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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Prinzessin in einen Rubin verwandelt, das läßt sich denken, wenn man überhaupt
nichts dabei denkt; wenn man sich aber in die Empfindungen dieser Prinzessin während
der Verwandlung versetzen soll, und nicht etwa mit Humor (wie in der Schilde¬
rung, welche der Feldmarschall Cornelius Nepos in Arnim von seiner Alraunen-
Empfindung gibt), sondern mit allem Aufwand des Gefühls, mit dem Schauder,
deu eine so unangenehme Lage nothwendig hervorbringen muß, so ist das uicht
zu ertragen.

Wenn ich also glaube, das Mährchendrama überhaupt verwerfen zu müssen,
so findet das auf Hebbel doppelt seiue Anwendung. Von seinem eigentlichen
Talent kann er in diesem Genre keinen Gebrauch machen: er kann weder conse-
quente Charaktere noch starke Leidenschaften malen; er geräth mit seinen Grübe¬
leien nach allen Seiten hin auf Abwege, und knüpft seine Polemik gegen
eine bestimmte Schwäche (z. B. im Diamanten gegen die Selbstsucht) uicht an
eine fortgehende Entwickelung, sondern an parallel laufende Einzelheiten; er wird
unklar, ohne tief zu sein, barock, ohne zu belustigen. Denn die' einzige Eigen¬
schaft, die dergleichen Poesien Reiz verleihen kaun, geht ihm vollständig ab: der
Humor. Humor kaun nnr bestehen, wo eine innige Freude an bunten, lebendigen Farben,
an der Fülle des Lebens da ist; der Humor, den Hamlet auf dem Kirchhof an¬
wendet -- und Hebbel ist mit seiner zersetzenden Reflexion und mit seiner fieber¬
haften Phantasie ein potenzirter Hamlet -- riecht zu sehr uach der Verwesung,
I. S. um Freude zu macheu.




Die Staatsmänner Kurhesseus.
i.
Das März-Ministerium.

Obgleich Verfasser sich zu den entschiedenen Freunden des März-Ministeriums
zählt, dessen verfassungstreue Wirksamkeit durch Hassenpflng's kopflose Gewalt¬
schritte eine neue Folie erhalten hat, so würde er doch der von ihnen vertretenen
Sache einen schlechten Dienst erweisen, wollte er als ihr Panegyriker auftreten;
er wird auch begründeten Tadel uicht zurückhalten, treffe er Personen oder Sachen.

Als im Jahre 1848 die Märzbewegung in Kurhessen noch keinerlei Demon¬
stration hervorgerufen hatte, berief der Kurfürst zum Ersatz für deu im Februar
verstorbenen Bietet den Director des Obergerichts zu Rinteln, Herrn Moritz
v. Banmbach, in's Justizministerium. Vou einem Wechsel des Cabinets war
damals noch keine Rede, doch wollte man offenbar durch Berufung dieses allge¬
meinen in höchster Achtung stehenden Mannes der Zeit eine Art von Zugeständ-


Prinzessin in einen Rubin verwandelt, das läßt sich denken, wenn man überhaupt
nichts dabei denkt; wenn man sich aber in die Empfindungen dieser Prinzessin während
der Verwandlung versetzen soll, und nicht etwa mit Humor (wie in der Schilde¬
rung, welche der Feldmarschall Cornelius Nepos in Arnim von seiner Alraunen-
Empfindung gibt), sondern mit allem Aufwand des Gefühls, mit dem Schauder,
deu eine so unangenehme Lage nothwendig hervorbringen muß, so ist das uicht
zu ertragen.

Wenn ich also glaube, das Mährchendrama überhaupt verwerfen zu müssen,
so findet das auf Hebbel doppelt seiue Anwendung. Von seinem eigentlichen
Talent kann er in diesem Genre keinen Gebrauch machen: er kann weder conse-
quente Charaktere noch starke Leidenschaften malen; er geräth mit seinen Grübe¬
leien nach allen Seiten hin auf Abwege, und knüpft seine Polemik gegen
eine bestimmte Schwäche (z. B. im Diamanten gegen die Selbstsucht) uicht an
eine fortgehende Entwickelung, sondern an parallel laufende Einzelheiten; er wird
unklar, ohne tief zu sein, barock, ohne zu belustigen. Denn die' einzige Eigen¬
schaft, die dergleichen Poesien Reiz verleihen kaun, geht ihm vollständig ab: der
Humor. Humor kaun nnr bestehen, wo eine innige Freude an bunten, lebendigen Farben,
an der Fülle des Lebens da ist; der Humor, den Hamlet auf dem Kirchhof an¬
wendet — und Hebbel ist mit seiner zersetzenden Reflexion und mit seiner fieber¬
haften Phantasie ein potenzirter Hamlet — riecht zu sehr uach der Verwesung,
I. S. um Freude zu macheu.




Die Staatsmänner Kurhesseus.
i.
Das März-Ministerium.

Obgleich Verfasser sich zu den entschiedenen Freunden des März-Ministeriums
zählt, dessen verfassungstreue Wirksamkeit durch Hassenpflng's kopflose Gewalt¬
schritte eine neue Folie erhalten hat, so würde er doch der von ihnen vertretenen
Sache einen schlechten Dienst erweisen, wollte er als ihr Panegyriker auftreten;
er wird auch begründeten Tadel uicht zurückhalten, treffe er Personen oder Sachen.

Als im Jahre 1848 die Märzbewegung in Kurhessen noch keinerlei Demon¬
stration hervorgerufen hatte, berief der Kurfürst zum Ersatz für deu im Februar
verstorbenen Bietet den Director des Obergerichts zu Rinteln, Herrn Moritz
v. Banmbach, in's Justizministerium. Vou einem Wechsel des Cabinets war
damals noch keine Rede, doch wollte man offenbar durch Berufung dieses allge¬
meinen in höchster Achtung stehenden Mannes der Zeit eine Art von Zugeständ-


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[0261] Prinzessin in einen Rubin verwandelt, das läßt sich denken, wenn man überhaupt nichts dabei denkt; wenn man sich aber in die Empfindungen dieser Prinzessin während der Verwandlung versetzen soll, und nicht etwa mit Humor (wie in der Schilde¬ rung, welche der Feldmarschall Cornelius Nepos in Arnim von seiner Alraunen- Empfindung gibt), sondern mit allem Aufwand des Gefühls, mit dem Schauder, deu eine so unangenehme Lage nothwendig hervorbringen muß, so ist das uicht zu ertragen. Wenn ich also glaube, das Mährchendrama überhaupt verwerfen zu müssen, so findet das auf Hebbel doppelt seiue Anwendung. Von seinem eigentlichen Talent kann er in diesem Genre keinen Gebrauch machen: er kann weder conse- quente Charaktere noch starke Leidenschaften malen; er geräth mit seinen Grübe¬ leien nach allen Seiten hin auf Abwege, und knüpft seine Polemik gegen eine bestimmte Schwäche (z. B. im Diamanten gegen die Selbstsucht) uicht an eine fortgehende Entwickelung, sondern an parallel laufende Einzelheiten; er wird unklar, ohne tief zu sein, barock, ohne zu belustigen. Denn die' einzige Eigen¬ schaft, die dergleichen Poesien Reiz verleihen kaun, geht ihm vollständig ab: der Humor. Humor kaun nnr bestehen, wo eine innige Freude an bunten, lebendigen Farben, an der Fülle des Lebens da ist; der Humor, den Hamlet auf dem Kirchhof an¬ wendet — und Hebbel ist mit seiner zersetzenden Reflexion und mit seiner fieber¬ haften Phantasie ein potenzirter Hamlet — riecht zu sehr uach der Verwesung, I. S. um Freude zu macheu. Die Staatsmänner Kurhesseus. i. Das März-Ministerium. Obgleich Verfasser sich zu den entschiedenen Freunden des März-Ministeriums zählt, dessen verfassungstreue Wirksamkeit durch Hassenpflng's kopflose Gewalt¬ schritte eine neue Folie erhalten hat, so würde er doch der von ihnen vertretenen Sache einen schlechten Dienst erweisen, wollte er als ihr Panegyriker auftreten; er wird auch begründeten Tadel uicht zurückhalten, treffe er Personen oder Sachen. Als im Jahre 1848 die Märzbewegung in Kurhessen noch keinerlei Demon¬ stration hervorgerufen hatte, berief der Kurfürst zum Ersatz für deu im Februar verstorbenen Bietet den Director des Obergerichts zu Rinteln, Herrn Moritz v. Banmbach, in's Justizministerium. Vou einem Wechsel des Cabinets war damals noch keine Rede, doch wollte man offenbar durch Berufung dieses allge¬ meinen in höchster Achtung stehenden Mannes der Zeit eine Art von Zugeständ-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/261>, abgerufen am 25.08.2024.