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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Vedette droht der Anfang eines ungeheuern Krieges zu werden, der von allen
Parteien mit solchem Mangel an weiser Ueberlegung begonnen wird, wie kaum
je ein anderer.

Noch hat jeder Einzelne das Recht, dies zu sagen, denn noch hat der Dä¬
mon der Schlachten seine ersten Opfer nicht gefordert.




Kleine Korrespondenzen.

Während die Warschauer Konferenz deprimirend ans die Partei der "Bekenntnisse"
wirkte, athmet die Partei der besiegten Revolution tief auf und ruft mit Schadenfreude:
"Wir sagten stets, daß es so nicht bleiben kann, die Warschauer Conferenz bringt
jedenfalls eine Veränderung des Systems, und jede Veränderung muß uns Gewinn
dringen." Sie werden diese Behauptung paradox finden, sie ist doch ganz natürlich.
Ungarn wurde von der plötzlichen Niederlage dei Vilagos wie vom Schlage getroffen;
die Aerzte, welche ihm seine Lebensthätigkeit wiedergeben sollten, quacksalbern bereits
1t> Monate an dem lebendigen Leichnam, der bei allen Aderlässen und Zugpflastern kein
Zeichen des Schmerzgefühls von sich gibt: nur ein Mittel gibt es für den Kranken,
nämlich auf seine Nerven zu wirken, das Wort "Krieg" besitzt die elektrische Kraft, die
gelähmten Nerven in Zuckungen zu bringen. Daß diese Zuckungen nur künstlich hervor¬
gebracht sind und den ganzen Organismus in einen gefährlichen Zustand von Starr¬
krampf zu versetzen drohen, das kümmert den Kranken wenig, er sieht seine gelähmten
Glieder sich bewegen, und dies genügt ihm, durch sie seine Genesung zu hoffen. In
Warschau, so denkt bei uns die große Mehrheit, wird die östreichische Politik in/Deutsch¬
land mit dem legitimen Bundestage volle Anerkennung finden; Preußen aber kann
unmöglich aus die gänzliche Vernichtung seiner Stellung eingehen, und es kann nur das
Schwert entscheiden; und will Oestreich diesen Kampf aufnehmen, so muß es entweder
den Ungarn bedeutende Concessionen machen, um sich nur einigermaßen zu rehabilitiren,
oder es sieht deu Zustand von 1848 erneuert u. s. w. Zwar ist diesen Politikern wohl
bekannt, daß Ungarn von den letzten Kämpfen zu sehr erschöpft ist, und daß ein Volk
einen Kampf auf Leben und Tod nicht zweimal in so kurzen Zwischenräumen zu wagen
Pflegt; allein dafür entschädigen sie die Massen ungarischer und italienischer Soldaten,
welche die östreichische Armee als Strafanstalt betrachten und die erste Gelegenheit suchen
werden, dem übermüthigen Dränger die Spitze zu bieten; besonders aber der höchst
aufgeregte Zustand der Südslaven und Romanen. Diese nehmen in neuerer Zeit eine
wirklich drohende Stellung ein, und waltete nicht ein Fatum über unserer Negierung, so
müßte sie es klar sehen, wohin das Bündnis; mit dem nordischen Freund führen muß.
Ich hatte oft Gelegenheit, in diesen Blättern auseinanderzusetzen, wie wenig die südlichen
Stämme Ungarns durch ihren Brudermord an Freiheit und Selbstständigkeit gewonnen,
und wie viel sie an materiellem Gewinn verloren haben. Schon die vielen neuen
Steuern machten auf das von Ungarn in dieser Hinsicht stets verschonte Kroatien einen


Vedette droht der Anfang eines ungeheuern Krieges zu werden, der von allen
Parteien mit solchem Mangel an weiser Ueberlegung begonnen wird, wie kaum
je ein anderer.

Noch hat jeder Einzelne das Recht, dies zu sagen, denn noch hat der Dä¬
mon der Schlachten seine ersten Opfer nicht gefordert.




Kleine Korrespondenzen.

Während die Warschauer Konferenz deprimirend ans die Partei der „Bekenntnisse"
wirkte, athmet die Partei der besiegten Revolution tief auf und ruft mit Schadenfreude:
„Wir sagten stets, daß es so nicht bleiben kann, die Warschauer Conferenz bringt
jedenfalls eine Veränderung des Systems, und jede Veränderung muß uns Gewinn
dringen." Sie werden diese Behauptung paradox finden, sie ist doch ganz natürlich.
Ungarn wurde von der plötzlichen Niederlage dei Vilagos wie vom Schlage getroffen;
die Aerzte, welche ihm seine Lebensthätigkeit wiedergeben sollten, quacksalbern bereits
1t> Monate an dem lebendigen Leichnam, der bei allen Aderlässen und Zugpflastern kein
Zeichen des Schmerzgefühls von sich gibt: nur ein Mittel gibt es für den Kranken,
nämlich auf seine Nerven zu wirken, das Wort „Krieg" besitzt die elektrische Kraft, die
gelähmten Nerven in Zuckungen zu bringen. Daß diese Zuckungen nur künstlich hervor¬
gebracht sind und den ganzen Organismus in einen gefährlichen Zustand von Starr¬
krampf zu versetzen drohen, das kümmert den Kranken wenig, er sieht seine gelähmten
Glieder sich bewegen, und dies genügt ihm, durch sie seine Genesung zu hoffen. In
Warschau, so denkt bei uns die große Mehrheit, wird die östreichische Politik in/Deutsch¬
land mit dem legitimen Bundestage volle Anerkennung finden; Preußen aber kann
unmöglich aus die gänzliche Vernichtung seiner Stellung eingehen, und es kann nur das
Schwert entscheiden; und will Oestreich diesen Kampf aufnehmen, so muß es entweder
den Ungarn bedeutende Concessionen machen, um sich nur einigermaßen zu rehabilitiren,
oder es sieht deu Zustand von 1848 erneuert u. s. w. Zwar ist diesen Politikern wohl
bekannt, daß Ungarn von den letzten Kämpfen zu sehr erschöpft ist, und daß ein Volk
einen Kampf auf Leben und Tod nicht zweimal in so kurzen Zwischenräumen zu wagen
Pflegt; allein dafür entschädigen sie die Massen ungarischer und italienischer Soldaten,
welche die östreichische Armee als Strafanstalt betrachten und die erste Gelegenheit suchen
werden, dem übermüthigen Dränger die Spitze zu bieten; besonders aber der höchst
aufgeregte Zustand der Südslaven und Romanen. Diese nehmen in neuerer Zeit eine
wirklich drohende Stellung ein, und waltete nicht ein Fatum über unserer Negierung, so
müßte sie es klar sehen, wohin das Bündnis; mit dem nordischen Freund führen muß.
Ich hatte oft Gelegenheit, in diesen Blättern auseinanderzusetzen, wie wenig die südlichen
Stämme Ungarns durch ihren Brudermord an Freiheit und Selbstständigkeit gewonnen,
und wie viel sie an materiellem Gewinn verloren haben. Schon die vielen neuen
Steuern machten auf das von Ungarn in dieser Hinsicht stets verschonte Kroatien einen


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[0285] Vedette droht der Anfang eines ungeheuern Krieges zu werden, der von allen Parteien mit solchem Mangel an weiser Ueberlegung begonnen wird, wie kaum je ein anderer. Noch hat jeder Einzelne das Recht, dies zu sagen, denn noch hat der Dä¬ mon der Schlachten seine ersten Opfer nicht gefordert. Kleine Korrespondenzen. Während die Warschauer Konferenz deprimirend ans die Partei der „Bekenntnisse" wirkte, athmet die Partei der besiegten Revolution tief auf und ruft mit Schadenfreude: „Wir sagten stets, daß es so nicht bleiben kann, die Warschauer Conferenz bringt jedenfalls eine Veränderung des Systems, und jede Veränderung muß uns Gewinn dringen." Sie werden diese Behauptung paradox finden, sie ist doch ganz natürlich. Ungarn wurde von der plötzlichen Niederlage dei Vilagos wie vom Schlage getroffen; die Aerzte, welche ihm seine Lebensthätigkeit wiedergeben sollten, quacksalbern bereits 1t> Monate an dem lebendigen Leichnam, der bei allen Aderlässen und Zugpflastern kein Zeichen des Schmerzgefühls von sich gibt: nur ein Mittel gibt es für den Kranken, nämlich auf seine Nerven zu wirken, das Wort „Krieg" besitzt die elektrische Kraft, die gelähmten Nerven in Zuckungen zu bringen. Daß diese Zuckungen nur künstlich hervor¬ gebracht sind und den ganzen Organismus in einen gefährlichen Zustand von Starr¬ krampf zu versetzen drohen, das kümmert den Kranken wenig, er sieht seine gelähmten Glieder sich bewegen, und dies genügt ihm, durch sie seine Genesung zu hoffen. In Warschau, so denkt bei uns die große Mehrheit, wird die östreichische Politik in/Deutsch¬ land mit dem legitimen Bundestage volle Anerkennung finden; Preußen aber kann unmöglich aus die gänzliche Vernichtung seiner Stellung eingehen, und es kann nur das Schwert entscheiden; und will Oestreich diesen Kampf aufnehmen, so muß es entweder den Ungarn bedeutende Concessionen machen, um sich nur einigermaßen zu rehabilitiren, oder es sieht deu Zustand von 1848 erneuert u. s. w. Zwar ist diesen Politikern wohl bekannt, daß Ungarn von den letzten Kämpfen zu sehr erschöpft ist, und daß ein Volk einen Kampf auf Leben und Tod nicht zweimal in so kurzen Zwischenräumen zu wagen Pflegt; allein dafür entschädigen sie die Massen ungarischer und italienischer Soldaten, welche die östreichische Armee als Strafanstalt betrachten und die erste Gelegenheit suchen werden, dem übermüthigen Dränger die Spitze zu bieten; besonders aber der höchst aufgeregte Zustand der Südslaven und Romanen. Diese nehmen in neuerer Zeit eine wirklich drohende Stellung ein, und waltete nicht ein Fatum über unserer Negierung, so müßte sie es klar sehen, wohin das Bündnis; mit dem nordischen Freund führen muß. Ich hatte oft Gelegenheit, in diesen Blättern auseinanderzusetzen, wie wenig die südlichen Stämme Ungarns durch ihren Brudermord an Freiheit und Selbstständigkeit gewonnen, und wie viel sie an materiellem Gewinn verloren haben. Schon die vielen neuen Steuern machten auf das von Ungarn in dieser Hinsicht stets verschonte Kroatien einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/285>, abgerufen am 22.07.2024.