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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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wollen, die sie nicht erträgt. Er wird auch das Unbedeutende mit Gravität
behandeln, und seinen Werth übertreiben, wie er es z. B. mit dem Semikolon
gethan; er wird den Spaß durch weit hergeholte Andeutungen, hinter denen man
etwas suchen muß, ohne zu wissen was, verkümmern; das Tragische des einzelnen
Falls durch falsche Verallgemeinerung aufheben. So wird er seinem eignen Zweck
beständig zuwiderarbeiten, sein realistisches Talent wird dnrch Abstractionen ge¬
stört und seine Idealität dnrch forcirte Plastik, sein scharfer, zersetzender Verstand
durch gewaltsame Erhitzung der Phantasie in's Trübe, Chaotische verleitet; seine
Einbildungskraft durch weitaussehende, aber unbestimmte Reflexionen abgeschwächt.
Ja in der nebelhaften Atmosphäre seines Scepticismus werden zuletzt die Motive
so snbtilisirt, daß seine scheinbar in knöcherner Festigkeit erstarrten Charaktere sich
in Staub auflösen und in alle vier Winde verfliegen. Ich behalte mir vor, dies
^. 8. im Einzelnen an seinen neuesten Werken zu verfolgen.




Eine Erinnerung an Agnes Franz.

Vor mir liegt ein Haufen Bilderbücher für Kinder, welche das Christkind,
oder Knecht Ruprecht in Ballen einzukaufen und zu Nutz und Freude der Jugend
am Weihnachtsabend zu vertheilen pflegt. Wie zärtlich unsere Buchhändler auch
dies Jahr wieder für die Kinder sorgen, es sind der Weihnachtsbücher sehr, sehr
viele! Bunte und schwarze Bilder, große und kleine Buchstaben, vornehme Kinder¬
schriften von starkem Leibchen mit schönem bemalten Mantel und arme kleine dünne
Bettelmauusbüchel vou grauem Papier mit undeutlichen Holzschnitten. Viele roth-
kämmige Hähne krähen in diesem Bücherhaufen Groschen ans; sehr viele unartige
Jungen fahren auf Kähnen, oder klettern auf Bänme, oder necken böse Hunde,
bis sie zum warnenden Beispiel für ihr Jahrhundert ins Wasser fallen, Beine
brechen und gebissen werdeu; unzählige artige Mädchen spielen mit ihren Puppen,
während sich rothe Bänder in kühnen Windungen um die weißen Kleider hernm-
schlängeln; viele häßliche schwarze Köhler verwandeln sich in gute Berggeister,
welche hungrigen Eltern goldene Aepfel einbescheeren; unbegreiflich und höchst
überraschend wird die allerverborgenste Tagend an das hellste Kerzenlicht gebracht,
und das allerkleinste Unrecht auf das Allergenaueste bestraft. Und wie verständig
und wohlwollend benehmen sich selbst die zahllosen Thiere jeder Art! was der
Hund sagt, und der Frosch erzählt, und das RoMehlchen erlebt, und das Pferd
gegen das Zebra äußert, es ist Alles unglaublich verständig und gebildet. Und
vollends die Figuren uuserer Märchenwelt! Viele Prinzen in rothen Sammethosen
bestehen furchtbare Abenteuer, in denen Jeder stecken bliebe, ihnen aber ist die
Sache Kleinigkeit, weil sie ungeheuer tapfer sind und vortreffliche Zauberhilfe


wollen, die sie nicht erträgt. Er wird auch das Unbedeutende mit Gravität
behandeln, und seinen Werth übertreiben, wie er es z. B. mit dem Semikolon
gethan; er wird den Spaß durch weit hergeholte Andeutungen, hinter denen man
etwas suchen muß, ohne zu wissen was, verkümmern; das Tragische des einzelnen
Falls durch falsche Verallgemeinerung aufheben. So wird er seinem eignen Zweck
beständig zuwiderarbeiten, sein realistisches Talent wird dnrch Abstractionen ge¬
stört und seine Idealität dnrch forcirte Plastik, sein scharfer, zersetzender Verstand
durch gewaltsame Erhitzung der Phantasie in's Trübe, Chaotische verleitet; seine
Einbildungskraft durch weitaussehende, aber unbestimmte Reflexionen abgeschwächt.
Ja in der nebelhaften Atmosphäre seines Scepticismus werden zuletzt die Motive
so snbtilisirt, daß seine scheinbar in knöcherner Festigkeit erstarrten Charaktere sich
in Staub auflösen und in alle vier Winde verfliegen. Ich behalte mir vor, dies
^. 8. im Einzelnen an seinen neuesten Werken zu verfolgen.




Eine Erinnerung an Agnes Franz.

Vor mir liegt ein Haufen Bilderbücher für Kinder, welche das Christkind,
oder Knecht Ruprecht in Ballen einzukaufen und zu Nutz und Freude der Jugend
am Weihnachtsabend zu vertheilen pflegt. Wie zärtlich unsere Buchhändler auch
dies Jahr wieder für die Kinder sorgen, es sind der Weihnachtsbücher sehr, sehr
viele! Bunte und schwarze Bilder, große und kleine Buchstaben, vornehme Kinder¬
schriften von starkem Leibchen mit schönem bemalten Mantel und arme kleine dünne
Bettelmauusbüchel vou grauem Papier mit undeutlichen Holzschnitten. Viele roth-
kämmige Hähne krähen in diesem Bücherhaufen Groschen ans; sehr viele unartige
Jungen fahren auf Kähnen, oder klettern auf Bänme, oder necken böse Hunde,
bis sie zum warnenden Beispiel für ihr Jahrhundert ins Wasser fallen, Beine
brechen und gebissen werdeu; unzählige artige Mädchen spielen mit ihren Puppen,
während sich rothe Bänder in kühnen Windungen um die weißen Kleider hernm-
schlängeln; viele häßliche schwarze Köhler verwandeln sich in gute Berggeister,
welche hungrigen Eltern goldene Aepfel einbescheeren; unbegreiflich und höchst
überraschend wird die allerverborgenste Tagend an das hellste Kerzenlicht gebracht,
und das allerkleinste Unrecht auf das Allergenaueste bestraft. Und wie verständig
und wohlwollend benehmen sich selbst die zahllosen Thiere jeder Art! was der
Hund sagt, und der Frosch erzählt, und das RoMehlchen erlebt, und das Pferd
gegen das Zebra äußert, es ist Alles unglaublich verständig und gebildet. Und
vollends die Figuren uuserer Märchenwelt! Viele Prinzen in rothen Sammethosen
bestehen furchtbare Abenteuer, in denen Jeder stecken bliebe, ihnen aber ist die
Sache Kleinigkeit, weil sie ungeheuer tapfer sind und vortreffliche Zauberhilfe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/221>, abgerufen am 24.07.2024.