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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Kälte ein. Bereits die Aufhebung des Cartcllvertragö durch Preußen, der doch
für diesen Staat ein offenbarer Vortheil gewesen war, galt uns als Symptom
der locker werdenden Freundschaft, die Lauigkeit Preußens bei der Uebernahme
Krakau's durch Oestreich, die nicht vollständig geglückten Versuche, das preußische
Haus mit der königlichen Familie von England in nähere Beziehungen zu setzen,
hatten das Mißtrauen vermehrt, und wenn auch die Gerüchte von den deutschen
NeichSplänen des Königs und eiuer Umänderung des Bundes keine ernsten Be¬
sorgnisse einflößten, so ließen sie doch ahnen, daß auf Preußen im entscheidenden
Augenblick uicht zu rechnen sein werde.

Das Jahr 1848 rechtfertigte diese Annahme. Der König von Preußen
erhob die dreifarbige Fahne, begann den Kampf mit Dänemark, ließ in Frankfurt
für sich operiren, sandte seine Truppen zum zweiten Mal gegen Dänemark und ver¬
suchte die Union, um die deutschen Staaten in einen Föderativstaat zu vereinigen.
Durch jeden dieser oppositionellen Schritte wurde unser Einfluß auf Deutschland, ja
unsere Stellung in Europa wesentlich gefährdet. Der Kaiser verlor nicht die
Herrschaft über seine gereizten Gefühle, und wenn je, so hat unsere Politik in
dieser Zeit Mäßigung bewiesen. Die Aufgabe, Preußen von nicht wieder zu
versöhnenden Thaten zurückzuhalten, ihm das Principal über die kleineren
Staaten zu verleiden, Dänemark zu erhalten und Oestreichs Gegengewicht zu
retten, löste unsere Diplomatie allein dnrch entschlossene Haltung und wiederholte
Erklärungen unseres festen Willens. Freilich that die Regierung Preußens auch
ihrerseits Alles, die eigenen Pläne zu ruiniren. Doch wenn wir auch ohne
große Mühe im Stande waren, enthusiastische und unpraktische Maßregeln zu
hintertreiben, und wenn auch alle Unternehmungen des Königs von Preußen ge¬
scheitert sind, so ist doch das Streben, sich von unseren Interessen zu emancipiren,
so deutlich geworden, daß wir fortan in der Lage sind, jede Maßregel dieser
Regierung ohne Vertrauen zu beobachten.

Unser Herr hat an der Unterwerfung Holsteins und der Restitution des Kur-
fürsten allerdings ein großes Interesse, dessen Gründe hinlänglich bekannt sind,
Aber noch höher steht ihm die Nothwendigkeit, auch bei diesen Fragen den Ein-
flllß Preußens und Oestreichs im Gleichgewicht zu erhallen; der Kaiser hat nicht
die geringsten Sympathien für die Union, dagegen starke für deu Bundestag;
aber er würde weder das Fortbestehen der Union, wie sie in der letzten Zeit
war, für eine besondere Calamität, noch auch einen vollständigen Sieg des östrei-
chischen Bundestags für ein besonders günstiges Ereigniß halten. Rußland ist
nicht so sehr ein Feind Preußens, daß es ihm eine kleine Vergrößerung seines
Gebiets mißgönnen sollte, und es ist so weit ein Freund Oestreichs, daß es die¬
sem eine kleine Vergrößerung aus Preußens Kosten wohl gestatten würde, aber
es wird keinem von beiden erlauben, über deu andern zu dominiren, am wenig¬
sten den Preußen, weil diese am unsichersten siud.


Kälte ein. Bereits die Aufhebung des Cartcllvertragö durch Preußen, der doch
für diesen Staat ein offenbarer Vortheil gewesen war, galt uns als Symptom
der locker werdenden Freundschaft, die Lauigkeit Preußens bei der Uebernahme
Krakau's durch Oestreich, die nicht vollständig geglückten Versuche, das preußische
Haus mit der königlichen Familie von England in nähere Beziehungen zu setzen,
hatten das Mißtrauen vermehrt, und wenn auch die Gerüchte von den deutschen
NeichSplänen des Königs und eiuer Umänderung des Bundes keine ernsten Be¬
sorgnisse einflößten, so ließen sie doch ahnen, daß auf Preußen im entscheidenden
Augenblick uicht zu rechnen sein werde.

Das Jahr 1848 rechtfertigte diese Annahme. Der König von Preußen
erhob die dreifarbige Fahne, begann den Kampf mit Dänemark, ließ in Frankfurt
für sich operiren, sandte seine Truppen zum zweiten Mal gegen Dänemark und ver¬
suchte die Union, um die deutschen Staaten in einen Föderativstaat zu vereinigen.
Durch jeden dieser oppositionellen Schritte wurde unser Einfluß auf Deutschland, ja
unsere Stellung in Europa wesentlich gefährdet. Der Kaiser verlor nicht die
Herrschaft über seine gereizten Gefühle, und wenn je, so hat unsere Politik in
dieser Zeit Mäßigung bewiesen. Die Aufgabe, Preußen von nicht wieder zu
versöhnenden Thaten zurückzuhalten, ihm das Principal über die kleineren
Staaten zu verleiden, Dänemark zu erhalten und Oestreichs Gegengewicht zu
retten, löste unsere Diplomatie allein dnrch entschlossene Haltung und wiederholte
Erklärungen unseres festen Willens. Freilich that die Regierung Preußens auch
ihrerseits Alles, die eigenen Pläne zu ruiniren. Doch wenn wir auch ohne
große Mühe im Stande waren, enthusiastische und unpraktische Maßregeln zu
hintertreiben, und wenn auch alle Unternehmungen des Königs von Preußen ge¬
scheitert sind, so ist doch das Streben, sich von unseren Interessen zu emancipiren,
so deutlich geworden, daß wir fortan in der Lage sind, jede Maßregel dieser
Regierung ohne Vertrauen zu beobachten.

Unser Herr hat an der Unterwerfung Holsteins und der Restitution des Kur-
fürsten allerdings ein großes Interesse, dessen Gründe hinlänglich bekannt sind,
Aber noch höher steht ihm die Nothwendigkeit, auch bei diesen Fragen den Ein-
flllß Preußens und Oestreichs im Gleichgewicht zu erhallen; der Kaiser hat nicht
die geringsten Sympathien für die Union, dagegen starke für deu Bundestag;
aber er würde weder das Fortbestehen der Union, wie sie in der letzten Zeit
war, für eine besondere Calamität, noch auch einen vollständigen Sieg des östrei-
chischen Bundestags für ein besonders günstiges Ereigniß halten. Rußland ist
nicht so sehr ein Feind Preußens, daß es ihm eine kleine Vergrößerung seines
Gebiets mißgönnen sollte, und es ist so weit ein Freund Oestreichs, daß es die¬
sem eine kleine Vergrößerung aus Preußens Kosten wohl gestatten würde, aber
es wird keinem von beiden erlauben, über deu andern zu dominiren, am wenig¬
sten den Preußen, weil diese am unsichersten siud.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/360>, abgerufen am 22.07.2024.