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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Herrn von Montalembert und ihrer Freunde und Anhänger. Um den Unterschied
scharf anzusprechen, muß ich weiter zurückgehen.

Ich finde in der gesammten französischen Literatur, sowohl in der kirchlichen
wie in der freigeistischen, zwei entgegengesetzte Richtungen, die ich nach ihren
ersten historischen Vertretern als die Jesuitische und die Jansenistische
bezeichnen mochte.

Die Jesuitischen Schriftsteller -- und ich rechne zu diesen ebensowohl den
frommen Bossuet wie den ungläubigen Voltaire und den romantischen Chateau¬
briand -- gehen ganz äußerlich zu Werke. Sie nehmen den Inhalt der kirchli¬
chen Glaubenssätze und Gebräuche empirisch in sich ans, und suchen denselben, je
nach ihrem Standpunkt, dem.Publicum entweder anfzuschmeicheln oder lächerlich
zu macheu. Vou einem tiefern Eindringen in das Princip des Christenthums ist
keine Rede. So sucht z. B. Herr von Chateaubriand in seinem (-Lnie co Owi-
sUanisme alle möglichen Einzelheiten zusammen, um die Religion vom ästhetischen
Standpunkt zu empfehlen, -- die Orgel, die Glocken, die Mutter Gottes und die
christlichen Malerschulen, Dante und Milton, den gothischen Kirchenbau, die Me߬
gewänder u. s. w., um dem ungläubigen Publicum zu zeigen, wie viel Schönes
in derselben enthalten sei: Alles, nnr nicht das, was zur Sache gehört. Gerade
wie es die Jesuiten auf ihren Missionen gemacht haben. Und ebenso macht sich
Voltaire über die Details der verschiedenen Religionsformen lustig, ohne nach
ihrem Kern zu greifen; sein Haß ist mehr Jnstinct, als innere Ueberzeugung. So
stellen die modernen Gläubigen den Katholicismus wieder her, weil er ihnen con-
venire, weil er ein bequemes Banner ist, gegen die rothe Republik zu Felde
zu ziehen.

In der Jansenistischen Richtung -- und um näher anzudeuten, was ich
darunter verstehe, will ich die Reihenfolge der großen Schriftsteller angeben, in
denen sie sich vorzugsweise charakterisiert: es siud Montaigne im 16., Pascal im
17., Rousseau im 18. Jahrh., später Fran von StM und George Sand, an
die sich dann eine große Menge minder bedeutender Namen anschließen, wie z. B.
Frau v. Krüdener, deren Valerie in mancher Beziehung an den vorliegenden
Roman erinnert -- in dieser Richtung findet das Umgekehrte statt. Sie vertiefen
sich mit einer solchen Energie in das Wesen der Sache, daß sie die Totalität
ihrer Erscheinung aus den Angen verlieren. -- Dieses Wesen der Sache liegt
ihnen in dem unendlichen Elend des Meuscheu, oder in dem unendlichen Wider¬
spruch zwischen dem unbegrenzten Horizont des Herzens lind den Schränken des
Lebens. Ans diesem innern Gefühl leiten sie die Nothwendigkeit eiuer über die
Natur des Meuscheu hinausgehenden Erlösung her.

"Ich erkenne an der Philosophie, heißt es p' 49, einen großen Nutzen, der
hinreichend ist, daß ich mich vor ihr beuge, den, daß sie fast unansblett'lich jeden
aufrichtigen Geist zur Verzweiflung führt. Dieser Erfolg ist in meinen Angen


Herrn von Montalembert und ihrer Freunde und Anhänger. Um den Unterschied
scharf anzusprechen, muß ich weiter zurückgehen.

Ich finde in der gesammten französischen Literatur, sowohl in der kirchlichen
wie in der freigeistischen, zwei entgegengesetzte Richtungen, die ich nach ihren
ersten historischen Vertretern als die Jesuitische und die Jansenistische
bezeichnen mochte.

Die Jesuitischen Schriftsteller — und ich rechne zu diesen ebensowohl den
frommen Bossuet wie den ungläubigen Voltaire und den romantischen Chateau¬
briand — gehen ganz äußerlich zu Werke. Sie nehmen den Inhalt der kirchli¬
chen Glaubenssätze und Gebräuche empirisch in sich ans, und suchen denselben, je
nach ihrem Standpunkt, dem.Publicum entweder anfzuschmeicheln oder lächerlich
zu macheu. Vou einem tiefern Eindringen in das Princip des Christenthums ist
keine Rede. So sucht z. B. Herr von Chateaubriand in seinem (-Lnie co Owi-
sUanisme alle möglichen Einzelheiten zusammen, um die Religion vom ästhetischen
Standpunkt zu empfehlen, — die Orgel, die Glocken, die Mutter Gottes und die
christlichen Malerschulen, Dante und Milton, den gothischen Kirchenbau, die Me߬
gewänder u. s. w., um dem ungläubigen Publicum zu zeigen, wie viel Schönes
in derselben enthalten sei: Alles, nnr nicht das, was zur Sache gehört. Gerade
wie es die Jesuiten auf ihren Missionen gemacht haben. Und ebenso macht sich
Voltaire über die Details der verschiedenen Religionsformen lustig, ohne nach
ihrem Kern zu greifen; sein Haß ist mehr Jnstinct, als innere Ueberzeugung. So
stellen die modernen Gläubigen den Katholicismus wieder her, weil er ihnen con-
venire, weil er ein bequemes Banner ist, gegen die rothe Republik zu Felde
zu ziehen.

In der Jansenistischen Richtung — und um näher anzudeuten, was ich
darunter verstehe, will ich die Reihenfolge der großen Schriftsteller angeben, in
denen sie sich vorzugsweise charakterisiert: es siud Montaigne im 16., Pascal im
17., Rousseau im 18. Jahrh., später Fran von StM und George Sand, an
die sich dann eine große Menge minder bedeutender Namen anschließen, wie z. B.
Frau v. Krüdener, deren Valerie in mancher Beziehung an den vorliegenden
Roman erinnert — in dieser Richtung findet das Umgekehrte statt. Sie vertiefen
sich mit einer solchen Energie in das Wesen der Sache, daß sie die Totalität
ihrer Erscheinung aus den Angen verlieren. — Dieses Wesen der Sache liegt
ihnen in dem unendlichen Elend des Meuscheu, oder in dem unendlichen Wider¬
spruch zwischen dem unbegrenzten Horizont des Herzens lind den Schränken des
Lebens. Ans diesem innern Gefühl leiten sie die Nothwendigkeit eiuer über die
Natur des Meuscheu hinausgehenden Erlösung her.

„Ich erkenne an der Philosophie, heißt es p' 49, einen großen Nutzen, der
hinreichend ist, daß ich mich vor ihr beuge, den, daß sie fast unansblett'lich jeden
aufrichtigen Geist zur Verzweiflung führt. Dieser Erfolg ist in meinen Angen


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[0020] Herrn von Montalembert und ihrer Freunde und Anhänger. Um den Unterschied scharf anzusprechen, muß ich weiter zurückgehen. Ich finde in der gesammten französischen Literatur, sowohl in der kirchlichen wie in der freigeistischen, zwei entgegengesetzte Richtungen, die ich nach ihren ersten historischen Vertretern als die Jesuitische und die Jansenistische bezeichnen mochte. Die Jesuitischen Schriftsteller — und ich rechne zu diesen ebensowohl den frommen Bossuet wie den ungläubigen Voltaire und den romantischen Chateau¬ briand — gehen ganz äußerlich zu Werke. Sie nehmen den Inhalt der kirchli¬ chen Glaubenssätze und Gebräuche empirisch in sich ans, und suchen denselben, je nach ihrem Standpunkt, dem.Publicum entweder anfzuschmeicheln oder lächerlich zu macheu. Vou einem tiefern Eindringen in das Princip des Christenthums ist keine Rede. So sucht z. B. Herr von Chateaubriand in seinem (-Lnie co Owi- sUanisme alle möglichen Einzelheiten zusammen, um die Religion vom ästhetischen Standpunkt zu empfehlen, — die Orgel, die Glocken, die Mutter Gottes und die christlichen Malerschulen, Dante und Milton, den gothischen Kirchenbau, die Me߬ gewänder u. s. w., um dem ungläubigen Publicum zu zeigen, wie viel Schönes in derselben enthalten sei: Alles, nnr nicht das, was zur Sache gehört. Gerade wie es die Jesuiten auf ihren Missionen gemacht haben. Und ebenso macht sich Voltaire über die Details der verschiedenen Religionsformen lustig, ohne nach ihrem Kern zu greifen; sein Haß ist mehr Jnstinct, als innere Ueberzeugung. So stellen die modernen Gläubigen den Katholicismus wieder her, weil er ihnen con- venire, weil er ein bequemes Banner ist, gegen die rothe Republik zu Felde zu ziehen. In der Jansenistischen Richtung — und um näher anzudeuten, was ich darunter verstehe, will ich die Reihenfolge der großen Schriftsteller angeben, in denen sie sich vorzugsweise charakterisiert: es siud Montaigne im 16., Pascal im 17., Rousseau im 18. Jahrh., später Fran von StM und George Sand, an die sich dann eine große Menge minder bedeutender Namen anschließen, wie z. B. Frau v. Krüdener, deren Valerie in mancher Beziehung an den vorliegenden Roman erinnert — in dieser Richtung findet das Umgekehrte statt. Sie vertiefen sich mit einer solchen Energie in das Wesen der Sache, daß sie die Totalität ihrer Erscheinung aus den Angen verlieren. — Dieses Wesen der Sache liegt ihnen in dem unendlichen Elend des Meuscheu, oder in dem unendlichen Wider¬ spruch zwischen dem unbegrenzten Horizont des Herzens lind den Schränken des Lebens. Ans diesem innern Gefühl leiten sie die Nothwendigkeit eiuer über die Natur des Meuscheu hinausgehenden Erlösung her. „Ich erkenne an der Philosophie, heißt es p' 49, einen großen Nutzen, der hinreichend ist, daß ich mich vor ihr beuge, den, daß sie fast unansblett'lich jeden aufrichtigen Geist zur Verzweiflung führt. Dieser Erfolg ist in meinen Angen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/20>, abgerufen am 24.08.2024.