Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wenn bittere Thränen der Neue ein Verbrechen gut machen könnten, so sei das
bei ihm in reichlichem Maße der Fall. -- Es wird außerdem versichert, er habe
sich im Fall seiner Begnadigung zu Mittheilungen erboten, und man habe ihm
geantwortet, es käme darauf an, was das für Mittheilungen wären; indeß dieser
Umstand ist uicht urkundlich beglaubigt, und wir halten uns lediglich an die offi-
cielle Notiz der Fackel, die jenes Bußgedicht vollständig mittheilt. Es ist in guten
Reimen abgefaßt und schließt mit einem Refrain K Beranger.

Herr Haye, der Redacteur der Fackel, hat große Freude an dieser Bekeh-
rung. Sie bringt ihm seiue eigene Nergaugeuheit in Erinnerung. Auch er ist
aus dein Schooße der Demokratie hervorgegangen, und hat sich daun durch die
Beruntteluug eiuer Secretärstelle bei denk Minister Falkenstein in der Mitte jener
Partei gefunden, die Alles, was nicht den Staub von deu Füßen der Macht¬
haber leckt, für Verräther, Mörder und Juden erklärt. An einem reuigen Sün¬
der haben die Engel im Himmel mehr Freude, als an tausend Gerechten, so steht
es geschrieben. Die Bekehrung ist im Lager der Demokratie keine seltene Er¬
scheinung; Herr Ohm hat auch'den Guten viel Freude gemacht, in höhern Krei-
sen fällt mir der Herr Geheimrath Scherer ein, der im Vorparlament mit Hecker,
nach den rettenden Thaten mit Manteuffel und mit Gerlach stimmte.

An sich ist nichts dagegen zu erinnern. Es ist schön, wenn man von seinen
Irrthümern zurückkommt: besser einmal als keinmal. Aber zwei Bemerkungen
können wir nicht unterdrücken.

Diese -- Helden der Demokratie haben keinen Augenblick versäumt, Männer
wie Sylvester Jordan als Fürsteukuechte zu brandmarken, weil sie das Heft des
Staats nicht in die Hände des Pöbels überantworteten. Diese "Fnrstenknechte"
haben Jahre langen Kerker geduldet, ohne vou ihrer Ueberzeugung abzugehen, so
wenig sie sich voll dein Geheul der betrunkenen Meuge erschüttern ließen. Jetzt
möge das Volk richten zwischen denen, die, als es rasend war, vor ihm krochen,
und denen, die es zur Vernunft zu bringen suchten.

Eine zweite Bemerkung dringt sich uns aufm Bezug auf.deu Gehalt jeuer
ephemeren Poesie, die, namentlich seit Herwegh, die politischen Probleme durch
Arbeit im Rhythmus und im Reime zu lösen suchte. Damals galt ihnen Jeder
für infam, der es uicht glauben wollte, daß sich "Republik" aus "Völkerglück"
reimte. Jetzt kommen sie doch zu der Ueberzeugung, daß sich im Reime und im
Rhythmus verschieden Dinge sagen lassen. Jenes Bußgedicht ist gerade ebenso
gilt als die frühem Strafpredigten gegen die feigen Tyrannen und ihre Knechte;
ja es ist besser, denn es geht aus eiuer individuelle,! Empfindung hervor. --
Wir Deutsche sind in dieser Beziehung seit 1850 die größten Kinder voll der
Welt gewesen. Aesthetisch läßt sich das Eiltgegengesetzteste verklären, der Mond¬
schein der Subjectivität bestrahlt verfallene Klöster ebenso romantisch, als die
Gräber gemordeter Freiheitshelden; der Rothmäntel des Kroaten ist in einer


wenn bittere Thränen der Neue ein Verbrechen gut machen könnten, so sei das
bei ihm in reichlichem Maße der Fall. — Es wird außerdem versichert, er habe
sich im Fall seiner Begnadigung zu Mittheilungen erboten, und man habe ihm
geantwortet, es käme darauf an, was das für Mittheilungen wären; indeß dieser
Umstand ist uicht urkundlich beglaubigt, und wir halten uns lediglich an die offi-
cielle Notiz der Fackel, die jenes Bußgedicht vollständig mittheilt. Es ist in guten
Reimen abgefaßt und schließt mit einem Refrain K Beranger.

Herr Haye, der Redacteur der Fackel, hat große Freude an dieser Bekeh-
rung. Sie bringt ihm seiue eigene Nergaugeuheit in Erinnerung. Auch er ist
aus dein Schooße der Demokratie hervorgegangen, und hat sich daun durch die
Beruntteluug eiuer Secretärstelle bei denk Minister Falkenstein in der Mitte jener
Partei gefunden, die Alles, was nicht den Staub von deu Füßen der Macht¬
haber leckt, für Verräther, Mörder und Juden erklärt. An einem reuigen Sün¬
der haben die Engel im Himmel mehr Freude, als an tausend Gerechten, so steht
es geschrieben. Die Bekehrung ist im Lager der Demokratie keine seltene Er¬
scheinung; Herr Ohm hat auch'den Guten viel Freude gemacht, in höhern Krei-
sen fällt mir der Herr Geheimrath Scherer ein, der im Vorparlament mit Hecker,
nach den rettenden Thaten mit Manteuffel und mit Gerlach stimmte.

An sich ist nichts dagegen zu erinnern. Es ist schön, wenn man von seinen
Irrthümern zurückkommt: besser einmal als keinmal. Aber zwei Bemerkungen
können wir nicht unterdrücken.

Diese — Helden der Demokratie haben keinen Augenblick versäumt, Männer
wie Sylvester Jordan als Fürsteukuechte zu brandmarken, weil sie das Heft des
Staats nicht in die Hände des Pöbels überantworteten. Diese „Fnrstenknechte"
haben Jahre langen Kerker geduldet, ohne vou ihrer Ueberzeugung abzugehen, so
wenig sie sich voll dein Geheul der betrunkenen Meuge erschüttern ließen. Jetzt
möge das Volk richten zwischen denen, die, als es rasend war, vor ihm krochen,
und denen, die es zur Vernunft zu bringen suchten.

Eine zweite Bemerkung dringt sich uns aufm Bezug auf.deu Gehalt jeuer
ephemeren Poesie, die, namentlich seit Herwegh, die politischen Probleme durch
Arbeit im Rhythmus und im Reime zu lösen suchte. Damals galt ihnen Jeder
für infam, der es uicht glauben wollte, daß sich „Republik" aus „Völkerglück"
reimte. Jetzt kommen sie doch zu der Ueberzeugung, daß sich im Reime und im
Rhythmus verschieden Dinge sagen lassen. Jenes Bußgedicht ist gerade ebenso
gilt als die frühem Strafpredigten gegen die feigen Tyrannen und ihre Knechte;
ja es ist besser, denn es geht aus eiuer individuelle,! Empfindung hervor. —
Wir Deutsche sind in dieser Beziehung seit 1850 die größten Kinder voll der
Welt gewesen. Aesthetisch läßt sich das Eiltgegengesetzteste verklären, der Mond¬
schein der Subjectivität bestrahlt verfallene Klöster ebenso romantisch, als die
Gräber gemordeter Freiheitshelden; der Rothmäntel des Kroaten ist in einer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92325"/>
            <p xml:id="ID_77" prev="#ID_76"> wenn bittere Thränen der Neue ein Verbrechen gut machen könnten, so sei das<lb/>
bei ihm in reichlichem Maße der Fall. &#x2014; Es wird außerdem versichert, er habe<lb/>
sich im Fall seiner Begnadigung zu Mittheilungen erboten, und man habe ihm<lb/>
geantwortet, es käme darauf an, was das für Mittheilungen wären; indeß dieser<lb/>
Umstand ist uicht urkundlich beglaubigt, und wir halten uns lediglich an die offi-<lb/>
cielle Notiz der Fackel, die jenes Bußgedicht vollständig mittheilt. Es ist in guten<lb/>
Reimen abgefaßt und schließt mit einem Refrain K Beranger.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_78"> Herr Haye, der Redacteur der Fackel, hat große Freude an dieser Bekeh-<lb/>
rung. Sie bringt ihm seiue eigene Nergaugeuheit in Erinnerung. Auch er ist<lb/>
aus dein Schooße der Demokratie hervorgegangen, und hat sich daun durch die<lb/>
Beruntteluug eiuer Secretärstelle bei denk Minister Falkenstein in der Mitte jener<lb/>
Partei gefunden, die Alles, was nicht den Staub von deu Füßen der Macht¬<lb/>
haber leckt, für Verräther, Mörder und Juden erklärt. An einem reuigen Sün¬<lb/>
der haben die Engel im Himmel mehr Freude, als an tausend Gerechten, so steht<lb/>
es geschrieben. Die Bekehrung ist im Lager der Demokratie keine seltene Er¬<lb/>
scheinung; Herr Ohm hat auch'den Guten viel Freude gemacht, in höhern Krei-<lb/>
sen fällt mir der Herr Geheimrath Scherer ein, der im Vorparlament mit Hecker,<lb/>
nach den rettenden Thaten mit Manteuffel und mit Gerlach stimmte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_79"> An sich ist nichts dagegen zu erinnern. Es ist schön, wenn man von seinen<lb/>
Irrthümern zurückkommt: besser einmal als keinmal. Aber zwei Bemerkungen<lb/>
können wir nicht unterdrücken.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_80"> Diese &#x2014; Helden der Demokratie haben keinen Augenblick versäumt, Männer<lb/>
wie Sylvester Jordan als Fürsteukuechte zu brandmarken, weil sie das Heft des<lb/>
Staats nicht in die Hände des Pöbels überantworteten. Diese &#x201E;Fnrstenknechte"<lb/>
haben Jahre langen Kerker geduldet, ohne vou ihrer Ueberzeugung abzugehen, so<lb/>
wenig sie sich voll dein Geheul der betrunkenen Meuge erschüttern ließen. Jetzt<lb/>
möge das Volk richten zwischen denen, die, als es rasend war, vor ihm krochen,<lb/>
und denen, die es zur Vernunft zu bringen suchten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_81" next="#ID_82"> Eine zweite Bemerkung dringt sich uns aufm Bezug auf.deu Gehalt jeuer<lb/>
ephemeren Poesie, die, namentlich seit Herwegh, die politischen Probleme durch<lb/>
Arbeit im Rhythmus und im Reime zu lösen suchte. Damals galt ihnen Jeder<lb/>
für infam, der es uicht glauben wollte, daß sich &#x201E;Republik" aus &#x201E;Völkerglück"<lb/>
reimte. Jetzt kommen sie doch zu der Ueberzeugung, daß sich im Reime und im<lb/>
Rhythmus verschieden Dinge sagen lassen. Jenes Bußgedicht ist gerade ebenso<lb/>
gilt als die frühem Strafpredigten gegen die feigen Tyrannen und ihre Knechte;<lb/>
ja es ist besser, denn es geht aus eiuer individuelle,! Empfindung hervor. &#x2014;<lb/>
Wir Deutsche sind in dieser Beziehung seit 1850 die größten Kinder voll der<lb/>
Welt gewesen. Aesthetisch läßt sich das Eiltgegengesetzteste verklären, der Mond¬<lb/>
schein der Subjectivität bestrahlt verfallene Klöster ebenso romantisch, als die<lb/>
Gräber gemordeter Freiheitshelden; der Rothmäntel des Kroaten ist in einer</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0036] wenn bittere Thränen der Neue ein Verbrechen gut machen könnten, so sei das bei ihm in reichlichem Maße der Fall. — Es wird außerdem versichert, er habe sich im Fall seiner Begnadigung zu Mittheilungen erboten, und man habe ihm geantwortet, es käme darauf an, was das für Mittheilungen wären; indeß dieser Umstand ist uicht urkundlich beglaubigt, und wir halten uns lediglich an die offi- cielle Notiz der Fackel, die jenes Bußgedicht vollständig mittheilt. Es ist in guten Reimen abgefaßt und schließt mit einem Refrain K Beranger. Herr Haye, der Redacteur der Fackel, hat große Freude an dieser Bekeh- rung. Sie bringt ihm seiue eigene Nergaugeuheit in Erinnerung. Auch er ist aus dein Schooße der Demokratie hervorgegangen, und hat sich daun durch die Beruntteluug eiuer Secretärstelle bei denk Minister Falkenstein in der Mitte jener Partei gefunden, die Alles, was nicht den Staub von deu Füßen der Macht¬ haber leckt, für Verräther, Mörder und Juden erklärt. An einem reuigen Sün¬ der haben die Engel im Himmel mehr Freude, als an tausend Gerechten, so steht es geschrieben. Die Bekehrung ist im Lager der Demokratie keine seltene Er¬ scheinung; Herr Ohm hat auch'den Guten viel Freude gemacht, in höhern Krei- sen fällt mir der Herr Geheimrath Scherer ein, der im Vorparlament mit Hecker, nach den rettenden Thaten mit Manteuffel und mit Gerlach stimmte. An sich ist nichts dagegen zu erinnern. Es ist schön, wenn man von seinen Irrthümern zurückkommt: besser einmal als keinmal. Aber zwei Bemerkungen können wir nicht unterdrücken. Diese — Helden der Demokratie haben keinen Augenblick versäumt, Männer wie Sylvester Jordan als Fürsteukuechte zu brandmarken, weil sie das Heft des Staats nicht in die Hände des Pöbels überantworteten. Diese „Fnrstenknechte" haben Jahre langen Kerker geduldet, ohne vou ihrer Ueberzeugung abzugehen, so wenig sie sich voll dein Geheul der betrunkenen Meuge erschüttern ließen. Jetzt möge das Volk richten zwischen denen, die, als es rasend war, vor ihm krochen, und denen, die es zur Vernunft zu bringen suchten. Eine zweite Bemerkung dringt sich uns aufm Bezug auf.deu Gehalt jeuer ephemeren Poesie, die, namentlich seit Herwegh, die politischen Probleme durch Arbeit im Rhythmus und im Reime zu lösen suchte. Damals galt ihnen Jeder für infam, der es uicht glauben wollte, daß sich „Republik" aus „Völkerglück" reimte. Jetzt kommen sie doch zu der Ueberzeugung, daß sich im Reime und im Rhythmus verschieden Dinge sagen lassen. Jenes Bußgedicht ist gerade ebenso gilt als die frühem Strafpredigten gegen die feigen Tyrannen und ihre Knechte; ja es ist besser, denn es geht aus eiuer individuelle,! Empfindung hervor. — Wir Deutsche sind in dieser Beziehung seit 1850 die größten Kinder voll der Welt gewesen. Aesthetisch läßt sich das Eiltgegengesetzteste verklären, der Mond¬ schein der Subjectivität bestrahlt verfallene Klöster ebenso romantisch, als die Gräber gemordeter Freiheitshelden; der Rothmäntel des Kroaten ist in einer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/36
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/36>, abgerufen am 24.08.2024.