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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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in seinem Charakter so glücklich zu Eins verschmolzen, daß er auf jedem Posten
für deu Anfang seine Umgebung für sich gewinnen und sich später in seine
Stellung mit Talent hineinarbeiten wird.

Wenn wir hier noch des Deputirten Kaloczy und Diosy's Erwähnung
thun, der in der letzten Zeit des ungarischen Krieges einer von Kossuth's Secre-
tären war, nach langen Irrfahrten in England landete und jetzt in einem AuS-
wandernngs-Comptoir zu Liverpool eine sehr bescheidene Anstellung gefunden hat,
so glauben wir die Namen der ungarisch-englischen Emigration, in so fern sie
von der revolutionären Regierung außerhalb des Schlachtfeldes verwendet wurden,
alle genannt zu haben.

Schon dadurch unterscheidet sich die französische Emigration von der eng¬
lischen, daß in London meist flüchtige Militärs Zuflucht gesucht haben, während in
Paris durch Teleki, Szemere, Vuccovich, Horvath ze. das diplomatische Element
zahlreicher vertreten ist. Auch all die Andern, welche nach Amerika auswanderten
-- und unter diesen waren viele Militärs -- haben Europa nicht verlassen, be¬
vor sie sich nicht längere oder kürzere Zeit in London aufhielten. Der Grund
davon ist darin zu suchen, daß die gedienten Honved, ihre Officiere Mit einge¬
rechnet, im Drange des Augenblickes ihr Vaterland oft von allen Mitteln ent¬
blößt verlassen hatten, daß die Sympathien der Engländer für Ungarn sich nach
dessen Niederlage wirksamer bethätigten als der funkensprühende Enthusiasmus der
Franzosen, daß durch die Bemühungen Lord Dudley Stuart's, Cobden's und
einiger Banquiers mehrere tausend Pfund zusammengebracht wurden, und daß
die Emigranten in London einen Zehrpfennig für ihre Reise über's Weltmeer zu
finden wußten. Die Emigration in England charakterisirte sich daher bald nicht
blos als eine mehr militärische, sondern als eine wechselnde und geldbenöthigende,
und das ungarische Comite in London, an dessen Spitze Pulszky steht, war bis
jetzt nicht in die traurige Lage gerathen, irgend einem Flüchtling, der sich zur Aus¬
wanderung nach Amerika meldete, eine bescheidene Aushülfe versagen zu müssen.

So beherbergte Loudon nach einander: Nombauer aus der Zips, einen
gebildeten, talentvollen Montanisten, dem ein Sohn gefallen war, während der
zweite in ein östreichisches Regiment gesteckt wurde. Er wandte sich mit mehreren
Begleitern nach Califorien, um seinem Schmerze und vielleicht sich selber an den
Ufern des Sacramentoflusses ein goldenes Grab auszuhöhlen. Gorove, gewe¬
sener Secretär des Landtags, fand in England seines Bleibens nicht, wanderte
nach Paris und von dort nach Genf. Obrist Kisz, der Neffe des gleichnamigen
Gouverneurs von Finne, sollte den Wechsel des Glücks am bittersten empfinden.
Er, der früher einen Jahresgehalt von 6000 si. aus der Casse seines Oheims
erhielt, einer der elegantesten Salonhelden, der das Vermögen eines Monte
Christo mit ebenso viel Grazie als Geschmack zu verwenden verstehen würde, sah
sich durch die Entziehung jeuer Unterstützung in die unbequeme Lage versetzt, seine


in seinem Charakter so glücklich zu Eins verschmolzen, daß er auf jedem Posten
für deu Anfang seine Umgebung für sich gewinnen und sich später in seine
Stellung mit Talent hineinarbeiten wird.

Wenn wir hier noch des Deputirten Kaloczy und Diosy's Erwähnung
thun, der in der letzten Zeit des ungarischen Krieges einer von Kossuth's Secre-
tären war, nach langen Irrfahrten in England landete und jetzt in einem AuS-
wandernngs-Comptoir zu Liverpool eine sehr bescheidene Anstellung gefunden hat,
so glauben wir die Namen der ungarisch-englischen Emigration, in so fern sie
von der revolutionären Regierung außerhalb des Schlachtfeldes verwendet wurden,
alle genannt zu haben.

Schon dadurch unterscheidet sich die französische Emigration von der eng¬
lischen, daß in London meist flüchtige Militärs Zuflucht gesucht haben, während in
Paris durch Teleki, Szemere, Vuccovich, Horvath ze. das diplomatische Element
zahlreicher vertreten ist. Auch all die Andern, welche nach Amerika auswanderten
— und unter diesen waren viele Militärs — haben Europa nicht verlassen, be¬
vor sie sich nicht längere oder kürzere Zeit in London aufhielten. Der Grund
davon ist darin zu suchen, daß die gedienten Honved, ihre Officiere Mit einge¬
rechnet, im Drange des Augenblickes ihr Vaterland oft von allen Mitteln ent¬
blößt verlassen hatten, daß die Sympathien der Engländer für Ungarn sich nach
dessen Niederlage wirksamer bethätigten als der funkensprühende Enthusiasmus der
Franzosen, daß durch die Bemühungen Lord Dudley Stuart's, Cobden's und
einiger Banquiers mehrere tausend Pfund zusammengebracht wurden, und daß
die Emigranten in London einen Zehrpfennig für ihre Reise über's Weltmeer zu
finden wußten. Die Emigration in England charakterisirte sich daher bald nicht
blos als eine mehr militärische, sondern als eine wechselnde und geldbenöthigende,
und das ungarische Comite in London, an dessen Spitze Pulszky steht, war bis
jetzt nicht in die traurige Lage gerathen, irgend einem Flüchtling, der sich zur Aus¬
wanderung nach Amerika meldete, eine bescheidene Aushülfe versagen zu müssen.

So beherbergte Loudon nach einander: Nombauer aus der Zips, einen
gebildeten, talentvollen Montanisten, dem ein Sohn gefallen war, während der
zweite in ein östreichisches Regiment gesteckt wurde. Er wandte sich mit mehreren
Begleitern nach Califorien, um seinem Schmerze und vielleicht sich selber an den
Ufern des Sacramentoflusses ein goldenes Grab auszuhöhlen. Gorove, gewe¬
sener Secretär des Landtags, fand in England seines Bleibens nicht, wanderte
nach Paris und von dort nach Genf. Obrist Kisz, der Neffe des gleichnamigen
Gouverneurs von Finne, sollte den Wechsel des Glücks am bittersten empfinden.
Er, der früher einen Jahresgehalt von 6000 si. aus der Casse seines Oheims
erhielt, einer der elegantesten Salonhelden, der das Vermögen eines Monte
Christo mit ebenso viel Grazie als Geschmack zu verwenden verstehen würde, sah
sich durch die Entziehung jeuer Unterstützung in die unbequeme Lage versetzt, seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/396>, abgerufen am 23.06.2024.