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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

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Freilich litt diese Verfassung an einem sehr demokratischen Wahlgesetz, das
damals nicht zu umgehen war. Aber einmal war dann die Prätension der Kam¬
mer auf Unauflöslichkeit abgeschnitten, sie wurde außerdem durch eine couservativere
erste Kammer controlirt, dann aber darf man überzeugt sein, daß auch bei dem
schlechteste!: Wahlgesetz der constitutionelle Staat sich selber corrigiren wird, wenn
nur die Regierung ehrlich und energisch genng auftritt, um das Vertrauen der
Bürger zu erwerben.

Indeß -- das Geschehene war nicht zu andern. Die coustituireude Ver¬
sammlung war beschlossen, und mau mußte versuche),, mit ihr zu gehen. -- Was
in der Zwischenzeit vorfiel, hat nicht die Bedeutuug, die man darauf zu legen
pflegt. Camphausen hat, wie stets der Bürger, wenn er den Diplomaten spie¬
len will, manche Ungeschicklichkeiten begangen, z. B. in der Form, wie der Prinz
von Preußen zurückberufen wurde, aber eigentlich kam nicht viel darauf an. --
Als aber die Nationalversammlung zusammengetreten war, mußte sich die Regie¬
rung die Aufgabe stellen, sich ihrer zu bemächtigen und mit ihrer Hülfe dem
Pöbel wie dem Absolutismus, dem specifischem Preußenthum wie der Frankfurter
Centralisatwusidee Trotz zu bieten.

Die Regierung hat nicht einmal den Versuch gemacht. -- Sie hat die Ver-
sammlung, wozu sie uach ihrer Erklärung nicht befugt sein sollte, in die unmit¬
telbare Gesetzgebung gezogen, in constitutionellen Formeu mit ihr gespielt, sich
ihr untergeordnet, und, als sie den Streit nicht vermeiden konnte, sich verstimmt
zurückgezogen. -- Freilich war die Aufgabe eine sehr undankbare, mit dem seinen,
vornehmen Wesen Camphausen's kaum in Einklang zu bringen. Denn die Ver¬
sammlung, deren Unfähigkeit zwar mit einem unerhörten Selbstgefühl wetteiferte,
war nicht eigentlich bösartig. Sie wollte uur beschäftigt und zugleich in dem
Glauben erhalten werdeu, daß sie Großes schaffe. Um diesen Trieb zu befriedi-
gen, hätte jeder der Minister täglich wenigstens eine Stunde laug über alles das
Gute, was er vorhabe, so wie über seiue Ehrlichkeit und seine demokratische
Gesinnung reden müssen; er hätte zugleich keine Jutngue sparen dürfen, um sich
ein Corps unbedingter Anhänger zu erobern. Die Centren waren ein weites
Feld für solche Eroberungen. Aber wer erobern wollte, mußte imvmüren; er
mußte uicht durch die leidende Miene uuschuldsvoller Ehrlichkeit, souderu durch
die entschlossene Haltung eiues energischen, unbeugsamen Willens die Masse
mit sich fortreißen. Die stolze Demuth, mit der Camphausen eine K!ritik seines
bisherigen Verhaltens herausforderte, die Resignation, mit der er seinen Ver-
fassungsentwurf fallen ließ, endlich der unnöthige, und dabei sehr schwach ge¬
führte Streit über das Princip der Revolution waren nicht geeignet, ihn in
seiner Stellung zu sichern. Und doch lag in allen diesen Umständen nichts vor,
seinen Rücktritt zu motiviren, denn in eiuer revolutionären Zeit ist es ein starkes
Vergehen, die Macht aus den Händen zu geben, ohne zu wissen, wem sie über-


Freilich litt diese Verfassung an einem sehr demokratischen Wahlgesetz, das
damals nicht zu umgehen war. Aber einmal war dann die Prätension der Kam¬
mer auf Unauflöslichkeit abgeschnitten, sie wurde außerdem durch eine couservativere
erste Kammer controlirt, dann aber darf man überzeugt sein, daß auch bei dem
schlechteste!: Wahlgesetz der constitutionelle Staat sich selber corrigiren wird, wenn
nur die Regierung ehrlich und energisch genng auftritt, um das Vertrauen der
Bürger zu erwerben.

Indeß — das Geschehene war nicht zu andern. Die coustituireude Ver¬
sammlung war beschlossen, und mau mußte versuche),, mit ihr zu gehen. — Was
in der Zwischenzeit vorfiel, hat nicht die Bedeutuug, die man darauf zu legen
pflegt. Camphausen hat, wie stets der Bürger, wenn er den Diplomaten spie¬
len will, manche Ungeschicklichkeiten begangen, z. B. in der Form, wie der Prinz
von Preußen zurückberufen wurde, aber eigentlich kam nicht viel darauf an. —
Als aber die Nationalversammlung zusammengetreten war, mußte sich die Regie¬
rung die Aufgabe stellen, sich ihrer zu bemächtigen und mit ihrer Hülfe dem
Pöbel wie dem Absolutismus, dem specifischem Preußenthum wie der Frankfurter
Centralisatwusidee Trotz zu bieten.

Die Regierung hat nicht einmal den Versuch gemacht. — Sie hat die Ver-
sammlung, wozu sie uach ihrer Erklärung nicht befugt sein sollte, in die unmit¬
telbare Gesetzgebung gezogen, in constitutionellen Formeu mit ihr gespielt, sich
ihr untergeordnet, und, als sie den Streit nicht vermeiden konnte, sich verstimmt
zurückgezogen. — Freilich war die Aufgabe eine sehr undankbare, mit dem seinen,
vornehmen Wesen Camphausen's kaum in Einklang zu bringen. Denn die Ver¬
sammlung, deren Unfähigkeit zwar mit einem unerhörten Selbstgefühl wetteiferte,
war nicht eigentlich bösartig. Sie wollte uur beschäftigt und zugleich in dem
Glauben erhalten werdeu, daß sie Großes schaffe. Um diesen Trieb zu befriedi-
gen, hätte jeder der Minister täglich wenigstens eine Stunde laug über alles das
Gute, was er vorhabe, so wie über seiue Ehrlichkeit und seine demokratische
Gesinnung reden müssen; er hätte zugleich keine Jutngue sparen dürfen, um sich
ein Corps unbedingter Anhänger zu erobern. Die Centren waren ein weites
Feld für solche Eroberungen. Aber wer erobern wollte, mußte imvmüren; er
mußte uicht durch die leidende Miene uuschuldsvoller Ehrlichkeit, souderu durch
die entschlossene Haltung eiues energischen, unbeugsamen Willens die Masse
mit sich fortreißen. Die stolze Demuth, mit der Camphausen eine K!ritik seines
bisherigen Verhaltens herausforderte, die Resignation, mit der er seinen Ver-
fassungsentwurf fallen ließ, endlich der unnöthige, und dabei sehr schwach ge¬
führte Streit über das Princip der Revolution waren nicht geeignet, ihn in
seiner Stellung zu sichern. Und doch lag in allen diesen Umständen nichts vor,
seinen Rücktritt zu motiviren, denn in eiuer revolutionären Zeit ist es ein starkes
Vergehen, die Macht aus den Händen zu geben, ohne zu wissen, wem sie über-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/111>, abgerufen am 02.10.2024.