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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Frivolität, mit welcher die beiden luftigen Personen zusammengebracht werden, zu
viel bloßes Lustspiel liegt, um uicht gegen den Ernst der übrigen Handlung, der
durch alle einzelnen Späße nicht verwischt werden kann, zu sehr abzustechen. Er
hat darum in seiner Bearbeitung alles dieses zu lindern versucht, indem er Claudio
seine tiefere Empfindung durch deu Schein der Frivolität verstecken läßt, um seiner
Manneswürde nichts zu vergeben; indem er ihn die zweite Heirath ausschlagen
läßt, und indem er die zwischen Beatrix und Benedict schou vor der Intrigue,
die sie zusammenbringen soll, stattfindende Liebe schärfer betont.

Allein wenn dadurch auch in der That jene Charaktere unserm Geschmack so
zu sagen appretirt werdeu, so ist dieser scheinbare Gewinn ein Verlust an poetischer
Ursprünglichkeit und an folgerichtiger Empfindungsweise. Es liegt das nicht
an dem Mangelhaften der Ausführung. Zwar hätte Manches geschickter ge¬
macht werden können, namentlich hätte sich die Sprache mehr der Shakespeare'schen
anschließen müssen, allein der wesentliche Uebelstand wäre doch geblieben. -- Andrer¬
seits mußte der Versuch gemacht werdeu. Denn Gervinus mag es uns noch so
sehr in's Herz reden, daß die Charakterentwickelung und die Empfindungsweise
des Shakespeare'schen Lustspiels die wahrhaft ideale sei, und unendlich höher stehe,
als unsere moderne Sentimentalität: beim Lesen erkennen wir es wohl -- soweit es
überhaupt richtig ist; in der Anschauung aber werdeu wir davou beleidigt.

Ich muß bei dieser Gelegenheit bemerken, daß Gervinus' Behauptung,
Shakespeare's Stücke könnten nnr durch die Ausführung, nicht durch die Lectüre
gewürdigt werden, nur relativ richtig ist. Es liegt eine Verwechselung darin.
Allerdings haben alle großen Dramatiker für die Bühne geschrieben und nicht für's
Lesezimmer: Shaekspeare wie Aeschylus, Moliere wie Aristophanes. Aber eine
ganz audere Frage ist es, ob wir jetzt deu richtigeren Genuß vou ihnen haben,
wenn wir sie lesen, oder wenn wir sie vor nus sehen. Die Lectüre der Frösche,
der Eumeniden u. s. w. wird uns durch die hohe Poesie, die sie uus ausschließt,
immer über die Verschiedenheit des Geschmackes hinwegsetzen, denn in der Lectüre
können wir abstrahiren; bei der Aufführung dagegen, wo der Eindruck ein un¬
mittelbarer sein soll, werden uus die Späße deö Dionysos in der Unterwelt
ebenso abgeschmackt vorkommen, als die juristische Entscheidung des Processes
zwischen Orest und den Eumeniden.

Allein der Grund, warum Shakespeare's Lustspiele auf der Bühne einen
schweren Stand haben, liegt nicht blos in der Verschiedenheit der zeitlichen Vor-
aussetzungen, der Einrichtung des Theaters, der Schauspieler u. s. w.; er liegt
auch im Wesen der Kunst. Es muß ausgesprochen und fortwährend wiederholt
werden, daß die Kunstform des Shakespeare'schen Lustspiels keineswegs die ideale
ist, daß vielmehr die französische, an welche >wir jetzt gewöhnt siud, und die im
Wesentlichen auf die Principien von Menander und Terenz zurückkommt, weit
höher steht.


Frivolität, mit welcher die beiden luftigen Personen zusammengebracht werden, zu
viel bloßes Lustspiel liegt, um uicht gegen den Ernst der übrigen Handlung, der
durch alle einzelnen Späße nicht verwischt werden kann, zu sehr abzustechen. Er
hat darum in seiner Bearbeitung alles dieses zu lindern versucht, indem er Claudio
seine tiefere Empfindung durch deu Schein der Frivolität verstecken läßt, um seiner
Manneswürde nichts zu vergeben; indem er ihn die zweite Heirath ausschlagen
läßt, und indem er die zwischen Beatrix und Benedict schou vor der Intrigue,
die sie zusammenbringen soll, stattfindende Liebe schärfer betont.

Allein wenn dadurch auch in der That jene Charaktere unserm Geschmack so
zu sagen appretirt werdeu, so ist dieser scheinbare Gewinn ein Verlust an poetischer
Ursprünglichkeit und an folgerichtiger Empfindungsweise. Es liegt das nicht
an dem Mangelhaften der Ausführung. Zwar hätte Manches geschickter ge¬
macht werden können, namentlich hätte sich die Sprache mehr der Shakespeare'schen
anschließen müssen, allein der wesentliche Uebelstand wäre doch geblieben. — Andrer¬
seits mußte der Versuch gemacht werdeu. Denn Gervinus mag es uns noch so
sehr in's Herz reden, daß die Charakterentwickelung und die Empfindungsweise
des Shakespeare'schen Lustspiels die wahrhaft ideale sei, und unendlich höher stehe,
als unsere moderne Sentimentalität: beim Lesen erkennen wir es wohl — soweit es
überhaupt richtig ist; in der Anschauung aber werdeu wir davou beleidigt.

Ich muß bei dieser Gelegenheit bemerken, daß Gervinus' Behauptung,
Shakespeare's Stücke könnten nnr durch die Ausführung, nicht durch die Lectüre
gewürdigt werden, nur relativ richtig ist. Es liegt eine Verwechselung darin.
Allerdings haben alle großen Dramatiker für die Bühne geschrieben und nicht für's
Lesezimmer: Shaekspeare wie Aeschylus, Moliere wie Aristophanes. Aber eine
ganz audere Frage ist es, ob wir jetzt deu richtigeren Genuß vou ihnen haben,
wenn wir sie lesen, oder wenn wir sie vor nus sehen. Die Lectüre der Frösche,
der Eumeniden u. s. w. wird uns durch die hohe Poesie, die sie uus ausschließt,
immer über die Verschiedenheit des Geschmackes hinwegsetzen, denn in der Lectüre
können wir abstrahiren; bei der Aufführung dagegen, wo der Eindruck ein un¬
mittelbarer sein soll, werden uus die Späße deö Dionysos in der Unterwelt
ebenso abgeschmackt vorkommen, als die juristische Entscheidung des Processes
zwischen Orest und den Eumeniden.

Allein der Grund, warum Shakespeare's Lustspiele auf der Bühne einen
schweren Stand haben, liegt nicht blos in der Verschiedenheit der zeitlichen Vor-
aussetzungen, der Einrichtung des Theaters, der Schauspieler u. s. w.; er liegt
auch im Wesen der Kunst. Es muß ausgesprochen und fortwährend wiederholt
werden, daß die Kunstform des Shakespeare'schen Lustspiels keineswegs die ideale
ist, daß vielmehr die französische, an welche >wir jetzt gewöhnt siud, und die im
Wesentlichen auf die Principien von Menander und Terenz zurückkommt, weit
höher steht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/202>, abgerufen am 22.07.2024.