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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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lichen Augenblicken denjenigen wählen würde, in dem der Rückzug mit der größten
Schande verknüpft sein, nnter allen möglichen Formen des Rückzugs diejenige,
die es dem Hohne und dem Gelächter auch der schlechtesten seiner Feinde Preis
geben mußte.

Darüber würden sich nun freilich diese Männer hinwegsetzen, aber es ist
damit nicht abgethan. Es kommt den verbündeten Mächten nicht blos darauf an,
daß Preußen sich ihren Plänen sügt und die seinigen ausgibt, sondern daß es
auf eine Weise in der öffentlichen Meinung herabgesetzt wird, daß es nie wieder
daran denken kann, eine Rolle zu spielen, wie die, welche eine vorschnelle Hoff¬
nung ihm im Jahre 1848 übertrug. Aeußerliche aufgezwungene Demüthigungen,
auch der schwersten Art, siud uicht hinreichend, es muß sich selbst mit dem Schein
der Freiheit öffentlich herabsetzen. Die Maßregeln der Verbündeten sind genau
auf den Charakter unserer Noveiubermänner berechnet. Man wird sich hüten,
ihnen ans einmal alles das, was man von ihnen will, vorzuzählen, so wenig es
die Römer vor dem dritten römischen Krieg gethan. Man tritt, halb drohend,
halb verheißend, mit einer Forderung uach der andern hervor , läßt sich jede
uach einigem Sträuben und einigen eitlen Nenommistereien bewilligen, und schließt
endlich mit einer, die nicht bewilligt werden kann. Dann im letzten Augenblicke,
wenn es zu spät ist, soll Preußen zu deu Waffen greifen, und von den vereinten
Kräften seiner Feinde erdrückt werden, der Erbe Friedrich des Großen, dem man
seine That vom 22. März 1848 nie vergessen und nie verzeihen wird, soll sich
dann wieder in die bescheidene Rolle eines Erzkämmcrers, eines Marquis vou
Braudebourg finden.

Die Reihenfolge der Forderungen ist leicht zu bestimmen: Rückzug aus Hessen;
Rückzug aus Baden; definitive Aufhebung der Union; Anerkennung des Bundes¬
tages mit östreichischen Präsidium; Intervention in Holstein; ist anch das noch
uicht genug: Anerkennung des Londoner Protocolls und der Integrität der dänischen
Monarchie; Aufhebung der preußischen Verfassung, die mit dem Bunde unver¬
träglich ist; endlich und zuletzt: Kreistheilung Deutschlands nach der im Januar
1849 von Oestreich projectirten Anlage: die anhaltinischen, thüringischen Herzog¬
tümer an Sachsen, Braunschweig an Hannover u. s. w., kurz, Herabdrückung
Preußens in die Reihe der deutschen Kleinstaaten.

Durch sein gegenwärtiges Nachgeben hat also das preußische Ministerium
den Krieg keineswegs vermieden; es hat ihn nur hinausgeschoben. Ihn in diesem
Augenblick aufzunehmen, wo alle Feinde Preußens völlig gerüstet an seinen Grenzen
stehen, währeud Preußen ohne Waffen und ohne Verbündete ist, daran ist nicht
zu denken. Es kommt darauf an, jetzt nicht mehr den Begebenheiten blind zu
folgen, sondern sie so zu leiten, daß die Krisis in einem Augenblick eintritt, wo
Preußen besser steht, als jetzt.

Dazu ist aber Eines vor allen Dingen Noth: Entfernung deö November-


lichen Augenblicken denjenigen wählen würde, in dem der Rückzug mit der größten
Schande verknüpft sein, nnter allen möglichen Formen des Rückzugs diejenige,
die es dem Hohne und dem Gelächter auch der schlechtesten seiner Feinde Preis
geben mußte.

Darüber würden sich nun freilich diese Männer hinwegsetzen, aber es ist
damit nicht abgethan. Es kommt den verbündeten Mächten nicht blos darauf an,
daß Preußen sich ihren Plänen sügt und die seinigen ausgibt, sondern daß es
auf eine Weise in der öffentlichen Meinung herabgesetzt wird, daß es nie wieder
daran denken kann, eine Rolle zu spielen, wie die, welche eine vorschnelle Hoff¬
nung ihm im Jahre 1848 übertrug. Aeußerliche aufgezwungene Demüthigungen,
auch der schwersten Art, siud uicht hinreichend, es muß sich selbst mit dem Schein
der Freiheit öffentlich herabsetzen. Die Maßregeln der Verbündeten sind genau
auf den Charakter unserer Noveiubermänner berechnet. Man wird sich hüten,
ihnen ans einmal alles das, was man von ihnen will, vorzuzählen, so wenig es
die Römer vor dem dritten römischen Krieg gethan. Man tritt, halb drohend,
halb verheißend, mit einer Forderung uach der andern hervor , läßt sich jede
uach einigem Sträuben und einigen eitlen Nenommistereien bewilligen, und schließt
endlich mit einer, die nicht bewilligt werden kann. Dann im letzten Augenblicke,
wenn es zu spät ist, soll Preußen zu deu Waffen greifen, und von den vereinten
Kräften seiner Feinde erdrückt werden, der Erbe Friedrich des Großen, dem man
seine That vom 22. März 1848 nie vergessen und nie verzeihen wird, soll sich
dann wieder in die bescheidene Rolle eines Erzkämmcrers, eines Marquis vou
Braudebourg finden.

Die Reihenfolge der Forderungen ist leicht zu bestimmen: Rückzug aus Hessen;
Rückzug aus Baden; definitive Aufhebung der Union; Anerkennung des Bundes¬
tages mit östreichischen Präsidium; Intervention in Holstein; ist anch das noch
uicht genug: Anerkennung des Londoner Protocolls und der Integrität der dänischen
Monarchie; Aufhebung der preußischen Verfassung, die mit dem Bunde unver¬
träglich ist; endlich und zuletzt: Kreistheilung Deutschlands nach der im Januar
1849 von Oestreich projectirten Anlage: die anhaltinischen, thüringischen Herzog¬
tümer an Sachsen, Braunschweig an Hannover u. s. w., kurz, Herabdrückung
Preußens in die Reihe der deutschen Kleinstaaten.

Durch sein gegenwärtiges Nachgeben hat also das preußische Ministerium
den Krieg keineswegs vermieden; es hat ihn nur hinausgeschoben. Ihn in diesem
Augenblick aufzunehmen, wo alle Feinde Preußens völlig gerüstet an seinen Grenzen
stehen, währeud Preußen ohne Waffen und ohne Verbündete ist, daran ist nicht
zu denken. Es kommt darauf an, jetzt nicht mehr den Begebenheiten blind zu
folgen, sondern sie so zu leiten, daß die Krisis in einem Augenblick eintritt, wo
Preußen besser steht, als jetzt.

Dazu ist aber Eines vor allen Dingen Noth: Entfernung deö November-


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[0255] lichen Augenblicken denjenigen wählen würde, in dem der Rückzug mit der größten Schande verknüpft sein, nnter allen möglichen Formen des Rückzugs diejenige, die es dem Hohne und dem Gelächter auch der schlechtesten seiner Feinde Preis geben mußte. Darüber würden sich nun freilich diese Männer hinwegsetzen, aber es ist damit nicht abgethan. Es kommt den verbündeten Mächten nicht blos darauf an, daß Preußen sich ihren Plänen sügt und die seinigen ausgibt, sondern daß es auf eine Weise in der öffentlichen Meinung herabgesetzt wird, daß es nie wieder daran denken kann, eine Rolle zu spielen, wie die, welche eine vorschnelle Hoff¬ nung ihm im Jahre 1848 übertrug. Aeußerliche aufgezwungene Demüthigungen, auch der schwersten Art, siud uicht hinreichend, es muß sich selbst mit dem Schein der Freiheit öffentlich herabsetzen. Die Maßregeln der Verbündeten sind genau auf den Charakter unserer Noveiubermänner berechnet. Man wird sich hüten, ihnen ans einmal alles das, was man von ihnen will, vorzuzählen, so wenig es die Römer vor dem dritten römischen Krieg gethan. Man tritt, halb drohend, halb verheißend, mit einer Forderung uach der andern hervor , läßt sich jede uach einigem Sträuben und einigen eitlen Nenommistereien bewilligen, und schließt endlich mit einer, die nicht bewilligt werden kann. Dann im letzten Augenblicke, wenn es zu spät ist, soll Preußen zu deu Waffen greifen, und von den vereinten Kräften seiner Feinde erdrückt werden, der Erbe Friedrich des Großen, dem man seine That vom 22. März 1848 nie vergessen und nie verzeihen wird, soll sich dann wieder in die bescheidene Rolle eines Erzkämmcrers, eines Marquis vou Braudebourg finden. Die Reihenfolge der Forderungen ist leicht zu bestimmen: Rückzug aus Hessen; Rückzug aus Baden; definitive Aufhebung der Union; Anerkennung des Bundes¬ tages mit östreichischen Präsidium; Intervention in Holstein; ist anch das noch uicht genug: Anerkennung des Londoner Protocolls und der Integrität der dänischen Monarchie; Aufhebung der preußischen Verfassung, die mit dem Bunde unver¬ träglich ist; endlich und zuletzt: Kreistheilung Deutschlands nach der im Januar 1849 von Oestreich projectirten Anlage: die anhaltinischen, thüringischen Herzog¬ tümer an Sachsen, Braunschweig an Hannover u. s. w., kurz, Herabdrückung Preußens in die Reihe der deutschen Kleinstaaten. Durch sein gegenwärtiges Nachgeben hat also das preußische Ministerium den Krieg keineswegs vermieden; es hat ihn nur hinausgeschoben. Ihn in diesem Augenblick aufzunehmen, wo alle Feinde Preußens völlig gerüstet an seinen Grenzen stehen, währeud Preußen ohne Waffen und ohne Verbündete ist, daran ist nicht zu denken. Es kommt darauf an, jetzt nicht mehr den Begebenheiten blind zu folgen, sondern sie so zu leiten, daß die Krisis in einem Augenblick eintritt, wo Preußen besser steht, als jetzt. Dazu ist aber Eines vor allen Dingen Noth: Entfernung deö November-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/255>, abgerufen am 22.07.2024.