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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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englischer Sprache; in Australien und Tasmanien >L7, in ganz Amerika ungefähr
1900, unter andern ein Negerblatt: "1Ac KiMs vt ^11", und eine Judianer-
zeituug: "IKv OderoKee ?denix". Jede wichtige Neuigkeit verbreitet sich mit
der Schnelligkeit des Blitzes über die Erde; ihr tausendfaches Echo hallt über
die ganze Welt -- denn die elektrische Kraft dient dem Gedanken und den That¬
sachen. Das britische Museum, das ungefähr 4000 Bände Zeitungen gesammelt
hat, besitzt nicht die Hälfte von denen, welche erschienen siud und noch erscheinen.

Wie wurde diese gewaltige Macht geboren? Das Werk KniKkt-Rund's sagt^es
uns nicht, obgleich es wohl der Mühe werth gewesen wäre.

Kaum hatte Gutenberg die große Erfindung der beweglichen Typen gemacht,
so gaben seine Nachahmer auf kleinen Quartblättern die neuesten Nachrichten heraus,
welche mit großer Begier an den Kirchthüren, auf deu Märkten, den Messen und
in den Schenken gekauft wurden. "Man riß sich diese Blätter aus deu Händen
(sagt eine lateinische Note ^all-lau 6e puis, die ein belgischer Archivar, Gurtat,
aus einem Mscpt. des 15. Jahrhunderts mittheilt), Jedermann gab gern Geld,
um diese Blätter zu lesen, welche die Mainzer und Straßburger Drucker in großer
Anzahl verbreiteten. Man erfuhr daraus die Angelegelcheiteu der Türkei (lureo-
i'uni Kesla), die neuesten Ereignisse (Mvissima Aesla); namentlich in Paris fanden
diese Blätter eiuen starken Absatz."

Das war der Anfang der Tagespresse. Ihre Entstehung war eine noth¬
wendige Folge des sich erweiternden Weltverkehrs. Schon seit langer Zeit hatten
die Haudelövölker Europa's, die Venetianer, die Genuesen, die Flamänder, die
Bürger der Hansestädte ihren Bedürfnissen durch mehr oder minder zuverlässige
handschriftliche Correspondenzen abzuhelfen gesucht. Sie führten den Titel: llo-
tl2le serMs, Zeitungen, Relationen; zwischen 1580 und 1610 wurde es Sitte,
sie zu drucken, sie erschienen aber unregelmäßig. Ohne regelmäßige und voll¬
ständige Periodicität gibt es uoch kein wahres Zeitungswesen.

Anfangs schenkte man einer Thatsache, die der Keim einer der wichtigsten
in der Geschichte werden sollte, keine große Aufmerksamkeit. Um was handelte
es sich? Um die Neuigkeitsblätter, die man früher im Manuscript gelesen und
die jetzt gedruckt wurden. Die Zeitungen und die venetianischen Gazellen erschienen
noch nicht regelmäßig. In England zog man immer noch die Correspondenten
vor, die sich schon seit dem Mittelalter reiche Grundbesitzer und die größten Gast¬
wirthe in den Grafschaften in London hielten, und deren einziges Geschäft
darin bestand, die Gerüchte und Neuigkeiten zu sammeln, die sie aufschrieben und
in die Provinz schickten. Man nannte diese Briefe M^s-I^eUers (Nenigkeits-
briefe); der Neuigkeitssammler von Profession, eine Classe, die sich, seitdem die
Reformation die Klöster geleert, sehr stark durch die Mouche recrutirt hatte, war
zu einem Typus geworden, den Ben Jonson in seiner Sammlung nicht vergessen
hat. "Guten Tag, Vortrefflicher," sagt Einer zu dem Neuigkeitssammler von


113*

englischer Sprache; in Australien und Tasmanien >L7, in ganz Amerika ungefähr
1900, unter andern ein Negerblatt: „1Ac KiMs vt ^11", und eine Judianer-
zeituug: „IKv OderoKee ?denix". Jede wichtige Neuigkeit verbreitet sich mit
der Schnelligkeit des Blitzes über die Erde; ihr tausendfaches Echo hallt über
die ganze Welt — denn die elektrische Kraft dient dem Gedanken und den That¬
sachen. Das britische Museum, das ungefähr 4000 Bände Zeitungen gesammelt
hat, besitzt nicht die Hälfte von denen, welche erschienen siud und noch erscheinen.

Wie wurde diese gewaltige Macht geboren? Das Werk KniKkt-Rund's sagt^es
uns nicht, obgleich es wohl der Mühe werth gewesen wäre.

Kaum hatte Gutenberg die große Erfindung der beweglichen Typen gemacht,
so gaben seine Nachahmer auf kleinen Quartblättern die neuesten Nachrichten heraus,
welche mit großer Begier an den Kirchthüren, auf deu Märkten, den Messen und
in den Schenken gekauft wurden. „Man riß sich diese Blätter aus deu Händen
(sagt eine lateinische Note ^all-lau 6e puis, die ein belgischer Archivar, Gurtat,
aus einem Mscpt. des 15. Jahrhunderts mittheilt), Jedermann gab gern Geld,
um diese Blätter zu lesen, welche die Mainzer und Straßburger Drucker in großer
Anzahl verbreiteten. Man erfuhr daraus die Angelegelcheiteu der Türkei (lureo-
i'uni Kesla), die neuesten Ereignisse (Mvissima Aesla); namentlich in Paris fanden
diese Blätter eiuen starken Absatz."

Das war der Anfang der Tagespresse. Ihre Entstehung war eine noth¬
wendige Folge des sich erweiternden Weltverkehrs. Schon seit langer Zeit hatten
die Haudelövölker Europa's, die Venetianer, die Genuesen, die Flamänder, die
Bürger der Hansestädte ihren Bedürfnissen durch mehr oder minder zuverlässige
handschriftliche Correspondenzen abzuhelfen gesucht. Sie führten den Titel: llo-
tl2le serMs, Zeitungen, Relationen; zwischen 1580 und 1610 wurde es Sitte,
sie zu drucken, sie erschienen aber unregelmäßig. Ohne regelmäßige und voll¬
ständige Periodicität gibt es uoch kein wahres Zeitungswesen.

Anfangs schenkte man einer Thatsache, die der Keim einer der wichtigsten
in der Geschichte werden sollte, keine große Aufmerksamkeit. Um was handelte
es sich? Um die Neuigkeitsblätter, die man früher im Manuscript gelesen und
die jetzt gedruckt wurden. Die Zeitungen und die venetianischen Gazellen erschienen
noch nicht regelmäßig. In England zog man immer noch die Correspondenten
vor, die sich schon seit dem Mittelalter reiche Grundbesitzer und die größten Gast¬
wirthe in den Grafschaften in London hielten, und deren einziges Geschäft
darin bestand, die Gerüchte und Neuigkeiten zu sammeln, die sie aufschrieben und
in die Provinz schickten. Man nannte diese Briefe M^s-I^eUers (Nenigkeits-
briefe); der Neuigkeitssammler von Profession, eine Classe, die sich, seitdem die
Reformation die Klöster geleert, sehr stark durch die Mouche recrutirt hatte, war
zu einem Typus geworden, den Ben Jonson in seiner Sammlung nicht vergessen
hat. „Guten Tag, Vortrefflicher," sagt Einer zu dem Neuigkeitssammler von


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[0387] englischer Sprache; in Australien und Tasmanien >L7, in ganz Amerika ungefähr 1900, unter andern ein Negerblatt: „1Ac KiMs vt ^11", und eine Judianer- zeituug: „IKv OderoKee ?denix". Jede wichtige Neuigkeit verbreitet sich mit der Schnelligkeit des Blitzes über die Erde; ihr tausendfaches Echo hallt über die ganze Welt — denn die elektrische Kraft dient dem Gedanken und den That¬ sachen. Das britische Museum, das ungefähr 4000 Bände Zeitungen gesammelt hat, besitzt nicht die Hälfte von denen, welche erschienen siud und noch erscheinen. Wie wurde diese gewaltige Macht geboren? Das Werk KniKkt-Rund's sagt^es uns nicht, obgleich es wohl der Mühe werth gewesen wäre. Kaum hatte Gutenberg die große Erfindung der beweglichen Typen gemacht, so gaben seine Nachahmer auf kleinen Quartblättern die neuesten Nachrichten heraus, welche mit großer Begier an den Kirchthüren, auf deu Märkten, den Messen und in den Schenken gekauft wurden. „Man riß sich diese Blätter aus deu Händen (sagt eine lateinische Note ^all-lau 6e puis, die ein belgischer Archivar, Gurtat, aus einem Mscpt. des 15. Jahrhunderts mittheilt), Jedermann gab gern Geld, um diese Blätter zu lesen, welche die Mainzer und Straßburger Drucker in großer Anzahl verbreiteten. Man erfuhr daraus die Angelegelcheiteu der Türkei (lureo- i'uni Kesla), die neuesten Ereignisse (Mvissima Aesla); namentlich in Paris fanden diese Blätter eiuen starken Absatz." Das war der Anfang der Tagespresse. Ihre Entstehung war eine noth¬ wendige Folge des sich erweiternden Weltverkehrs. Schon seit langer Zeit hatten die Haudelövölker Europa's, die Venetianer, die Genuesen, die Flamänder, die Bürger der Hansestädte ihren Bedürfnissen durch mehr oder minder zuverlässige handschriftliche Correspondenzen abzuhelfen gesucht. Sie führten den Titel: llo- tl2le serMs, Zeitungen, Relationen; zwischen 1580 und 1610 wurde es Sitte, sie zu drucken, sie erschienen aber unregelmäßig. Ohne regelmäßige und voll¬ ständige Periodicität gibt es uoch kein wahres Zeitungswesen. Anfangs schenkte man einer Thatsache, die der Keim einer der wichtigsten in der Geschichte werden sollte, keine große Aufmerksamkeit. Um was handelte es sich? Um die Neuigkeitsblätter, die man früher im Manuscript gelesen und die jetzt gedruckt wurden. Die Zeitungen und die venetianischen Gazellen erschienen noch nicht regelmäßig. In England zog man immer noch die Correspondenten vor, die sich schon seit dem Mittelalter reiche Grundbesitzer und die größten Gast¬ wirthe in den Grafschaften in London hielten, und deren einziges Geschäft darin bestand, die Gerüchte und Neuigkeiten zu sammeln, die sie aufschrieben und in die Provinz schickten. Man nannte diese Briefe M^s-I^eUers (Nenigkeits- briefe); der Neuigkeitssammler von Profession, eine Classe, die sich, seitdem die Reformation die Klöster geleert, sehr stark durch die Mouche recrutirt hatte, war zu einem Typus geworden, den Ben Jonson in seiner Sammlung nicht vergessen hat. „Guten Tag, Vortrefflicher," sagt Einer zu dem Neuigkeitssammler von 113*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/387>, abgerufen am 22.07.2024.