balgern anzufüllen, bis endlich der Morgenschlummer seiue Decke von leichten Träumen ans mich legte. Sie waren leider von kurzer Dauer. Mein Bedienter weckt mich, als kaum die Dämmerung graut: „Der Herr General hat diesen Befehl herge¬ schickt." — Eine liebenswürdige Votschaft: es war der Befehl, sogleich nach dein — ten Bataillon zu eilen und irgend etwas dort zu befehlen, damit die Aus¬ führung schon beim Vormittagsrapporte eintreffen könne. Für mich lag in dem Auftrage der Reiz, daß ich jetzt Aussicht hatte, sämmtlichen Straßenkoth auch auf der andern Seite des Hauptquartiers keimen zu lernen. Ich zog mit ernster Dienstmicne die durchweichte Uniform wieder an, drängte mich nach hartem Kampfe in die trauernden Stiefeln, nahm einen Schluck Portwein ans der Feld¬ flasche und trabte durch Nebel und Regen auf ödem Haideweg dem Dorfe zu, in dem das Bataillon lag. Vor der Thür des ersten Bauernhauses dehnt sich ein Bekannter mit großer Ruhe und gibt sich die unnütze Mühe, mich zu benei- den, weil ich in der Stadt die Wohlthat eines Bettes genieße, welches für Menschen gestopft sei, und uicht wie ein dickes Brod sich begnüge, auf dem Nabel des Schläfers seinen Schwerpunkt zu finden und nach allen vier Zipfeln hin in convexer Krümmung vom Leibe abzustarren. Ich beruhige ihn mit der Versiche¬ rung, daß ein Bett in der Stadt nur geringe Bedeutung habe, wenn man fort¬ dauernd außer Staude sei, darin zu liegen., und richte meinen Austrag aus. Nach einigen Stunden bin ich nach Rendsburg zurückgekommen, habe nur eben Zeit die beschmutzten Uniformstücke mit andern zu vertauschen und eile zum General, den befohlenen Rapport abzustatten. Mein tapferer General zeigt mit faltigem Antlitz, worin ich die Spuren innern Abscheu's zu lesen glaube, auf einen dicken Stoß vou Listen und Dienstbriefen, welche ich aufarbeiten soll. Erst als die Ordonnanz den Stoß zur Thür hinausträgt, kehrt die Seelenruhe auf dem wür¬ digen Heldengesicht zurück. Ich eile an meinen Schreibtisch. Mehrere Stunden ununterbrochener Thätigkeit waren, wie ich voraussah, nöthig, um nur die Haupt¬ sachen, die Depeschen abzufertigen. 116*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/411>, abgerufen am 23.07.2024.