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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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daß sich in dem Schuppen nichts weiter befinde, als die Bettler von Warschau,
welche vor Ihrer Ankunft aufgefangen worden seien und bis nach deren Abreise
hier eingesperrt bleiben sollen. Vollkommen befriedigt, äußerte der Kaiser auf
diese Mittheilung uur: ""So"" und wendete sich einem andern Ziele zu.

Vou solchen Maßregeln bleiben die Zigeuner völlig verschont. Während
man auf den Wegen der kaiserlichen Hoheiten und Majestäten Alles ergreift und
in Gefangenschaft führt, was der großen Corporation des Gesindels angehört
oder anzugehören scheint, läßt man die Zigeuner ruhig an denselben Wegen
bivouaqniren, obschon sie schwerlich den verwöhnten Augen so höher Reisender
einell bessern Genuß zu gewährell im Stande sind. Ihre Tracht ist abscheulich.
Die Mäuner sowohl als die Frauen tragen nichts weiter ans dem Leibe als ein
großes Tuch voll weißer Leinwand, in welchem zwei Löcher so eingeschnitten sind,
daß die nackten Arme bis zu deu Achseln durchgesteckt werdeu können. Am Halse
werden die beiden obern Zipfel des Tuches zusammenget'ullpft, das Ganze vorn
mantelartig um den Körper geschlagen und über den Hüften durch einen Gürtel
zusammengehalten. Diesen Gürtel Pflegen die Zigeuner -- vorzugsweise die
jüngern Frauen -- durch eiuen Behang von hunderterlei Scherben, Glassplittern,
Metallstlutchen u. a. zu schmücken. Die Beine vom Knie bis zu deu Zehen bleiben
nackt, der Kopf unbedeckt. Das Haar -- durchgängig kohlschwarz und lockig --
wird bei den Männern nicht verkürzt lind bei den Frauen nicht geflochten oder
sonst wie befestigt. Es hängt lose und wild vom Kopfe über die Schultern hinab,
doch sucht mau ihm durch fettige Substanzen so viel Glanz als möglich zu geben.
Diese Pmnadisirung und der Behang des aus Bast oder eitlem Weidengeflecht
bestehenden Hüftengürtels möchten aber auch die einzigen Beweise dafür sein, daß
auch dieser Classe die Eitelkeit uicht gänzlich mangelt. Wenigstens versicherte mir
ein alter Zigeuner, "bei seinem Volke" dürfe matt sich uur am Tage des Voll¬
mondes, außerdem vor der Trauung und vor dem Begräbniß eiues Anverwandten
oder eiuer zu der Horde gehörenden Person waschen. Die meisten Leute "seines
Volkes" thun es aber auch am Tage des Vollmondes uicht, und haben sie es
ni einem der andern beiden Fälle gethan, so beeilen sie sich, sich nach der feier¬
lichen Handlung wieder zu schwarzen, was dadurch leicht geschieht, daß mau ein
Fetter vou selten Kienholz anzündet und sich uicht vor, souderu hinter dasselbe
setzt. Uebrigens, erzählte er weiter, sei es keinem Zigeuner gestattet, sich die
Haut mit seinen Händen zu verunreinigen. Dies werde für eine Uebelthat ge-
halten und durch eine Züchtigung voll Seiten der ältern Stammlnitglieder gleichen
Geschlechtes bestraft. Bei seinem Stamme sei z. B. ein Bube von dreizehn
Jahren darum, daß er sich mit Farbe geschwärzt, fast zum Krüppel geschlagen
worden. Nur diejenige Schwärze, welche das Tag und Nacht auf dem Nieder-
lassuugöplaize brennende Feuer der Haut auflege, werde geduldet, aber anch in
Ehren gehalten.


daß sich in dem Schuppen nichts weiter befinde, als die Bettler von Warschau,
welche vor Ihrer Ankunft aufgefangen worden seien und bis nach deren Abreise
hier eingesperrt bleiben sollen. Vollkommen befriedigt, äußerte der Kaiser auf
diese Mittheilung uur: „„So"" und wendete sich einem andern Ziele zu.

Vou solchen Maßregeln bleiben die Zigeuner völlig verschont. Während
man auf den Wegen der kaiserlichen Hoheiten und Majestäten Alles ergreift und
in Gefangenschaft führt, was der großen Corporation des Gesindels angehört
oder anzugehören scheint, läßt man die Zigeuner ruhig an denselben Wegen
bivouaqniren, obschon sie schwerlich den verwöhnten Augen so höher Reisender
einell bessern Genuß zu gewährell im Stande sind. Ihre Tracht ist abscheulich.
Die Mäuner sowohl als die Frauen tragen nichts weiter ans dem Leibe als ein
großes Tuch voll weißer Leinwand, in welchem zwei Löcher so eingeschnitten sind,
daß die nackten Arme bis zu deu Achseln durchgesteckt werdeu können. Am Halse
werden die beiden obern Zipfel des Tuches zusammenget'ullpft, das Ganze vorn
mantelartig um den Körper geschlagen und über den Hüften durch einen Gürtel
zusammengehalten. Diesen Gürtel Pflegen die Zigeuner — vorzugsweise die
jüngern Frauen — durch eiuen Behang von hunderterlei Scherben, Glassplittern,
Metallstlutchen u. a. zu schmücken. Die Beine vom Knie bis zu deu Zehen bleiben
nackt, der Kopf unbedeckt. Das Haar — durchgängig kohlschwarz und lockig —
wird bei den Männern nicht verkürzt lind bei den Frauen nicht geflochten oder
sonst wie befestigt. Es hängt lose und wild vom Kopfe über die Schultern hinab,
doch sucht mau ihm durch fettige Substanzen so viel Glanz als möglich zu geben.
Diese Pmnadisirung und der Behang des aus Bast oder eitlem Weidengeflecht
bestehenden Hüftengürtels möchten aber auch die einzigen Beweise dafür sein, daß
auch dieser Classe die Eitelkeit uicht gänzlich mangelt. Wenigstens versicherte mir
ein alter Zigeuner, „bei seinem Volke" dürfe matt sich uur am Tage des Voll¬
mondes, außerdem vor der Trauung und vor dem Begräbniß eiues Anverwandten
oder eiuer zu der Horde gehörenden Person waschen. Die meisten Leute „seines
Volkes" thun es aber auch am Tage des Vollmondes uicht, und haben sie es
ni einem der andern beiden Fälle gethan, so beeilen sie sich, sich nach der feier¬
lichen Handlung wieder zu schwarzen, was dadurch leicht geschieht, daß mau ein
Fetter vou selten Kienholz anzündet und sich uicht vor, souderu hinter dasselbe
setzt. Uebrigens, erzählte er weiter, sei es keinem Zigeuner gestattet, sich die
Haut mit seinen Händen zu verunreinigen. Dies werde für eine Uebelthat ge-
halten und durch eine Züchtigung voll Seiten der ältern Stammlnitglieder gleichen
Geschlechtes bestraft. Bei seinem Stamme sei z. B. ein Bube von dreizehn
Jahren darum, daß er sich mit Farbe geschwärzt, fast zum Krüppel geschlagen
worden. Nur diejenige Schwärze, welche das Tag und Nacht auf dem Nieder-
lassuugöplaize brennende Feuer der Haut auflege, werde geduldet, aber anch in
Ehren gehalten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/130>, abgerufen am 24.08.2024.