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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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zelnen für uns durchaus nicht mehr nachweisbar ist die Ostgrenze, wo nicht einmal
derartige Markscheiden, wie sie die beiden große Ströme im Süden und Westen
geben, vorhanden sind, wo sich das weite Tiefland unabsehrbar einförmig bis
an's kaspische und schwarze Meer hin erstreckt. Hier bestanden viele Jahrhunderte
hindurch höchst unsichere Verhältnisse: finnische, tartarische, slavische Stämme, zum
Theil wohl auch noch die Trümmer neidischer Bevölkerung, saßen dort neben und
zwischen deutschen Völkerschaften, gewöhnlich unvermischt mit ihnen, mitunter aber
auch zu wirklichen Mischvölkern verbunden oder auch nur als Unterthanen der
Deutschen.

Denkt mau sich eine Linie von der Mündung der Theiß in die Donan bis
zur Mündung der Dura gezogen, so würden nicht blos alle rein deutschen Stämme,
sondern auch die meisten dieser erwähnten Mischvölker innerhalb derselben liegen:
die Weichsel aber als Grenze angenommen, hätten wir auf ihrem linken Ufer
während des Anfangs und der ersten Jahrhunderte unserer Geschichte nur rein¬
deutsche Völkerschaften zu suchen. Am festesten hatte die Natur vom Anfange an
die Nordgrenze bestimmt; es waren die Wellen der Nord- und Ostsee von der
Mündung des Rheins bis zu jeuer der Dura, welche überall deutsche Küsten im
Süden bespülten, denn auch das heutige Jütland, gegenwärtig von Dänen ein¬
genommen, war damals von Deutschen bewohnt. Auf diesem so ungenügend
begrenzten Gebiete, welches durch Ströme und Gebirge so mannigfach zerschnitten
ist, saß damals unser Volk, so wenig wie heute eine compacte Einheit, sondern
in eine bunte mannigfache Reihe von Unterabteilungen und Völkerschaften ver¬
zweigt, deren Entstehung ebenso vor alle Geschichte fällt, wie die Trennung von
dem Urvolke. Aber trotz aller Zersplitterung, trotz aller einzelnen Stammes¬
unterschiede machten diese Glieder doch ans alle Fremden den Eindruck des Zu-
sammengehörens zu einem großen Ganzen, zu einer fest bestimmten, nach außen
hiu abgegrenzten Nationalität, und darum bezeichneten sie auch alle Theile unseres
Volkes mit einem und dem nämlichen Gesammtnamen, Germanen, ein Wort,
wahrscheinlich der celtischen Sprache entnommen und von da aus auch zu Römern
und Griechen verpflanzt, während es den Deutschen fremd geblieben ist. Sich
selbst aber nannte es mit der Unbefangenheit, welche die Culturstufe, auf der es
stand, nothwendig mit sich brachte, vorzugsweise das Volk, mit einem unserer
älteren Sprache lange geläufigen Worte, das in feiner ältesten Form tlüuäa lautet
und wovon unser jetziges "deutsch" das Adjectivum ist. Möglich ist es, daß bei
dieser Bezeichnung der Gedanke an die gemeinsame Sprache als das eigentlich
festeste und innerlichste nationale Band vorschwebte. Das aber ist festzuhalten,
daß vom Anfange an ein bestimmtes Bewußtsein der Nationalität, wenn anch
mehr in Beziehung nach außen als nach innen, mehr in der schroffen Absonderung
von dem Fremden als in festem und freundlichem Anschließen an den Landsmann
und Volksgenossen sichtbar, vorhanden gewesen ist. --


zelnen für uns durchaus nicht mehr nachweisbar ist die Ostgrenze, wo nicht einmal
derartige Markscheiden, wie sie die beiden große Ströme im Süden und Westen
geben, vorhanden sind, wo sich das weite Tiefland unabsehrbar einförmig bis
an's kaspische und schwarze Meer hin erstreckt. Hier bestanden viele Jahrhunderte
hindurch höchst unsichere Verhältnisse: finnische, tartarische, slavische Stämme, zum
Theil wohl auch noch die Trümmer neidischer Bevölkerung, saßen dort neben und
zwischen deutschen Völkerschaften, gewöhnlich unvermischt mit ihnen, mitunter aber
auch zu wirklichen Mischvölkern verbunden oder auch nur als Unterthanen der
Deutschen.

Denkt mau sich eine Linie von der Mündung der Theiß in die Donan bis
zur Mündung der Dura gezogen, so würden nicht blos alle rein deutschen Stämme,
sondern auch die meisten dieser erwähnten Mischvölker innerhalb derselben liegen:
die Weichsel aber als Grenze angenommen, hätten wir auf ihrem linken Ufer
während des Anfangs und der ersten Jahrhunderte unserer Geschichte nur rein¬
deutsche Völkerschaften zu suchen. Am festesten hatte die Natur vom Anfange an
die Nordgrenze bestimmt; es waren die Wellen der Nord- und Ostsee von der
Mündung des Rheins bis zu jeuer der Dura, welche überall deutsche Küsten im
Süden bespülten, denn auch das heutige Jütland, gegenwärtig von Dänen ein¬
genommen, war damals von Deutschen bewohnt. Auf diesem so ungenügend
begrenzten Gebiete, welches durch Ströme und Gebirge so mannigfach zerschnitten
ist, saß damals unser Volk, so wenig wie heute eine compacte Einheit, sondern
in eine bunte mannigfache Reihe von Unterabteilungen und Völkerschaften ver¬
zweigt, deren Entstehung ebenso vor alle Geschichte fällt, wie die Trennung von
dem Urvolke. Aber trotz aller Zersplitterung, trotz aller einzelnen Stammes¬
unterschiede machten diese Glieder doch ans alle Fremden den Eindruck des Zu-
sammengehörens zu einem großen Ganzen, zu einer fest bestimmten, nach außen
hiu abgegrenzten Nationalität, und darum bezeichneten sie auch alle Theile unseres
Volkes mit einem und dem nämlichen Gesammtnamen, Germanen, ein Wort,
wahrscheinlich der celtischen Sprache entnommen und von da aus auch zu Römern
und Griechen verpflanzt, während es den Deutschen fremd geblieben ist. Sich
selbst aber nannte es mit der Unbefangenheit, welche die Culturstufe, auf der es
stand, nothwendig mit sich brachte, vorzugsweise das Volk, mit einem unserer
älteren Sprache lange geläufigen Worte, das in feiner ältesten Form tlüuäa lautet
und wovon unser jetziges „deutsch" das Adjectivum ist. Möglich ist es, daß bei
dieser Bezeichnung der Gedanke an die gemeinsame Sprache als das eigentlich
festeste und innerlichste nationale Band vorschwebte. Das aber ist festzuhalten,
daß vom Anfange an ein bestimmtes Bewußtsein der Nationalität, wenn anch
mehr in Beziehung nach außen als nach innen, mehr in der schroffen Absonderung
von dem Fremden als in festem und freundlichem Anschließen an den Landsmann
und Volksgenossen sichtbar, vorhanden gewesen ist. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/400>, abgerufen am 22.07.2024.