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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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ganzen Werkes. Nicht in vollkommene Uebereinstimmung mit den andern Sätzen
läßt sich das Andante bringen; das nordische Bewußtsein ist hier wie durch einen
Zauber zurückgedrängt, das deutsche Element, in seinem Urtypus Mozart, strömt
hervor und geberdet sich recht augenehm und lieblich, das Ganze ist wie eine
Oase aus südlicheren Himmel, mit glänzender Vegetation, hineingeschmuggelt in
die felsumragten Fluren Norwegens.

Das dramatische Gedicht Comala enthält folgende Episode ans Ossian:
Comala, die Tochter Sarno's, des Königs von Jnnistone, in heftiger Leidenschaft
zu Fingal, dem König Morwen's, entbrannt, folgt ihrem Geliebten in Krieger-
kleidung ans einem Kriegszuge gegen den König Caracnl von Lochlin. Fingal
läßt Comala am Tage der Schlacht auf einem Berge an den Ufern des Carum
zurück, vou welchem sie das Schlachtfeld überschauen kann, und verspricht, wenn
er siege, am Abend dahin zurückzukehren. Comala, von bangen Ahnungen er¬
füllt, harrt auf Fingal's Rückkehr; im Brausen des Sturmes erscheinen ihr die
Geister der Ahnen, welche nach dem Schlachtfeld ziehen, um die Seelen der Ge¬
fallenen heimzuführen. Sie wähnt die Schlacht verloren und Fingal getödtet;
von Schmerz überwältigt, stirbt sie. Fingal, als Sieger aus der Schlacht heim¬
kehrend, erfährt von den klagenden Jungfrauen den Tod der Geliebten; trauernd
fordert er die Barden auf, sie im Gesänge zu preisen, und die Chöre der Jung¬
frauen und Barden geleiten die scheidende Seele zu den Wohnungen der Väter.

Die Anordnung der einzelnen Scenen gibt dem Componisten reiche Veran¬
lassung zur Entfaltung der verschiedenartigsten musikalischen Wirkungen; der Held
Fingal, die liebende, ahnungsbange Comala, die Chöre der Krieger, die Schaaren
der Geister bieten Stoff zu den eontrastirendsten Charakterzeichuungen. Gabe hat
seinen Text verstanden und nichts versäumt, um ihn von der ergiebigsten Seite
anzubauen, er fand in ihm eine gute Gelegenheit, seine heimathlichen Weisen ans
Gestalten überzutragen, die nur auf diese Art richtig gezeichnet werdeu konnten.
Diese eigenthümliche, nationale Behandlungsweise ist nicht blos ans die Einzel¬
gesänge Fingal's und Comala's übergetragen, sie tritt anch in den Chören hervor,
am meisten in dem Geisterchor, in welchem sich eine hohe Genialität der Erfindung
offenbart.

Als bester Erfolg Gabe's ist bis jetzt noch diese Comala zu nennen; den
Werken, welche ihr folgten, mangelt im Vergleich zu ihr der tiefere Inhalt und
die Entschiedenheit des Charakters, sie siud gesucht und reflectirt, und der schon
früher angedeutete Fehler, statt mit vollständig ausgearbeiteten Motiven, nur mit
kurzen Phrasen, von geringem Umfange zu arbeiten, und diese ohne bestimmten
Grund an einander zu besten, verdient hier noch schärfere Rüge, als in der ersten
Siufouie. Freilich siud uur wirklich Kunstverständige, in die Construction größerer
Mnsiksätze Eingeweihte, im Staude, diesen Maugel zu erkennen, für den Dilettanten,
dem diese Geheimnisse verschlossen sind, wird sich kein richtiger Standpunkt der


ganzen Werkes. Nicht in vollkommene Uebereinstimmung mit den andern Sätzen
läßt sich das Andante bringen; das nordische Bewußtsein ist hier wie durch einen
Zauber zurückgedrängt, das deutsche Element, in seinem Urtypus Mozart, strömt
hervor und geberdet sich recht augenehm und lieblich, das Ganze ist wie eine
Oase aus südlicheren Himmel, mit glänzender Vegetation, hineingeschmuggelt in
die felsumragten Fluren Norwegens.

Das dramatische Gedicht Comala enthält folgende Episode ans Ossian:
Comala, die Tochter Sarno's, des Königs von Jnnistone, in heftiger Leidenschaft
zu Fingal, dem König Morwen's, entbrannt, folgt ihrem Geliebten in Krieger-
kleidung ans einem Kriegszuge gegen den König Caracnl von Lochlin. Fingal
läßt Comala am Tage der Schlacht auf einem Berge an den Ufern des Carum
zurück, vou welchem sie das Schlachtfeld überschauen kann, und verspricht, wenn
er siege, am Abend dahin zurückzukehren. Comala, von bangen Ahnungen er¬
füllt, harrt auf Fingal's Rückkehr; im Brausen des Sturmes erscheinen ihr die
Geister der Ahnen, welche nach dem Schlachtfeld ziehen, um die Seelen der Ge¬
fallenen heimzuführen. Sie wähnt die Schlacht verloren und Fingal getödtet;
von Schmerz überwältigt, stirbt sie. Fingal, als Sieger aus der Schlacht heim¬
kehrend, erfährt von den klagenden Jungfrauen den Tod der Geliebten; trauernd
fordert er die Barden auf, sie im Gesänge zu preisen, und die Chöre der Jung¬
frauen und Barden geleiten die scheidende Seele zu den Wohnungen der Väter.

Die Anordnung der einzelnen Scenen gibt dem Componisten reiche Veran¬
lassung zur Entfaltung der verschiedenartigsten musikalischen Wirkungen; der Held
Fingal, die liebende, ahnungsbange Comala, die Chöre der Krieger, die Schaaren
der Geister bieten Stoff zu den eontrastirendsten Charakterzeichuungen. Gabe hat
seinen Text verstanden und nichts versäumt, um ihn von der ergiebigsten Seite
anzubauen, er fand in ihm eine gute Gelegenheit, seine heimathlichen Weisen ans
Gestalten überzutragen, die nur auf diese Art richtig gezeichnet werdeu konnten.
Diese eigenthümliche, nationale Behandlungsweise ist nicht blos ans die Einzel¬
gesänge Fingal's und Comala's übergetragen, sie tritt anch in den Chören hervor,
am meisten in dem Geisterchor, in welchem sich eine hohe Genialität der Erfindung
offenbart.

Als bester Erfolg Gabe's ist bis jetzt noch diese Comala zu nennen; den
Werken, welche ihr folgten, mangelt im Vergleich zu ihr der tiefere Inhalt und
die Entschiedenheit des Charakters, sie siud gesucht und reflectirt, und der schon
früher angedeutete Fehler, statt mit vollständig ausgearbeiteten Motiven, nur mit
kurzen Phrasen, von geringem Umfange zu arbeiten, und diese ohne bestimmten
Grund an einander zu besten, verdient hier noch schärfere Rüge, als in der ersten
Siufouie. Freilich siud uur wirklich Kunstverständige, in die Construction größerer
Mnsiksätze Eingeweihte, im Staude, diesen Maugel zu erkennen, für den Dilettanten,
dem diese Geheimnisse verschlossen sind, wird sich kein richtiger Standpunkt der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/302>, abgerufen am 22.07.2024.