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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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tragen werden soll. Der beständige Hinblick ans die englische Verfassung ver¬
wirrt unsere Politiker darin ans eine seltsame Weise. Weil dort, sobald das
Whigministerinm die Majorität verliert, Jedermann weih, daß die Tories folgen,
glaubt man bei uns, ans gleich ebenem Boden zu stehen, einerlei, ob wirkliche
Parteien vorhanden sind, oder nicht.

Es war, nnter dem Schein des Verdrusses über die Thorheit der Menge,
eigentlich das stille Bewußtsein der Schwäche, einer drohenden Situation gegen¬
über, das seinen Rücktritt veranlaßte. Es ist nnr zu menschlich, wenn anch nicht
zu rechtfertigen, daß die geheime Empfindung, seine Nachfolger würden es nicht
besser verstehen, seinen Entschluß nicht erschütterte. -- Denn die Leichtfertigkeit,
mit der später Hansemann mit der Nationalversammlung umsprang, war für einen
liberalen Minister -- der durch Herbeiziehen der bewaffneten Macht seine
eigne Macht ans den Händen gab -- und vor Vollendung der Konstitution, ans
die mau sich hätte stützen tonnen, auch nicht die richtige Methode.

Durch'die Unfähigkeit, die Versammlung, das einzige legitime Organ des
Volks, mit sich fortzureißen, war man nicht nnr gegen Unten rath- und schutzlos
geworden -- denn nur das Vertrauen der Versammlung konnte die legitimen
Mittel gewähren, den Excessen eines elenden Pöbels in Berlin und den fort¬
dauernden Wühlereien der Linken ein Ende zu machen, -- sondern, was schlim¬
mer war, auch uach Oben. Denn obgleich Camphausen unter sämmtlichen Mit¬
gliedern der altlibcralen Opposition derjenige war, welcher sich am bequemsten
in die Formen des alten Staats zu fügen wußte, und darum auch nach seinem
Rücktritt unter allen Märzministern allein eine persona xraw blieb, so wurde er doch
vom Hof und dem Beamtenthum stets als ein Eindringling angesehen, dem man
sich fügte, so lange es nothwendig war, und die täglichen Proben von der wach¬
senden Unpopnlarität seines liberalen Ministeriums mußten den König ans die
Idee bringen, daß es uicht viel schlimmer sein konnte, wenn er sich seiner alten
ergebenen Räthe bediente. Wir sind überzeugt, daß Camphausen nach dieser
Seite hin eine unermüdliche vermittelnde Thätigkeit entwickelt haben wird, aber
diese konnte uur dann fruchtbar sein, wenn er als der Führer einer unabhängigen,
geschlossenen, organisirten Partei dem Monarchen gegeuübertrat. Sich ans die
Meinung der Gutgesinnten berufen, nutzte uicht viel, denn eine Partei ohne
Organisation ist keine Partei. So blieb er in der undankbaren Stellung des
wohlmeinenden Mannes, dein man mehr Kraft zugetraut hat, als er besitzt, deu
mau schätzt, aber ohne ihn zu fürchten; die Mittel des alten Staats blieben in
den Händen der altconservativen Partei, und es war eine innere Nothwendigkeit,
daß diese, die gleich uach dem ersten Schreck sich wiederum kräftig organisirte,
auch öffentlich in die Stellung zurückgeführt wurde, die zu behaupten sie ihre
Leidenschaft und die alten Traditionen berechtigten. --

Dieser Vorwurf, daß er in Preußen versäumt hat, die liberale Partei zu


tragen werden soll. Der beständige Hinblick ans die englische Verfassung ver¬
wirrt unsere Politiker darin ans eine seltsame Weise. Weil dort, sobald das
Whigministerinm die Majorität verliert, Jedermann weih, daß die Tories folgen,
glaubt man bei uns, ans gleich ebenem Boden zu stehen, einerlei, ob wirkliche
Parteien vorhanden sind, oder nicht.

Es war, nnter dem Schein des Verdrusses über die Thorheit der Menge,
eigentlich das stille Bewußtsein der Schwäche, einer drohenden Situation gegen¬
über, das seinen Rücktritt veranlaßte. Es ist nnr zu menschlich, wenn anch nicht
zu rechtfertigen, daß die geheime Empfindung, seine Nachfolger würden es nicht
besser verstehen, seinen Entschluß nicht erschütterte. — Denn die Leichtfertigkeit,
mit der später Hansemann mit der Nationalversammlung umsprang, war für einen
liberalen Minister — der durch Herbeiziehen der bewaffneten Macht seine
eigne Macht ans den Händen gab — und vor Vollendung der Konstitution, ans
die mau sich hätte stützen tonnen, auch nicht die richtige Methode.

Durch'die Unfähigkeit, die Versammlung, das einzige legitime Organ des
Volks, mit sich fortzureißen, war man nicht nnr gegen Unten rath- und schutzlos
geworden — denn nur das Vertrauen der Versammlung konnte die legitimen
Mittel gewähren, den Excessen eines elenden Pöbels in Berlin und den fort¬
dauernden Wühlereien der Linken ein Ende zu machen, — sondern, was schlim¬
mer war, auch uach Oben. Denn obgleich Camphausen unter sämmtlichen Mit¬
gliedern der altlibcralen Opposition derjenige war, welcher sich am bequemsten
in die Formen des alten Staats zu fügen wußte, und darum auch nach seinem
Rücktritt unter allen Märzministern allein eine persona xraw blieb, so wurde er doch
vom Hof und dem Beamtenthum stets als ein Eindringling angesehen, dem man
sich fügte, so lange es nothwendig war, und die täglichen Proben von der wach¬
senden Unpopnlarität seines liberalen Ministeriums mußten den König ans die
Idee bringen, daß es uicht viel schlimmer sein konnte, wenn er sich seiner alten
ergebenen Räthe bediente. Wir sind überzeugt, daß Camphausen nach dieser
Seite hin eine unermüdliche vermittelnde Thätigkeit entwickelt haben wird, aber
diese konnte uur dann fruchtbar sein, wenn er als der Führer einer unabhängigen,
geschlossenen, organisirten Partei dem Monarchen gegeuübertrat. Sich ans die
Meinung der Gutgesinnten berufen, nutzte uicht viel, denn eine Partei ohne
Organisation ist keine Partei. So blieb er in der undankbaren Stellung des
wohlmeinenden Mannes, dein man mehr Kraft zugetraut hat, als er besitzt, deu
mau schätzt, aber ohne ihn zu fürchten; die Mittel des alten Staats blieben in
den Händen der altconservativen Partei, und es war eine innere Nothwendigkeit,
daß diese, die gleich uach dem ersten Schreck sich wiederum kräftig organisirte,
auch öffentlich in die Stellung zurückgeführt wurde, die zu behaupten sie ihre
Leidenschaft und die alten Traditionen berechtigten. —

Dieser Vorwurf, daß er in Preußen versäumt hat, die liberale Partei zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/112>, abgerufen am 25.08.2024.