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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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um ein halbes Jahr Zeit zu gewinnen. Diese Zeit, so kurz sie ist, kann hinreichen,
eine durchaus andere Position Preußens vorzubereiten.

Unsere Diplomatentradition hat Recht, wenn sie Oestreich den natürlichen
Bundesgenossen Preußens nennt. Nur ist dies Oestreich nicht der Staat des
Kabinets Schwarzenberg, sondern das Oestreich, ans welches die sogenannte
föderative Partei im Kaiserstaat hinarbeitet. Diese Partei, allerdings der natürliche
Verbündete Preußens, ist zahlreich und mächtig, sie umfaßt anßer den Ungarn aller
Fractionen, trotz aller Meinnngsdifferenzen die besonnenen Czechen, eine Anzahl
liberaler östreichischer Staatsmänner, die Andrian, Pillersdorf u. s. w. und die
große Anzahl der Liberalen in den deutschen Provinzen, von Italien ganz abge¬
sehen. Es wäre für die preußische Negierung nicht schwer, bei den zu eröffnenden
freien Conferenzen Oestreich brüderlich und artig daran zu erinnern, daß sein
Beitritt zum Bündniß mit allen außerdeutschen Provinzen die zweckmäßige Orga¬
nisation dieser Landestheile sowohl voraussetze als nothwendig mache, und daß
diese Organisation jedenfalls eine solche sein müsse, welche alte Rechte der Länder
ehre und dem Bunde die Garantie gebe, daß er seine Interessen nicht mit denen
von 20 Millionen mißvergnügter und widersetzlicher Unterthanen verbinde. Eine
solche Erinnerung wäre ebenso rechtschaffen als nützlich; sie würde Preußen mit
einem Schlage die dauernden Sympathien einer intelligenten und rührigen Partei
erwerben, welche in allen Eventualitäten sich förderlich beweisen dürste. -- Außerdem
stehen jeder Negierung eine Unzahl Mittel zu Gebote, sich eiuzelue einflußreiche Bürger
eines audern Staates zu befreunden, ohne das Selbstgefühl und die Unterthanentrene
derselben zu kränken. Niemand z. B. hat eine feinere Empfindung für kleine Liebens¬
würdigkeiten, welche ihrer Nationalität erwiesen werden, als die Ungarn; und der
Berliner Hof, die preußischen Gesandtschaften, sogar die Akademie der Wissenschaften
haben vielfache Gelegenheit, schuldlose Sympathien zu zeigen, welche uicht com-
promittiren und doch schnell ein Band ziehen würden zwischen Berlin und Pesth.

Die gegenwärtige Negierung Oestreichs ist in der schlimmen Lage, durch
ihr Princip den Staat aussaugen und die Völker demoralistren zu müssen. Es
ist unmöglich, daß Oestreich noch lange Zeit den ungeheuren Militäretat aufhält,
es ist unwahrscheinlich, daß es dem großen Talent des Finanzministers gelingen
wird, selbst diesen Winter die Mittel zur Bestreitung des Staatsanfwandes zu
beschaffen, es ist vorauszusehen, daß die Entwerthung des Papiergeldes fort¬
während zunehmen und die dadurch hervorgebrachte Stockung in Gewerbe und
Industrie eine drohende Höhe der Mißstimmung erzeugen muß. Aus diesen und
andern Gründen läßt sich vermittelst einer Wahrscheinlichkeitsrechnnng nachweisen,
daß Oestreich im Ausgange dieses Winters sehr ernsten Grund haben wird, für
sich selbst zu sorgen, und daß Preußen, falls es ihm gelänge, eine Ent¬
scheidung auf den Schlachtfeldern bis zum Frühjahr zu verzögern, dann nicht
geringe Aussicht hätte, Oestreich in einer andern Situation, als in der eines


um ein halbes Jahr Zeit zu gewinnen. Diese Zeit, so kurz sie ist, kann hinreichen,
eine durchaus andere Position Preußens vorzubereiten.

Unsere Diplomatentradition hat Recht, wenn sie Oestreich den natürlichen
Bundesgenossen Preußens nennt. Nur ist dies Oestreich nicht der Staat des
Kabinets Schwarzenberg, sondern das Oestreich, ans welches die sogenannte
föderative Partei im Kaiserstaat hinarbeitet. Diese Partei, allerdings der natürliche
Verbündete Preußens, ist zahlreich und mächtig, sie umfaßt anßer den Ungarn aller
Fractionen, trotz aller Meinnngsdifferenzen die besonnenen Czechen, eine Anzahl
liberaler östreichischer Staatsmänner, die Andrian, Pillersdorf u. s. w. und die
große Anzahl der Liberalen in den deutschen Provinzen, von Italien ganz abge¬
sehen. Es wäre für die preußische Negierung nicht schwer, bei den zu eröffnenden
freien Conferenzen Oestreich brüderlich und artig daran zu erinnern, daß sein
Beitritt zum Bündniß mit allen außerdeutschen Provinzen die zweckmäßige Orga¬
nisation dieser Landestheile sowohl voraussetze als nothwendig mache, und daß
diese Organisation jedenfalls eine solche sein müsse, welche alte Rechte der Länder
ehre und dem Bunde die Garantie gebe, daß er seine Interessen nicht mit denen
von 20 Millionen mißvergnügter und widersetzlicher Unterthanen verbinde. Eine
solche Erinnerung wäre ebenso rechtschaffen als nützlich; sie würde Preußen mit
einem Schlage die dauernden Sympathien einer intelligenten und rührigen Partei
erwerben, welche in allen Eventualitäten sich förderlich beweisen dürste. — Außerdem
stehen jeder Negierung eine Unzahl Mittel zu Gebote, sich eiuzelue einflußreiche Bürger
eines audern Staates zu befreunden, ohne das Selbstgefühl und die Unterthanentrene
derselben zu kränken. Niemand z. B. hat eine feinere Empfindung für kleine Liebens¬
würdigkeiten, welche ihrer Nationalität erwiesen werden, als die Ungarn; und der
Berliner Hof, die preußischen Gesandtschaften, sogar die Akademie der Wissenschaften
haben vielfache Gelegenheit, schuldlose Sympathien zu zeigen, welche uicht com-
promittiren und doch schnell ein Band ziehen würden zwischen Berlin und Pesth.

Die gegenwärtige Negierung Oestreichs ist in der schlimmen Lage, durch
ihr Princip den Staat aussaugen und die Völker demoralistren zu müssen. Es
ist unmöglich, daß Oestreich noch lange Zeit den ungeheuren Militäretat aufhält,
es ist unwahrscheinlich, daß es dem großen Talent des Finanzministers gelingen
wird, selbst diesen Winter die Mittel zur Bestreitung des Staatsanfwandes zu
beschaffen, es ist vorauszusehen, daß die Entwerthung des Papiergeldes fort¬
während zunehmen und die dadurch hervorgebrachte Stockung in Gewerbe und
Industrie eine drohende Höhe der Mißstimmung erzeugen muß. Aus diesen und
andern Gründen läßt sich vermittelst einer Wahrscheinlichkeitsrechnnng nachweisen,
daß Oestreich im Ausgange dieses Winters sehr ernsten Grund haben wird, für
sich selbst zu sorgen, und daß Preußen, falls es ihm gelänge, eine Ent¬
scheidung auf den Schlachtfeldern bis zum Frühjahr zu verzögern, dann nicht
geringe Aussicht hätte, Oestreich in einer andern Situation, als in der eines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/282>, abgerufen am 22.07.2024.