Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Es ist daher dem Princip ganz entsprechend, wenn der Graf von Chambord
und sein verantwortliches Ministerium, (wozu anch Herr Berryer gehört, einer
der Abgeordneten, denen die Nationalversammlung die Huth der Eonstitntion,
d. h. der Republik, anvertraut hat) sich mit großer Entschiedenheit gegen ein
solches Verfahren erklärten, und diese Erklärung in einer Art Bulle veröffentlich¬
ten. Larochejacquelein hat daraus Gelegenheit genommen, mit seiner Partei zu
brechen; er nimmt die thatsächlichen Zustände an, und stellt die Zukauft Gott
anheim, indem er hinzusetzt, er habe nie an das Mystische, das man in den Be¬
griff der Legitimität zu legen suche, geglaubt, er könne sie uur als einen Ausfluß
des Volkswilleuö begreifen.

Wenn mau nun aber auch zugeben muß, daß die übrigem Legitimisten in
ihrenl Treiben cousequenter sind, so ulnß man doch die Frage auswerfen: wie
denken sie sich denn eigentlich die Umwandlung der jetzigen Zustände, wenn sie
nicht dnrch das Volk geschehen soll? -- Sie werden sich hüten, auf diese Frage
eine directe Autwort zu geben. -- Es ist mit dein Princip der Legitimität, wenn
man es abstract faßt, nichts anzufangen, es ist unfruchtbar, und gewährt we¬
der einen politischen, noch einen sittlichen Halt, denn was kann unsittlicher sein,
als dieser Jesuitismus? der als Hort einer ihm verhaßten Verfassung allstritt,
um sie als Waffe für ein ihr feindliches Princip zu gebrauchen.

Wo möglich einen noch widerwärtigern Eindruck machen unsere deutschen
Legitimisten. Obgleich sie uuter einander selber hadern, weil ihre eigeuen Rechts-
ansprüche collidiren, so gleichen sie einander doch wie die Wassertropfen. Der
eigentliche Sinn aller Operationen, durch welche in ganz Deutschland jetzt die
alten Zustände wiederhergestellt werden, ist der: wir waren früher in Noth, und
darum haben wir euch alle Zugeständnisse gemacht, die ihr irgend verlangt habt,
jetzt hat das aufgehört, wir nehmen unsere Zugeständnisse wieder zurück. -- So
offen wird das fast nirgend gesagt, nicht einmal in Oestreich, die legitime Form
ist: wir haben den neuen Rechtszustand nnr nnter der Bedingung anerkannt, daß
etwas Ersprießliches dabei herauskommt, das ist nicht geschehen, wir sind also nicht
gebunden. So hat Oestreich und Preußen gesprocheu, so Sachsen zu seinem
Volke, so spricht jetzt der von Oestreich in ein Scheinleben galvanisirte Bundestag
zu Preußen. Je mehr der Schein des Rechts gewahrt wird, desto empfindlicher
wird das lebendige Rechtsgefühl verletzt. Vielleicht am meisten bei der Erledigung
der meklenburg-schiveriu'schen Verfassungsfrage. Das Schiedsgericht hat sich
beeilt, nicht nnr die Competenz der rechtlich aufgelösten Ritterschaft zu erkennen
-- in der hannöverschen Sache im Jahre 1838 war man darin bedenklicher --
sondern man hat auch ihre juristischem Spitzfindigkeiten adoptirt in einem Verhältniß,
das aus dem Großen geschnitzt ist. Weil eine Formalität fehlt, die Verhandlungen
mit den beiden Seestädten Rostock und Wismar, und weil der Strelitzer Hof, den
man zu Anfang des Verfassnngswerks als gebunden ansah, sich zurückgezognen hat,


Es ist daher dem Princip ganz entsprechend, wenn der Graf von Chambord
und sein verantwortliches Ministerium, (wozu anch Herr Berryer gehört, einer
der Abgeordneten, denen die Nationalversammlung die Huth der Eonstitntion,
d. h. der Republik, anvertraut hat) sich mit großer Entschiedenheit gegen ein
solches Verfahren erklärten, und diese Erklärung in einer Art Bulle veröffentlich¬
ten. Larochejacquelein hat daraus Gelegenheit genommen, mit seiner Partei zu
brechen; er nimmt die thatsächlichen Zustände an, und stellt die Zukauft Gott
anheim, indem er hinzusetzt, er habe nie an das Mystische, das man in den Be¬
griff der Legitimität zu legen suche, geglaubt, er könne sie uur als einen Ausfluß
des Volkswilleuö begreifen.

Wenn mau nun aber auch zugeben muß, daß die übrigem Legitimisten in
ihrenl Treiben cousequenter sind, so ulnß man doch die Frage auswerfen: wie
denken sie sich denn eigentlich die Umwandlung der jetzigen Zustände, wenn sie
nicht dnrch das Volk geschehen soll? — Sie werden sich hüten, auf diese Frage
eine directe Autwort zu geben. — Es ist mit dein Princip der Legitimität, wenn
man es abstract faßt, nichts anzufangen, es ist unfruchtbar, und gewährt we¬
der einen politischen, noch einen sittlichen Halt, denn was kann unsittlicher sein,
als dieser Jesuitismus? der als Hort einer ihm verhaßten Verfassung allstritt,
um sie als Waffe für ein ihr feindliches Princip zu gebrauchen.

Wo möglich einen noch widerwärtigern Eindruck machen unsere deutschen
Legitimisten. Obgleich sie uuter einander selber hadern, weil ihre eigeuen Rechts-
ansprüche collidiren, so gleichen sie einander doch wie die Wassertropfen. Der
eigentliche Sinn aller Operationen, durch welche in ganz Deutschland jetzt die
alten Zustände wiederhergestellt werden, ist der: wir waren früher in Noth, und
darum haben wir euch alle Zugeständnisse gemacht, die ihr irgend verlangt habt,
jetzt hat das aufgehört, wir nehmen unsere Zugeständnisse wieder zurück. — So
offen wird das fast nirgend gesagt, nicht einmal in Oestreich, die legitime Form
ist: wir haben den neuen Rechtszustand nnr nnter der Bedingung anerkannt, daß
etwas Ersprießliches dabei herauskommt, das ist nicht geschehen, wir sind also nicht
gebunden. So hat Oestreich und Preußen gesprocheu, so Sachsen zu seinem
Volke, so spricht jetzt der von Oestreich in ein Scheinleben galvanisirte Bundestag
zu Preußen. Je mehr der Schein des Rechts gewahrt wird, desto empfindlicher
wird das lebendige Rechtsgefühl verletzt. Vielleicht am meisten bei der Erledigung
der meklenburg-schiveriu'schen Verfassungsfrage. Das Schiedsgericht hat sich
beeilt, nicht nnr die Competenz der rechtlich aufgelösten Ritterschaft zu erkennen
— in der hannöverschen Sache im Jahre 1838 war man darin bedenklicher —
sondern man hat auch ihre juristischem Spitzfindigkeiten adoptirt in einem Verhältniß,
das aus dem Großen geschnitzt ist. Weil eine Formalität fehlt, die Verhandlungen
mit den beiden Seestädten Rostock und Wismar, und weil der Strelitzer Hof, den
man zu Anfang des Verfassnngswerks als gebunden ansah, sich zurückgezognen hat,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92327"/>
            <p xml:id="ID_86"> Es ist daher dem Princip ganz entsprechend, wenn der Graf von Chambord<lb/>
und sein verantwortliches Ministerium, (wozu anch Herr Berryer gehört, einer<lb/>
der Abgeordneten, denen die Nationalversammlung die Huth der Eonstitntion,<lb/>
d. h. der Republik, anvertraut hat) sich mit großer Entschiedenheit gegen ein<lb/>
solches Verfahren erklärten, und diese Erklärung in einer Art Bulle veröffentlich¬<lb/>
ten. Larochejacquelein hat daraus Gelegenheit genommen, mit seiner Partei zu<lb/>
brechen; er nimmt die thatsächlichen Zustände an, und stellt die Zukauft Gott<lb/>
anheim, indem er hinzusetzt, er habe nie an das Mystische, das man in den Be¬<lb/>
griff der Legitimität zu legen suche, geglaubt, er könne sie uur als einen Ausfluß<lb/>
des Volkswilleuö begreifen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_87"> Wenn mau nun aber auch zugeben muß, daß die übrigem Legitimisten in<lb/>
ihrenl Treiben cousequenter sind, so ulnß man doch die Frage auswerfen: wie<lb/>
denken sie sich denn eigentlich die Umwandlung der jetzigen Zustände, wenn sie<lb/>
nicht dnrch das Volk geschehen soll? &#x2014; Sie werden sich hüten, auf diese Frage<lb/>
eine directe Autwort zu geben. &#x2014; Es ist mit dein Princip der Legitimität, wenn<lb/>
man es abstract faßt, nichts anzufangen, es ist unfruchtbar, und gewährt we¬<lb/>
der einen politischen, noch einen sittlichen Halt, denn was kann unsittlicher sein,<lb/>
als dieser Jesuitismus? der als Hort einer ihm verhaßten Verfassung allstritt,<lb/>
um sie als Waffe für ein ihr feindliches Princip zu gebrauchen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_88" next="#ID_89"> Wo möglich einen noch widerwärtigern Eindruck machen unsere deutschen<lb/>
Legitimisten. Obgleich sie uuter einander selber hadern, weil ihre eigeuen Rechts-<lb/>
ansprüche collidiren, so gleichen sie einander doch wie die Wassertropfen. Der<lb/>
eigentliche Sinn aller Operationen, durch welche in ganz Deutschland jetzt die<lb/>
alten Zustände wiederhergestellt werden, ist der: wir waren früher in Noth, und<lb/>
darum haben wir euch alle Zugeständnisse gemacht, die ihr irgend verlangt habt,<lb/>
jetzt hat das aufgehört, wir nehmen unsere Zugeständnisse wieder zurück. &#x2014; So<lb/>
offen wird das fast nirgend gesagt, nicht einmal in Oestreich, die legitime Form<lb/>
ist: wir haben den neuen Rechtszustand nnr nnter der Bedingung anerkannt, daß<lb/>
etwas Ersprießliches dabei herauskommt, das ist nicht geschehen, wir sind also nicht<lb/>
gebunden. So hat Oestreich und Preußen gesprocheu, so Sachsen zu seinem<lb/>
Volke, so spricht jetzt der von Oestreich in ein Scheinleben galvanisirte Bundestag<lb/>
zu Preußen. Je mehr der Schein des Rechts gewahrt wird, desto empfindlicher<lb/>
wird das lebendige Rechtsgefühl verletzt. Vielleicht am meisten bei der Erledigung<lb/>
der meklenburg-schiveriu'schen Verfassungsfrage. Das Schiedsgericht hat sich<lb/>
beeilt, nicht nnr die Competenz der rechtlich aufgelösten Ritterschaft zu erkennen<lb/>
&#x2014; in der hannöverschen Sache im Jahre 1838 war man darin bedenklicher &#x2014;<lb/>
sondern man hat auch ihre juristischem Spitzfindigkeiten adoptirt in einem Verhältniß,<lb/>
das aus dem Großen geschnitzt ist. Weil eine Formalität fehlt, die Verhandlungen<lb/>
mit den beiden Seestädten Rostock und Wismar, und weil der Strelitzer Hof, den<lb/>
man zu Anfang des Verfassnngswerks als gebunden ansah, sich zurückgezognen hat,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Es ist daher dem Princip ganz entsprechend, wenn der Graf von Chambord und sein verantwortliches Ministerium, (wozu anch Herr Berryer gehört, einer der Abgeordneten, denen die Nationalversammlung die Huth der Eonstitntion, d. h. der Republik, anvertraut hat) sich mit großer Entschiedenheit gegen ein solches Verfahren erklärten, und diese Erklärung in einer Art Bulle veröffentlich¬ ten. Larochejacquelein hat daraus Gelegenheit genommen, mit seiner Partei zu brechen; er nimmt die thatsächlichen Zustände an, und stellt die Zukauft Gott anheim, indem er hinzusetzt, er habe nie an das Mystische, das man in den Be¬ griff der Legitimität zu legen suche, geglaubt, er könne sie uur als einen Ausfluß des Volkswilleuö begreifen. Wenn mau nun aber auch zugeben muß, daß die übrigem Legitimisten in ihrenl Treiben cousequenter sind, so ulnß man doch die Frage auswerfen: wie denken sie sich denn eigentlich die Umwandlung der jetzigen Zustände, wenn sie nicht dnrch das Volk geschehen soll? — Sie werden sich hüten, auf diese Frage eine directe Autwort zu geben. — Es ist mit dein Princip der Legitimität, wenn man es abstract faßt, nichts anzufangen, es ist unfruchtbar, und gewährt we¬ der einen politischen, noch einen sittlichen Halt, denn was kann unsittlicher sein, als dieser Jesuitismus? der als Hort einer ihm verhaßten Verfassung allstritt, um sie als Waffe für ein ihr feindliches Princip zu gebrauchen. Wo möglich einen noch widerwärtigern Eindruck machen unsere deutschen Legitimisten. Obgleich sie uuter einander selber hadern, weil ihre eigeuen Rechts- ansprüche collidiren, so gleichen sie einander doch wie die Wassertropfen. Der eigentliche Sinn aller Operationen, durch welche in ganz Deutschland jetzt die alten Zustände wiederhergestellt werden, ist der: wir waren früher in Noth, und darum haben wir euch alle Zugeständnisse gemacht, die ihr irgend verlangt habt, jetzt hat das aufgehört, wir nehmen unsere Zugeständnisse wieder zurück. — So offen wird das fast nirgend gesagt, nicht einmal in Oestreich, die legitime Form ist: wir haben den neuen Rechtszustand nnr nnter der Bedingung anerkannt, daß etwas Ersprießliches dabei herauskommt, das ist nicht geschehen, wir sind also nicht gebunden. So hat Oestreich und Preußen gesprocheu, so Sachsen zu seinem Volke, so spricht jetzt der von Oestreich in ein Scheinleben galvanisirte Bundestag zu Preußen. Je mehr der Schein des Rechts gewahrt wird, desto empfindlicher wird das lebendige Rechtsgefühl verletzt. Vielleicht am meisten bei der Erledigung der meklenburg-schiveriu'schen Verfassungsfrage. Das Schiedsgericht hat sich beeilt, nicht nnr die Competenz der rechtlich aufgelösten Ritterschaft zu erkennen — in der hannöverschen Sache im Jahre 1838 war man darin bedenklicher — sondern man hat auch ihre juristischem Spitzfindigkeiten adoptirt in einem Verhältniß, das aus dem Großen geschnitzt ist. Weil eine Formalität fehlt, die Verhandlungen mit den beiden Seestädten Rostock und Wismar, und weil der Strelitzer Hof, den man zu Anfang des Verfassnngswerks als gebunden ansah, sich zurückgezognen hat,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/38>, abgerufen am 24.08.2024.