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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Das Ende der Krisis?
Preußischer Brie f.

Durch eine Reihe "rettender Thaten" hat das Novembermiuisterium den
preußischen Staat vor seinen angeblichen innern Feinden behütet; in seiner
neuesten rettenden That hat es die höchste Palme erreicht, es hat in edler Auf¬
opferung sich selber bezwungen, es hat den preußischen Staat vor sich selber
gerettet. Leider ist es auch darin uur halb gewesen; es hat nur seine
bisherige Politik nebst dem Herrn v. Nadowitz, der als Sündenbock dienen
mußte, über Bord geworfen, sich selber nicht. Indessen ist auch- das gut, eben
um des Beispiels und der öffentlichen Moral willen ist es besser, wenn das von
andern Händen geschieht.

Die neueste rettende That des Novembermiuisteriums ist auch seine letzte
gewesen. Daran kann nur zweifeln, wer das preußische Volk nicht kennt, das
Volk in den alten Provinzen, die Landwehr. Das Novembermiuisterinm hat sich
darum gehalten, weil es nichts war, als der Ausdruck von der nothwendigen und
darum berechtigten Reaction dieses Volkes, einer Reaction, die um so stärker und
anhaltender sein mußte, je schwerer der Rausch des Jahres 1848 gewesen war.
Zwar hat das Ministerium durch eiuzelue widerwärtige Maßregeln Mißfallen
erregt, aber theils dehnten sich diese nur auf einzelne Kreise aus, ohne den
Stamm des Volkes zu berühren und sein tiefes Bedürfniß nach einer ruhigen
Entwickelung aufzuheben, theils waren sie vorübergehender Natur, man konnte sie
aufheben, wenn bessere Zeiten kamen. Ein schlechtes Preßgesetz z. B. ist un¬
streitig ein Uebel, aber es hat keine Folgen in der Zukunft; wenn man es ab¬
schafft, so ist Alles wieder in Ordnung. Zwar hat es durch wiederholte Zurück¬
nahme seines Worts das Rechtsgefühl schwer beleidigt, aber das Rechtsgefühl in
politischen Dingen war nicht allein in dem Schwindel der Märztage, sondern seit
einer ganzen Generation so systematisch untergraben, daß man darauf nichts mehr


Grenzboten. IV. 1850. 96
Das Ende der Krisis?
Preußischer Brie f.

Durch eine Reihe „rettender Thaten" hat das Novembermiuisterium den
preußischen Staat vor seinen angeblichen innern Feinden behütet; in seiner
neuesten rettenden That hat es die höchste Palme erreicht, es hat in edler Auf¬
opferung sich selber bezwungen, es hat den preußischen Staat vor sich selber
gerettet. Leider ist es auch darin uur halb gewesen; es hat nur seine
bisherige Politik nebst dem Herrn v. Nadowitz, der als Sündenbock dienen
mußte, über Bord geworfen, sich selber nicht. Indessen ist auch- das gut, eben
um des Beispiels und der öffentlichen Moral willen ist es besser, wenn das von
andern Händen geschieht.

Die neueste rettende That des Novembermiuisteriums ist auch seine letzte
gewesen. Daran kann nur zweifeln, wer das preußische Volk nicht kennt, das
Volk in den alten Provinzen, die Landwehr. Das Novembermiuisterinm hat sich
darum gehalten, weil es nichts war, als der Ausdruck von der nothwendigen und
darum berechtigten Reaction dieses Volkes, einer Reaction, die um so stärker und
anhaltender sein mußte, je schwerer der Rausch des Jahres 1848 gewesen war.
Zwar hat das Ministerium durch eiuzelue widerwärtige Maßregeln Mißfallen
erregt, aber theils dehnten sich diese nur auf einzelne Kreise aus, ohne den
Stamm des Volkes zu berühren und sein tiefes Bedürfniß nach einer ruhigen
Entwickelung aufzuheben, theils waren sie vorübergehender Natur, man konnte sie
aufheben, wenn bessere Zeiten kamen. Ein schlechtes Preßgesetz z. B. ist un¬
streitig ein Uebel, aber es hat keine Folgen in der Zukunft; wenn man es ab¬
schafft, so ist Alles wieder in Ordnung. Zwar hat es durch wiederholte Zurück¬
nahme seines Worts das Rechtsgefühl schwer beleidigt, aber das Rechtsgefühl in
politischen Dingen war nicht allein in dem Schwindel der Märztage, sondern seit
einer ganzen Generation so systematisch untergraben, daß man darauf nichts mehr


Grenzboten. IV. 1850. 96
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[0249] Das Ende der Krisis? Preußischer Brie f. Durch eine Reihe „rettender Thaten" hat das Novembermiuisterium den preußischen Staat vor seinen angeblichen innern Feinden behütet; in seiner neuesten rettenden That hat es die höchste Palme erreicht, es hat in edler Auf¬ opferung sich selber bezwungen, es hat den preußischen Staat vor sich selber gerettet. Leider ist es auch darin uur halb gewesen; es hat nur seine bisherige Politik nebst dem Herrn v. Nadowitz, der als Sündenbock dienen mußte, über Bord geworfen, sich selber nicht. Indessen ist auch- das gut, eben um des Beispiels und der öffentlichen Moral willen ist es besser, wenn das von andern Händen geschieht. Die neueste rettende That des Novembermiuisteriums ist auch seine letzte gewesen. Daran kann nur zweifeln, wer das preußische Volk nicht kennt, das Volk in den alten Provinzen, die Landwehr. Das Novembermiuisterinm hat sich darum gehalten, weil es nichts war, als der Ausdruck von der nothwendigen und darum berechtigten Reaction dieses Volkes, einer Reaction, die um so stärker und anhaltender sein mußte, je schwerer der Rausch des Jahres 1848 gewesen war. Zwar hat das Ministerium durch eiuzelue widerwärtige Maßregeln Mißfallen erregt, aber theils dehnten sich diese nur auf einzelne Kreise aus, ohne den Stamm des Volkes zu berühren und sein tiefes Bedürfniß nach einer ruhigen Entwickelung aufzuheben, theils waren sie vorübergehender Natur, man konnte sie aufheben, wenn bessere Zeiten kamen. Ein schlechtes Preßgesetz z. B. ist un¬ streitig ein Uebel, aber es hat keine Folgen in der Zukunft; wenn man es ab¬ schafft, so ist Alles wieder in Ordnung. Zwar hat es durch wiederholte Zurück¬ nahme seines Worts das Rechtsgefühl schwer beleidigt, aber das Rechtsgefühl in politischen Dingen war nicht allein in dem Schwindel der Märztage, sondern seit einer ganzen Generation so systematisch untergraben, daß man darauf nichts mehr Grenzboten. IV. 1850. 96

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/249>, abgerufen am 22.07.2024.