Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in einem'auffallenden Mißverhältnisse zu Allem, was ich draußen sah, ja selbst
was sie unmittelbar umgab, gewesen ist. Das Zimmer, wo wir uus befanden,
war groß, aber sehr niedrig, seine 6 Zoll dicken Wände waren mit papiernen
Tapeten, welche Spuren von Schadhaftigkeit an sich trugen, beklebt, der Fu߬
boden rohe Dielen, die Möbeln aus verschiedenen Zeiten und von ungleichem Alter,
nirgends eine Spur vou Kunst, ja nicht einmal von Eleganz oder auch nnr
Geschmack; ein improvisirter Salon, wobei man nicht sogleich begriff, wie diese
Gesellschaft ans einmal hineingerathen konnte. Die Konversation wurde mir zu
lieb in französischer Sprache gehalten, nud wie man schon ans unserm ersten
Zusammentreffen wußte, daß mir Paris uicht unbekannt sei, so hatte ich die Ge¬
legenheit, die genane Kenntniß der hiesigen Damen mit den dortigen Verhält¬
nissen, berühmten Persönlichkeiten und allen dortigen Vorfallenheiten zu bewun¬
dern." -- Bei Tische wird unerhört getrunken, und bald kommt mau auf das Stich¬
wort der polnischen Geselligkeit, die Befreiung ihres Vaterlandes. Der Gelehrte der
Gesellschaft trägt dem jung-en Deutschen, der gewonnen werden soll, eine förmliche Ge¬
schichtsphilosophie vor. -- "So lauge wir mit den Sorgen um unser Reich zu thun
hatten, konnten wir für Enropa wenig thun, jetzt siud wir frei -- unser ganzes Thun
und Denken steht jetzt zu Ihrer Verfügung. Wie wir früher die Repräsentanten der
Freiheit waren, werdeu wir deren Träger und Apostel durch die ganze Erde sein, wir
haben allein von Allen die Mittel, die Energie, den Geist hiezu. Man beschuldigt
nus, gegen unsere Bauern im Widersprüche mit diesen Ideen zu sein, sie zu knechten,
zur harten Arbeit zu zwingen, sie überhaupt mit Willkür zu behandeln und zu
unterdrücken. Wir leugnen dies uicht -- es ist wahr; aber in Verfolgung des
großen Zweckes, den wir vor Augen haben, kann es wohl nicht anders ge¬
schehen. Diese Classe vou Menschen muß selbst unbewußt auf diese Art für die
allgemeine, wie für die eigene Freiheit arbeiten. Wir brauchen große Mittel,
wenn wir Etwas ausrichten wollen, und zum zweiten, unumgänglich ihren blinden
Gehorsam. Ihre Arbeit verschafft uns das nöthige Geld, ihr Gehorsam wird
seiner Zeit uns die Massen liefern, mit welchen die Völker ihren Regierungen
gegenüber zu agiren berufen sind. Wir müssen sie dnrch solche zeitweise harte
Behandlung gewöhnen, unserm Willen lenksame Werkzeuge zu bleiben. Würden
wir jetzt schou versuchen, ihnen Freiheit zu gestatten, welchen Lohn hätten wir
ihnen dann zu geben, wenn wir ihre Mitwirkung brauchen werden? Bei einem
so wichtigen Gegenstande darf man aber so wenig als möglich etwas dem Zufalle
überlassen; unser Bauer kann uns uur als blindes Werkzeug von Nutzen sein.
Ist der Zweck erfüllt, dann wird unser Erstes sein, einen Meuscheu aus ihm zu
macheu und ihn in die Rechte, die er mit erringen half, einzusetzen." Was kann
man darauf erwiedern! "Mein Schweigen wurde von der Gesellschaft als ein
Sieg über mich angesehen; mehrere Herren, die unserm Gespräche aufmerksam
folgten, näherten sich mir freundlich mit den Worten: "nun bist Dn der Unsrige,


in einem'auffallenden Mißverhältnisse zu Allem, was ich draußen sah, ja selbst
was sie unmittelbar umgab, gewesen ist. Das Zimmer, wo wir uus befanden,
war groß, aber sehr niedrig, seine 6 Zoll dicken Wände waren mit papiernen
Tapeten, welche Spuren von Schadhaftigkeit an sich trugen, beklebt, der Fu߬
boden rohe Dielen, die Möbeln aus verschiedenen Zeiten und von ungleichem Alter,
nirgends eine Spur vou Kunst, ja nicht einmal von Eleganz oder auch nnr
Geschmack; ein improvisirter Salon, wobei man nicht sogleich begriff, wie diese
Gesellschaft ans einmal hineingerathen konnte. Die Konversation wurde mir zu
lieb in französischer Sprache gehalten, nud wie man schon ans unserm ersten
Zusammentreffen wußte, daß mir Paris uicht unbekannt sei, so hatte ich die Ge¬
legenheit, die genane Kenntniß der hiesigen Damen mit den dortigen Verhält¬
nissen, berühmten Persönlichkeiten und allen dortigen Vorfallenheiten zu bewun¬
dern." — Bei Tische wird unerhört getrunken, und bald kommt mau auf das Stich¬
wort der polnischen Geselligkeit, die Befreiung ihres Vaterlandes. Der Gelehrte der
Gesellschaft trägt dem jung-en Deutschen, der gewonnen werden soll, eine förmliche Ge¬
schichtsphilosophie vor. — „So lauge wir mit den Sorgen um unser Reich zu thun
hatten, konnten wir für Enropa wenig thun, jetzt siud wir frei — unser ganzes Thun
und Denken steht jetzt zu Ihrer Verfügung. Wie wir früher die Repräsentanten der
Freiheit waren, werdeu wir deren Träger und Apostel durch die ganze Erde sein, wir
haben allein von Allen die Mittel, die Energie, den Geist hiezu. Man beschuldigt
nus, gegen unsere Bauern im Widersprüche mit diesen Ideen zu sein, sie zu knechten,
zur harten Arbeit zu zwingen, sie überhaupt mit Willkür zu behandeln und zu
unterdrücken. Wir leugnen dies uicht — es ist wahr; aber in Verfolgung des
großen Zweckes, den wir vor Augen haben, kann es wohl nicht anders ge¬
schehen. Diese Classe vou Menschen muß selbst unbewußt auf diese Art für die
allgemeine, wie für die eigene Freiheit arbeiten. Wir brauchen große Mittel,
wenn wir Etwas ausrichten wollen, und zum zweiten, unumgänglich ihren blinden
Gehorsam. Ihre Arbeit verschafft uns das nöthige Geld, ihr Gehorsam wird
seiner Zeit uns die Massen liefern, mit welchen die Völker ihren Regierungen
gegenüber zu agiren berufen sind. Wir müssen sie dnrch solche zeitweise harte
Behandlung gewöhnen, unserm Willen lenksame Werkzeuge zu bleiben. Würden
wir jetzt schou versuchen, ihnen Freiheit zu gestatten, welchen Lohn hätten wir
ihnen dann zu geben, wenn wir ihre Mitwirkung brauchen werden? Bei einem
so wichtigen Gegenstande darf man aber so wenig als möglich etwas dem Zufalle
überlassen; unser Bauer kann uns uur als blindes Werkzeug von Nutzen sein.
Ist der Zweck erfüllt, dann wird unser Erstes sein, einen Meuscheu aus ihm zu
macheu und ihn in die Rechte, die er mit erringen half, einzusetzen." Was kann
man darauf erwiedern! „Mein Schweigen wurde von der Gesellschaft als ein
Sieg über mich angesehen; mehrere Herren, die unserm Gespräche aufmerksam
folgten, näherten sich mir freundlich mit den Worten: „nun bist Dn der Unsrige,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92565"/>
          <p xml:id="ID_875" prev="#ID_874" next="#ID_876"> in einem'auffallenden Mißverhältnisse zu Allem, was ich draußen sah, ja selbst<lb/>
was sie unmittelbar umgab, gewesen ist. Das Zimmer, wo wir uus befanden,<lb/>
war groß, aber sehr niedrig, seine 6 Zoll dicken Wände waren mit papiernen<lb/>
Tapeten, welche Spuren von Schadhaftigkeit an sich trugen, beklebt, der Fu߬<lb/>
boden rohe Dielen, die Möbeln aus verschiedenen Zeiten und von ungleichem Alter,<lb/>
nirgends eine Spur vou Kunst, ja nicht einmal von Eleganz oder auch nnr<lb/>
Geschmack; ein improvisirter Salon, wobei man nicht sogleich begriff, wie diese<lb/>
Gesellschaft ans einmal hineingerathen konnte. Die Konversation wurde mir zu<lb/>
lieb in französischer Sprache gehalten, nud wie man schon ans unserm ersten<lb/>
Zusammentreffen wußte, daß mir Paris uicht unbekannt sei, so hatte ich die Ge¬<lb/>
legenheit, die genane Kenntniß der hiesigen Damen mit den dortigen Verhält¬<lb/>
nissen, berühmten Persönlichkeiten und allen dortigen Vorfallenheiten zu bewun¬<lb/>
dern." &#x2014; Bei Tische wird unerhört getrunken, und bald kommt mau auf das Stich¬<lb/>
wort der polnischen Geselligkeit, die Befreiung ihres Vaterlandes. Der Gelehrte der<lb/>
Gesellschaft trägt dem jung-en Deutschen, der gewonnen werden soll, eine förmliche Ge¬<lb/>
schichtsphilosophie vor. &#x2014; &#x201E;So lauge wir mit den Sorgen um unser Reich zu thun<lb/>
hatten, konnten wir für Enropa wenig thun, jetzt siud wir frei &#x2014; unser ganzes Thun<lb/>
und Denken steht jetzt zu Ihrer Verfügung. Wie wir früher die Repräsentanten der<lb/>
Freiheit waren, werdeu wir deren Träger und Apostel durch die ganze Erde sein, wir<lb/>
haben allein von Allen die Mittel, die Energie, den Geist hiezu. Man beschuldigt<lb/>
nus, gegen unsere Bauern im Widersprüche mit diesen Ideen zu sein, sie zu knechten,<lb/>
zur harten Arbeit zu zwingen, sie überhaupt mit Willkür zu behandeln und zu<lb/>
unterdrücken. Wir leugnen dies uicht &#x2014; es ist wahr; aber in Verfolgung des<lb/>
großen Zweckes, den wir vor Augen haben, kann es wohl nicht anders ge¬<lb/>
schehen. Diese Classe vou Menschen muß selbst unbewußt auf diese Art für die<lb/>
allgemeine, wie für die eigene Freiheit arbeiten. Wir brauchen große Mittel,<lb/>
wenn wir Etwas ausrichten wollen, und zum zweiten, unumgänglich ihren blinden<lb/>
Gehorsam. Ihre Arbeit verschafft uns das nöthige Geld, ihr Gehorsam wird<lb/>
seiner Zeit uns die Massen liefern, mit welchen die Völker ihren Regierungen<lb/>
gegenüber zu agiren berufen sind. Wir müssen sie dnrch solche zeitweise harte<lb/>
Behandlung gewöhnen, unserm Willen lenksame Werkzeuge zu bleiben. Würden<lb/>
wir jetzt schou versuchen, ihnen Freiheit zu gestatten, welchen Lohn hätten wir<lb/>
ihnen dann zu geben, wenn wir ihre Mitwirkung brauchen werden? Bei einem<lb/>
so wichtigen Gegenstande darf man aber so wenig als möglich etwas dem Zufalle<lb/>
überlassen; unser Bauer kann uns uur als blindes Werkzeug von Nutzen sein.<lb/>
Ist der Zweck erfüllt, dann wird unser Erstes sein, einen Meuscheu aus ihm zu<lb/>
macheu und ihn in die Rechte, die er mit erringen half, einzusetzen." Was kann<lb/>
man darauf erwiedern! &#x201E;Mein Schweigen wurde von der Gesellschaft als ein<lb/>
Sieg über mich angesehen; mehrere Herren, die unserm Gespräche aufmerksam<lb/>
folgten, näherten sich mir freundlich mit den Worten: &#x201E;nun bist Dn der Unsrige,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] in einem'auffallenden Mißverhältnisse zu Allem, was ich draußen sah, ja selbst was sie unmittelbar umgab, gewesen ist. Das Zimmer, wo wir uus befanden, war groß, aber sehr niedrig, seine 6 Zoll dicken Wände waren mit papiernen Tapeten, welche Spuren von Schadhaftigkeit an sich trugen, beklebt, der Fu߬ boden rohe Dielen, die Möbeln aus verschiedenen Zeiten und von ungleichem Alter, nirgends eine Spur vou Kunst, ja nicht einmal von Eleganz oder auch nnr Geschmack; ein improvisirter Salon, wobei man nicht sogleich begriff, wie diese Gesellschaft ans einmal hineingerathen konnte. Die Konversation wurde mir zu lieb in französischer Sprache gehalten, nud wie man schon ans unserm ersten Zusammentreffen wußte, daß mir Paris uicht unbekannt sei, so hatte ich die Ge¬ legenheit, die genane Kenntniß der hiesigen Damen mit den dortigen Verhält¬ nissen, berühmten Persönlichkeiten und allen dortigen Vorfallenheiten zu bewun¬ dern." — Bei Tische wird unerhört getrunken, und bald kommt mau auf das Stich¬ wort der polnischen Geselligkeit, die Befreiung ihres Vaterlandes. Der Gelehrte der Gesellschaft trägt dem jung-en Deutschen, der gewonnen werden soll, eine förmliche Ge¬ schichtsphilosophie vor. — „So lauge wir mit den Sorgen um unser Reich zu thun hatten, konnten wir für Enropa wenig thun, jetzt siud wir frei — unser ganzes Thun und Denken steht jetzt zu Ihrer Verfügung. Wie wir früher die Repräsentanten der Freiheit waren, werdeu wir deren Träger und Apostel durch die ganze Erde sein, wir haben allein von Allen die Mittel, die Energie, den Geist hiezu. Man beschuldigt nus, gegen unsere Bauern im Widersprüche mit diesen Ideen zu sein, sie zu knechten, zur harten Arbeit zu zwingen, sie überhaupt mit Willkür zu behandeln und zu unterdrücken. Wir leugnen dies uicht — es ist wahr; aber in Verfolgung des großen Zweckes, den wir vor Augen haben, kann es wohl nicht anders ge¬ schehen. Diese Classe vou Menschen muß selbst unbewußt auf diese Art für die allgemeine, wie für die eigene Freiheit arbeiten. Wir brauchen große Mittel, wenn wir Etwas ausrichten wollen, und zum zweiten, unumgänglich ihren blinden Gehorsam. Ihre Arbeit verschafft uns das nöthige Geld, ihr Gehorsam wird seiner Zeit uns die Massen liefern, mit welchen die Völker ihren Regierungen gegenüber zu agiren berufen sind. Wir müssen sie dnrch solche zeitweise harte Behandlung gewöhnen, unserm Willen lenksame Werkzeuge zu bleiben. Würden wir jetzt schou versuchen, ihnen Freiheit zu gestatten, welchen Lohn hätten wir ihnen dann zu geben, wenn wir ihre Mitwirkung brauchen werden? Bei einem so wichtigen Gegenstande darf man aber so wenig als möglich etwas dem Zufalle überlassen; unser Bauer kann uns uur als blindes Werkzeug von Nutzen sein. Ist der Zweck erfüllt, dann wird unser Erstes sein, einen Meuscheu aus ihm zu macheu und ihn in die Rechte, die er mit erringen half, einzusetzen." Was kann man darauf erwiedern! „Mein Schweigen wurde von der Gesellschaft als ein Sieg über mich angesehen; mehrere Herren, die unserm Gespräche aufmerksam folgten, näherten sich mir freundlich mit den Worten: „nun bist Dn der Unsrige,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/276>, abgerufen am 22.07.2024.