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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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einer Form, in die man sie geworfen hat, annehmen, und die an den Schädel
gewisser Wilden erinnern, die von ihren Aeltern verunstaltet werden, um ihnen,
wie sie sagen, mehr Regelmäßigkeit zu geben. Diese Beamten werden zuletzt
überzeugt, daß es unmöglich sei, es anders und besser zu machen, als sie es
immer gemacht haben; mit ihnen ist die Geschästsübnng souverän und die Ab¬
schaffung der Mißbräuche unmöglich. Die Centralisation will alle Beamten von
Paris ans lenken, will Alles wissen, was sie thun; sie hält sie fortwährend am
Gängelbande, sogar die vom höchsten Range; sie nimmt ihnen so allen persön¬
lichen Einfluß ans die Bevölkerung; sie wünscht nicht, daß sie in ihrem Geburts¬
land": bleiben, weil sie dort Unabhängigkeit, eignen Willen und Einfluß behalten
könnten: sie gewöhnt sie, keinen Willen zu haben, ihren Anstoß immer von oben
zu erhalten. Auch haben in den Departements die höchsten Beamten der Ne¬
gierung kein Antragsrecht; wenn sie keine Befehle von Paris bekommen, schwan¬
ken sie und wissen nicht, wofür sie sich entscheiden sollen. Werden sie in schwie¬
rigen Fällen sich selbst überlassen, so gleichen sie dem blinden Bettler, der die
Hand verloren hat, die ihn führte. Nicht GewissenSserupel lähmen sie; mögen
sie einen Befehl empfangen welchen sie wollen, sie führen ihn wohl oder übel
ans, aber sie brauchen einen Befehl.

Wenn aber einerseits die Beamten ohne Würde, ohne Willen der Central-
gewalt gegenüber sind, so lassen sie andererseits oft die Privatpersonen und die
Gemeinden ihre Macht durch allerlei Händel fühlen; unverletzlich, weil sie vor
den Gerichten nur mit Einwilligung des Staatsrathes belangt werdeu können,
geschützt durch dem immer so mächtigen Corporationsgeist, tonnen sie ungestraft
die Werkzeuge der Willkür und des Despotismus sein. Da die Ceutralver-
waltnng sich in Alles mengen, die geringsten Angelegenheiten der geringsten Ge¬
meinde ordnen will, so ist sie die ärgste Actenkrämerin auf der Welt; jede Prä-
fectur, jedes Ministerium ist überfüllt; jede Präfeetur braucht eine Compagnie,
jedes Ministerium! ein Armee-Corps von Schreibern. Der Präfect, erdrückt
unter der Last der einzelnen Kleinlichkeiten, gejagt durch die Masse der vou ihm ver¬
langten Unterschriften, har nicht die Zeit, sich ernstlich mit den großen Verbes¬
serungen zu beschäftige!!, die in seinem Departement hervorzurufen sind; die
Unterbeamten, die keine Verantwortlichkeit haben, die in der engsten Sphäre
leben, und deren Gesichtskreis sich nicht weit über ihr Bureau hinaus erstreckt,
gewinnen indessen einen um so größern Einfluß ans die Abfertigung der Ge¬
schäfte, als die Präfecten oft nur sich zeigen und wieder verschwinden.

Im Ministerium ist es noch schlimmer: die Angelegenheiten von ganz Frank¬
reich strömen hier zusammen; die Zeit, die er braucht, die Bittsteller, welche
aus allen Theilen Frankreichs auf ihn einstürzen, abzuweisen, Haufen vou Schrift¬
stücken, die er unmöglich lesen kann, zu unterzeichnn, die oft äußerst umständ¬
lichen Discussionen in den Kammern nehmen den Minister so in Anspruch, daß


einer Form, in die man sie geworfen hat, annehmen, und die an den Schädel
gewisser Wilden erinnern, die von ihren Aeltern verunstaltet werden, um ihnen,
wie sie sagen, mehr Regelmäßigkeit zu geben. Diese Beamten werden zuletzt
überzeugt, daß es unmöglich sei, es anders und besser zu machen, als sie es
immer gemacht haben; mit ihnen ist die Geschästsübnng souverän und die Ab¬
schaffung der Mißbräuche unmöglich. Die Centralisation will alle Beamten von
Paris ans lenken, will Alles wissen, was sie thun; sie hält sie fortwährend am
Gängelbande, sogar die vom höchsten Range; sie nimmt ihnen so allen persön¬
lichen Einfluß ans die Bevölkerung; sie wünscht nicht, daß sie in ihrem Geburts¬
land«: bleiben, weil sie dort Unabhängigkeit, eignen Willen und Einfluß behalten
könnten: sie gewöhnt sie, keinen Willen zu haben, ihren Anstoß immer von oben
zu erhalten. Auch haben in den Departements die höchsten Beamten der Ne¬
gierung kein Antragsrecht; wenn sie keine Befehle von Paris bekommen, schwan¬
ken sie und wissen nicht, wofür sie sich entscheiden sollen. Werden sie in schwie¬
rigen Fällen sich selbst überlassen, so gleichen sie dem blinden Bettler, der die
Hand verloren hat, die ihn führte. Nicht GewissenSserupel lähmen sie; mögen
sie einen Befehl empfangen welchen sie wollen, sie führen ihn wohl oder übel
ans, aber sie brauchen einen Befehl.

Wenn aber einerseits die Beamten ohne Würde, ohne Willen der Central-
gewalt gegenüber sind, so lassen sie andererseits oft die Privatpersonen und die
Gemeinden ihre Macht durch allerlei Händel fühlen; unverletzlich, weil sie vor
den Gerichten nur mit Einwilligung des Staatsrathes belangt werdeu können,
geschützt durch dem immer so mächtigen Corporationsgeist, tonnen sie ungestraft
die Werkzeuge der Willkür und des Despotismus sein. Da die Ceutralver-
waltnng sich in Alles mengen, die geringsten Angelegenheiten der geringsten Ge¬
meinde ordnen will, so ist sie die ärgste Actenkrämerin auf der Welt; jede Prä-
fectur, jedes Ministerium ist überfüllt; jede Präfeetur braucht eine Compagnie,
jedes Ministerium! ein Armee-Corps von Schreibern. Der Präfect, erdrückt
unter der Last der einzelnen Kleinlichkeiten, gejagt durch die Masse der vou ihm ver¬
langten Unterschriften, har nicht die Zeit, sich ernstlich mit den großen Verbes¬
serungen zu beschäftige!!, die in seinem Departement hervorzurufen sind; die
Unterbeamten, die keine Verantwortlichkeit haben, die in der engsten Sphäre
leben, und deren Gesichtskreis sich nicht weit über ihr Bureau hinaus erstreckt,
gewinnen indessen einen um so größern Einfluß ans die Abfertigung der Ge¬
schäfte, als die Präfecten oft nur sich zeigen und wieder verschwinden.

Im Ministerium ist es noch schlimmer: die Angelegenheiten von ganz Frank¬
reich strömen hier zusammen; die Zeit, die er braucht, die Bittsteller, welche
aus allen Theilen Frankreichs auf ihn einstürzen, abzuweisen, Haufen vou Schrift¬
stücken, die er unmöglich lesen kann, zu unterzeichnn, die oft äußerst umständ¬
lichen Discussionen in den Kammern nehmen den Minister so in Anspruch, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/140>, abgerufen am 25.08.2024.