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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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einem Zustand der Unsicherheit über unsere Zukunft, über den guten Willen und
die Tendenz unserer Regierungen, ja über unsere eigenen Gefühle gegenüber den
leitenden Politikern, welcher sehr demüthigend und sehr demoralisirend ist. Eine
ernste Wahrheit aber ist nicht zu erkennen, daß Preußen ringsum von offnen
und heimlichen Gegnern umgeben ist, ohne einen starken Verbündeten, und ferner
daß diese Isolirtheit uur theilweise Preußens Schuld ist.

Die finstere Nachricht, welche englische und französische Blätter in den letzten
acht Tagen dnrch ihre Spalten wälzten, daß Frankreich und England ein Bünd-
niß geschlossen hätten, um Preußen zur bewaffneten Intervention gegen Schleswig-
Holstein zu zwingen, ist wahrscheinlich eine Uebertreibung, sie wird dazu dienen,
unsern Patrioten zu zeigen, wie das Ausland die volksthümlichen Kämpfe in
Deutschland betrachtet. Rußland ein unerbittlicher Feind Schleswig-Holsteins und
des hessische" Widerstandes, England und Frankreich Bundesgenossen der dänischen
Politik, Oestreich und seine Verbündeten offen auf Seiten the Kurfürsten und
Dänemark's, -- dieselben Mächte, welche gegen den letzten preußischen Friedens¬
schluß mit Dänemark heuchlerisch protestirten, weil er den Rechten der Herzog-
thümer zu viel.vergäbe -- das ist die traurige Situation, in welcher wir uns
befinden. Ja noch schlimmer, uicht mehr in Deutschland werden die Decrete über
unsere Zukunft erlassen, sondern von London aus und vou Warschau heran,
wo der Kaiser von Oestreich sich brüderlichen Nath erholt, währeud ein preußi¬
scher Prinz an der russischen Grenze ängstlich wartet, bis der Czar ihn dnrch
einen Adjutanten in sein Hoflager entbietet.

So gefährlich ist unsere Lage, so unvermeidlich erscheint ein feindliches Zu¬
sammenstoßen der Parteien, so verhängnißvoll für die Zukunft Europas droht
der beginnende Kampf zu werden, daß alle Sorge, alle Furcht und Hoffnung
für uus in dem einen heißen Wunsche aufgeht: Preußen möge seine Ehre
wahren. Es ist jetzt nicht mehr die Zeit mit der Regierung zu hadern, daß
sie Dies und Jenes hätte anders machen müssen, daß ihre vertrauende Ehrlichkeit,
ihr Mangel an Energie große Schuld an der jetzigen Krisis tragen. Jetzt ist
die Gefahr, welche heranzieht, ob langsam ob schnell, so bedeutend, daß aller
innere Zwist für uns aufhören muß, um das Banner des Staates zu stützen,
der Deutschland angehört und dem wir angehören.

Wenn die Negierung in dieser Krisis die Entschlossenheit zeigt, bis zum
Aeußersten vorzugehen, so wird sie gerade dadurch Waffen und Freunde gewinnen
gegen ihre Geguer. Muth ist jetzt die beste Politik.

Auch würde schmähliges Nachgeben gegen auswärtige Mächte und die Liga
nichts mehr helfen. Sehr groß ist der Uebermuth der Kleinen geworden, sehr
trotzig die Forderungen Oestreichs, sehr tief das Mißtrauen Rußlands; jede
Schwäche Preußens würde neneZnmuthnngen und neue demüthigende Forderungen
nach sich ziehen. Seit Friedrich Wilhelm IV. an jenem verhängnißvollen Tage


einem Zustand der Unsicherheit über unsere Zukunft, über den guten Willen und
die Tendenz unserer Regierungen, ja über unsere eigenen Gefühle gegenüber den
leitenden Politikern, welcher sehr demüthigend und sehr demoralisirend ist. Eine
ernste Wahrheit aber ist nicht zu erkennen, daß Preußen ringsum von offnen
und heimlichen Gegnern umgeben ist, ohne einen starken Verbündeten, und ferner
daß diese Isolirtheit uur theilweise Preußens Schuld ist.

Die finstere Nachricht, welche englische und französische Blätter in den letzten
acht Tagen dnrch ihre Spalten wälzten, daß Frankreich und England ein Bünd-
niß geschlossen hätten, um Preußen zur bewaffneten Intervention gegen Schleswig-
Holstein zu zwingen, ist wahrscheinlich eine Uebertreibung, sie wird dazu dienen,
unsern Patrioten zu zeigen, wie das Ausland die volksthümlichen Kämpfe in
Deutschland betrachtet. Rußland ein unerbittlicher Feind Schleswig-Holsteins und
des hessische« Widerstandes, England und Frankreich Bundesgenossen der dänischen
Politik, Oestreich und seine Verbündeten offen auf Seiten the Kurfürsten und
Dänemark's, — dieselben Mächte, welche gegen den letzten preußischen Friedens¬
schluß mit Dänemark heuchlerisch protestirten, weil er den Rechten der Herzog-
thümer zu viel.vergäbe — das ist die traurige Situation, in welcher wir uns
befinden. Ja noch schlimmer, uicht mehr in Deutschland werden die Decrete über
unsere Zukunft erlassen, sondern von London aus und vou Warschau heran,
wo der Kaiser von Oestreich sich brüderlichen Nath erholt, währeud ein preußi¬
scher Prinz an der russischen Grenze ängstlich wartet, bis der Czar ihn dnrch
einen Adjutanten in sein Hoflager entbietet.

So gefährlich ist unsere Lage, so unvermeidlich erscheint ein feindliches Zu¬
sammenstoßen der Parteien, so verhängnißvoll für die Zukunft Europas droht
der beginnende Kampf zu werden, daß alle Sorge, alle Furcht und Hoffnung
für uus in dem einen heißen Wunsche aufgeht: Preußen möge seine Ehre
wahren. Es ist jetzt nicht mehr die Zeit mit der Regierung zu hadern, daß
sie Dies und Jenes hätte anders machen müssen, daß ihre vertrauende Ehrlichkeit,
ihr Mangel an Energie große Schuld an der jetzigen Krisis tragen. Jetzt ist
die Gefahr, welche heranzieht, ob langsam ob schnell, so bedeutend, daß aller
innere Zwist für uns aufhören muß, um das Banner des Staates zu stützen,
der Deutschland angehört und dem wir angehören.

Wenn die Negierung in dieser Krisis die Entschlossenheit zeigt, bis zum
Aeußersten vorzugehen, so wird sie gerade dadurch Waffen und Freunde gewinnen
gegen ihre Geguer. Muth ist jetzt die beste Politik.

Auch würde schmähliges Nachgeben gegen auswärtige Mächte und die Liga
nichts mehr helfen. Sehr groß ist der Uebermuth der Kleinen geworden, sehr
trotzig die Forderungen Oestreichs, sehr tief das Mißtrauen Rußlands; jede
Schwäche Preußens würde neneZnmuthnngen und neue demüthigende Forderungen
nach sich ziehen. Seit Friedrich Wilhelm IV. an jenem verhängnißvollen Tage


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[0239] einem Zustand der Unsicherheit über unsere Zukunft, über den guten Willen und die Tendenz unserer Regierungen, ja über unsere eigenen Gefühle gegenüber den leitenden Politikern, welcher sehr demüthigend und sehr demoralisirend ist. Eine ernste Wahrheit aber ist nicht zu erkennen, daß Preußen ringsum von offnen und heimlichen Gegnern umgeben ist, ohne einen starken Verbündeten, und ferner daß diese Isolirtheit uur theilweise Preußens Schuld ist. Die finstere Nachricht, welche englische und französische Blätter in den letzten acht Tagen dnrch ihre Spalten wälzten, daß Frankreich und England ein Bünd- niß geschlossen hätten, um Preußen zur bewaffneten Intervention gegen Schleswig- Holstein zu zwingen, ist wahrscheinlich eine Uebertreibung, sie wird dazu dienen, unsern Patrioten zu zeigen, wie das Ausland die volksthümlichen Kämpfe in Deutschland betrachtet. Rußland ein unerbittlicher Feind Schleswig-Holsteins und des hessische« Widerstandes, England und Frankreich Bundesgenossen der dänischen Politik, Oestreich und seine Verbündeten offen auf Seiten the Kurfürsten und Dänemark's, — dieselben Mächte, welche gegen den letzten preußischen Friedens¬ schluß mit Dänemark heuchlerisch protestirten, weil er den Rechten der Herzog- thümer zu viel.vergäbe — das ist die traurige Situation, in welcher wir uns befinden. Ja noch schlimmer, uicht mehr in Deutschland werden die Decrete über unsere Zukunft erlassen, sondern von London aus und vou Warschau heran, wo der Kaiser von Oestreich sich brüderlichen Nath erholt, währeud ein preußi¬ scher Prinz an der russischen Grenze ängstlich wartet, bis der Czar ihn dnrch einen Adjutanten in sein Hoflager entbietet. So gefährlich ist unsere Lage, so unvermeidlich erscheint ein feindliches Zu¬ sammenstoßen der Parteien, so verhängnißvoll für die Zukunft Europas droht der beginnende Kampf zu werden, daß alle Sorge, alle Furcht und Hoffnung für uus in dem einen heißen Wunsche aufgeht: Preußen möge seine Ehre wahren. Es ist jetzt nicht mehr die Zeit mit der Regierung zu hadern, daß sie Dies und Jenes hätte anders machen müssen, daß ihre vertrauende Ehrlichkeit, ihr Mangel an Energie große Schuld an der jetzigen Krisis tragen. Jetzt ist die Gefahr, welche heranzieht, ob langsam ob schnell, so bedeutend, daß aller innere Zwist für uns aufhören muß, um das Banner des Staates zu stützen, der Deutschland angehört und dem wir angehören. Wenn die Negierung in dieser Krisis die Entschlossenheit zeigt, bis zum Aeußersten vorzugehen, so wird sie gerade dadurch Waffen und Freunde gewinnen gegen ihre Geguer. Muth ist jetzt die beste Politik. Auch würde schmähliges Nachgeben gegen auswärtige Mächte und die Liga nichts mehr helfen. Sehr groß ist der Uebermuth der Kleinen geworden, sehr trotzig die Forderungen Oestreichs, sehr tief das Mißtrauen Rußlands; jede Schwäche Preußens würde neneZnmuthnngen und neue demüthigende Forderungen nach sich ziehen. Seit Friedrich Wilhelm IV. an jenem verhängnißvollen Tage

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/239>, abgerufen am 26.07.2024.