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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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leisten darin allerdings viel: ich glaube, es liegt in den Sitten unserer Universi¬
täten, wo sich die Unterhaltung, wenn man nicht eine Sanfmesse brüllt, darauf
beschränkt, daß der Eine dem Andern ein halb Hämpchen vorsteigt, und dieser
mehr dnrch Thaten als durch Worte Bescheid thut. Ich hatte ein Paar Bekannte,
die sich täglich besuchten. Wenn der Eine beim Eintritt "'Morgen!" sagte, so
warf ihm der Andere einen finstern Blick wegen dieser Geschwätzigkeit zu, wies,
mit stummem Ernst ans den Tabakokasten; die Pfeife wurde gestopft, sie saßen
mit türkischer Grandezza neben einander, und wetteiferten, den Rauch ringförmig ,
von sich zu blasen. War die Pfeife ausgeklopft, so ersetzte der Gast, gewitzigt
dnrch die üble Aufnahme, die seine Redseligkeit gefunden hatte, seinen Scheidegrnß
durch ein gelindes Brummen. So etwas, wie gesagt, kann noch ans Gemüths¬
tiefe entspringen; aber wenn wir ein lang ausgesponneneö Gespräch Schwarz ans
Weiß ror uns haben, und wenn bei aller Anstrengung, sich so gescheidt als
möglich auszudrücken, nur ein fades Gewäsch herauskommt, so kann diese Ent¬
schädigung nicht mehr gelten. Unser Dialog leidet nicht nnr an Unbehülflichkeit,
dem ließe sich dnrch Bildung abhelfen; er ist schon corrumpirt, namentlich in
unserer modernen Literatur, die mit aller Gewalt geistreich sein will, und das am
besten dadurch zu erreichen glaubt, wenn sie voll sich selbst redet. In uusern
Tagen glaubt kein Dichter, ein tüchtiges Lustspiel geschriebell zu haben, wenn er
nicht bei der Gelegenheit seine Allsichteil über Goethe und Schiller, über die
historische Schule und über deu Socialismus, über den Weltschmerz und über
die Republik an den Mann gebracht hat. Die neuesten Dorfgeschichten verderben
vollends alle verständige Unterredung, denn uun ist es nicht mehr möglich, daß
matt nach Art vernünftiger Meuscheu mit einander spricht, man muß Originalität,
Charakter und naturwüchsiges Wesen entwickeln, auch wenn man nichts weiter
fragt, als wieviel die Uhr ist. Künstler, Lorle oder WadeleSwirth, eins von den
Dreien muß mau sein, wenn man sich in anständigem Gesellschaft präsentiren
will. -- Diese Hetzjagd nach Originalität ist nicht ersprießlich sür's Lustspiel,
unser Styl leidet scholl so an Willkür lind Formlosigkeit, daß ein Stück, welches
vor 20 Jahren geschrieben ist, uns völlig fremd vorkommt; wenn nun noch in
diesen Brei die Idiome der verschiedenen Stämme eingerührt werden, so sinkt
das Theater zuletzt ganz zu einem Naritätenladen herab. -- Unser Lustspiel ist
gewöhnlich aus ein Paar Virtuosen, die Juden lind Betrunkene vortrefflich spie¬
len -- ni diesen beiden Rollen laufen wir den Franzosen gewiß den Rang ab --
vielleicht auch ans einem Liebhaber, der sich im Stndenteneostüm leidlich zu tragen
weiß, und sollst aus mittelmäßigen Figuranten zusammengesetzt, die keinen Begriff
davou haben, wie sie gesell oder stehen, koch weniger wie sie sprechen sollen.
-- Das Lustspiel wird aber um so besser sein, je mehr die Charakteristik in die
Handlung, je mehr die Handlung in den Dialog aufgeht. Darum haben bei-
läufig die Engländer ebensowenig ein gutes Lustspiel als wir, sie leiden all den.-


leisten darin allerdings viel: ich glaube, es liegt in den Sitten unserer Universi¬
täten, wo sich die Unterhaltung, wenn man nicht eine Sanfmesse brüllt, darauf
beschränkt, daß der Eine dem Andern ein halb Hämpchen vorsteigt, und dieser
mehr dnrch Thaten als durch Worte Bescheid thut. Ich hatte ein Paar Bekannte,
die sich täglich besuchten. Wenn der Eine beim Eintritt „'Morgen!" sagte, so
warf ihm der Andere einen finstern Blick wegen dieser Geschwätzigkeit zu, wies,
mit stummem Ernst ans den Tabakokasten; die Pfeife wurde gestopft, sie saßen
mit türkischer Grandezza neben einander, und wetteiferten, den Rauch ringförmig ,
von sich zu blasen. War die Pfeife ausgeklopft, so ersetzte der Gast, gewitzigt
dnrch die üble Aufnahme, die seine Redseligkeit gefunden hatte, seinen Scheidegrnß
durch ein gelindes Brummen. So etwas, wie gesagt, kann noch ans Gemüths¬
tiefe entspringen; aber wenn wir ein lang ausgesponneneö Gespräch Schwarz ans
Weiß ror uns haben, und wenn bei aller Anstrengung, sich so gescheidt als
möglich auszudrücken, nur ein fades Gewäsch herauskommt, so kann diese Ent¬
schädigung nicht mehr gelten. Unser Dialog leidet nicht nnr an Unbehülflichkeit,
dem ließe sich dnrch Bildung abhelfen; er ist schon corrumpirt, namentlich in
unserer modernen Literatur, die mit aller Gewalt geistreich sein will, und das am
besten dadurch zu erreichen glaubt, wenn sie voll sich selbst redet. In uusern
Tagen glaubt kein Dichter, ein tüchtiges Lustspiel geschriebell zu haben, wenn er
nicht bei der Gelegenheit seine Allsichteil über Goethe und Schiller, über die
historische Schule und über deu Socialismus, über den Weltschmerz und über
die Republik an den Mann gebracht hat. Die neuesten Dorfgeschichten verderben
vollends alle verständige Unterredung, denn uun ist es nicht mehr möglich, daß
matt nach Art vernünftiger Meuscheu mit einander spricht, man muß Originalität,
Charakter und naturwüchsiges Wesen entwickeln, auch wenn man nichts weiter
fragt, als wieviel die Uhr ist. Künstler, Lorle oder WadeleSwirth, eins von den
Dreien muß mau sein, wenn man sich in anständigem Gesellschaft präsentiren
will. — Diese Hetzjagd nach Originalität ist nicht ersprießlich sür's Lustspiel,
unser Styl leidet scholl so an Willkür lind Formlosigkeit, daß ein Stück, welches
vor 20 Jahren geschrieben ist, uns völlig fremd vorkommt; wenn nun noch in
diesen Brei die Idiome der verschiedenen Stämme eingerührt werden, so sinkt
das Theater zuletzt ganz zu einem Naritätenladen herab. — Unser Lustspiel ist
gewöhnlich aus ein Paar Virtuosen, die Juden lind Betrunkene vortrefflich spie¬
len — ni diesen beiden Rollen laufen wir den Franzosen gewiß den Rang ab —
vielleicht auch ans einem Liebhaber, der sich im Stndenteneostüm leidlich zu tragen
weiß, und sollst aus mittelmäßigen Figuranten zusammengesetzt, die keinen Begriff
davou haben, wie sie gesell oder stehen, koch weniger wie sie sprechen sollen.
— Das Lustspiel wird aber um so besser sein, je mehr die Charakteristik in die
Handlung, je mehr die Handlung in den Dialog aufgeht. Darum haben bei-
läufig die Engländer ebensowenig ein gutes Lustspiel als wir, sie leiden all den.-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/31>, abgerufen am 24.08.2024.