Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die träge Maschine wieder in raschere Bewegung zu bringen. Die politischen
Verhältnisse haben ihn von dannen getrieben und Dresden schickt sich jetzt von
neuem an zu schlummern. Der Versuch, ein Coucertinstitut uach Art des Leipziger
zu gründen, ist ebenfalls mißlungen. Es gehört jetzt uuter die Ereignisse in Dres¬
den, wenn jährlich an dem bestimmten Tage ein größeres Orchesterwerk und
Oratorium mit unendlicher Geschäftigkeit an das Licht gebracht wird. Mau ist
jetzt ebeu dahin gelaugt, Mendelssohn nothdürftig zu kennen, daß Gabe lebt,
weiß man, und daß Schumann versucht hat, Dies oder Jenes zu schreiben, dies
zu glauben, ist leider Mancher getrieben ivordeu, iudeiu er zuhören mußte oder in
dem noch schlimmern Falle sich befand, mitzuwirken. Jetzt, wo Schumann Dres¬
den verlassen, indem er einem ehrenvollen Rufe uach dem kunstsinnigen Düsseldorf
folgte, ist jede Veranlassung geschwunden, sich Schumann'S zu erinnern. Die offi-
cielle Mustk wird uicht mehr behelligt sein durch Aufführung seiner Sinfonien,
der Perl, oder der Musik zu dem zweiten Theil des Göthe'scheu Faust.

Letztgenanntes Werk wurde in Dresden aufgeführt zur Feier des IWjährigen
Geburtstages Goethe's. Obgleich es so spät in die Oeffentlichkeit gebracht wurde,
gehört es doch eiuer früheren Zeit an. Es ist unmittelbar nach der Perl entstan¬
den und war schon bis zu dem Schlnßchore fertig, als Schumann sich nach Dresden
übersiedelte. Dieser Schlnßchor unterscheidet sich auch sichtlich von den ersten
Nummern. Während diese sich in ihrer Klarheit und Darstellungsweise der Perl
nähern, gehört der genannte Chor schon der Zeit an, in welcher es sich als
Schumann's Hauptbestreben herausstellt, kunstreich und mit großaugelegteu For¬
men zu schreiben. Das contrapnnttische Element erscheint hier, wie in den spä¬
tern größern Werken, herausfordernd. Schumann ist in dem ganzen Werke Gö-
the's mystischen Verzückungen mit vielem Eifer gefolgt. Die Schilderung der
einzelnen Gestalten ist wohlgelungen, vielleicht war er auch der Einzige, der es
vermöge seines zur Schwärmerei sich neigenden Naturells vermochte, diese Ge¬
stalten ans so ideale Weise wiederzugeben. Der Schlnßchor, die Quintessenz des
ganzen dramatischen Gedichtes in sich bergend:


Alles Vergängliche ist nur ein Gleichniß n-.

hat von Schumann eine doppelte Behandlung erfahren. Einmal stellt er ihn,
als wirklichen eüorus mMwirs, in einer langsamen, schweren Bewegung ß, auf
religiöse Weise, mit imitatorisch eintretenden Stimmen dar. Das Orchester gibt
dazu in gehaltenen Accorden die wesentliche harmonische Unterlage. Die an¬
fänglich ernstere Färbung geht allmählich in ein helleres, verklärtes Licht über:
Faust ist ja in den Himmel aufgehoben und das Bewußtsein seiner Seligkeit wird
ihm zur Klarheit.


Vom edlem Geisterchor umgeben,
Wird sich der -Neue kaum gewahr,
Er ahnet kaum das frische Leben,
So gleicht er schon der Heiligen Schaar le.

"6*

die träge Maschine wieder in raschere Bewegung zu bringen. Die politischen
Verhältnisse haben ihn von dannen getrieben und Dresden schickt sich jetzt von
neuem an zu schlummern. Der Versuch, ein Coucertinstitut uach Art des Leipziger
zu gründen, ist ebenfalls mißlungen. Es gehört jetzt uuter die Ereignisse in Dres¬
den, wenn jährlich an dem bestimmten Tage ein größeres Orchesterwerk und
Oratorium mit unendlicher Geschäftigkeit an das Licht gebracht wird. Mau ist
jetzt ebeu dahin gelaugt, Mendelssohn nothdürftig zu kennen, daß Gabe lebt,
weiß man, und daß Schumann versucht hat, Dies oder Jenes zu schreiben, dies
zu glauben, ist leider Mancher getrieben ivordeu, iudeiu er zuhören mußte oder in
dem noch schlimmern Falle sich befand, mitzuwirken. Jetzt, wo Schumann Dres¬
den verlassen, indem er einem ehrenvollen Rufe uach dem kunstsinnigen Düsseldorf
folgte, ist jede Veranlassung geschwunden, sich Schumann'S zu erinnern. Die offi-
cielle Mustk wird uicht mehr behelligt sein durch Aufführung seiner Sinfonien,
der Perl, oder der Musik zu dem zweiten Theil des Göthe'scheu Faust.

Letztgenanntes Werk wurde in Dresden aufgeführt zur Feier des IWjährigen
Geburtstages Goethe's. Obgleich es so spät in die Oeffentlichkeit gebracht wurde,
gehört es doch eiuer früheren Zeit an. Es ist unmittelbar nach der Perl entstan¬
den und war schon bis zu dem Schlnßchore fertig, als Schumann sich nach Dresden
übersiedelte. Dieser Schlnßchor unterscheidet sich auch sichtlich von den ersten
Nummern. Während diese sich in ihrer Klarheit und Darstellungsweise der Perl
nähern, gehört der genannte Chor schon der Zeit an, in welcher es sich als
Schumann's Hauptbestreben herausstellt, kunstreich und mit großaugelegteu For¬
men zu schreiben. Das contrapnnttische Element erscheint hier, wie in den spä¬
tern größern Werken, herausfordernd. Schumann ist in dem ganzen Werke Gö-
the's mystischen Verzückungen mit vielem Eifer gefolgt. Die Schilderung der
einzelnen Gestalten ist wohlgelungen, vielleicht war er auch der Einzige, der es
vermöge seines zur Schwärmerei sich neigenden Naturells vermochte, diese Ge¬
stalten ans so ideale Weise wiederzugeben. Der Schlnßchor, die Quintessenz des
ganzen dramatischen Gedichtes in sich bergend:


Alles Vergängliche ist nur ein Gleichniß n-.

hat von Schumann eine doppelte Behandlung erfahren. Einmal stellt er ihn,
als wirklichen eüorus mMwirs, in einer langsamen, schweren Bewegung ß, auf
religiöse Weise, mit imitatorisch eintretenden Stimmen dar. Das Orchester gibt
dazu in gehaltenen Accorden die wesentliche harmonische Unterlage. Die an¬
fänglich ernstere Färbung geht allmählich in ein helleres, verklärtes Licht über:
Faust ist ja in den Himmel aufgehoben und das Bewußtsein seiner Seligkeit wird
ihm zur Klarheit.


Vom edlem Geisterchor umgeben,
Wird sich der -Neue kaum gewahr,
Er ahnet kaum das frische Leben,
So gleicht er schon der Heiligen Schaar le.

«6*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92300"/>
            <p xml:id="ID_7" prev="#ID_6"> die träge Maschine wieder in raschere Bewegung zu bringen. Die politischen<lb/>
Verhältnisse haben ihn von dannen getrieben und Dresden schickt sich jetzt von<lb/>
neuem an zu schlummern. Der Versuch, ein Coucertinstitut uach Art des Leipziger<lb/>
zu gründen, ist ebenfalls mißlungen. Es gehört jetzt uuter die Ereignisse in Dres¬<lb/>
den, wenn jährlich an dem bestimmten Tage ein größeres Orchesterwerk und<lb/>
Oratorium mit unendlicher Geschäftigkeit an das Licht gebracht wird. Mau ist<lb/>
jetzt ebeu dahin gelaugt, Mendelssohn nothdürftig zu kennen, daß Gabe lebt,<lb/>
weiß man, und daß Schumann versucht hat, Dies oder Jenes zu schreiben, dies<lb/>
zu glauben, ist leider Mancher getrieben ivordeu, iudeiu er zuhören mußte oder in<lb/>
dem noch schlimmern Falle sich befand, mitzuwirken. Jetzt, wo Schumann Dres¬<lb/>
den verlassen, indem er einem ehrenvollen Rufe uach dem kunstsinnigen Düsseldorf<lb/>
folgte, ist jede Veranlassung geschwunden, sich Schumann'S zu erinnern. Die offi-<lb/>
cielle Mustk wird uicht mehr behelligt sein durch Aufführung seiner Sinfonien,<lb/>
der Perl, oder der Musik zu dem zweiten Theil des Göthe'scheu Faust.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_8"> Letztgenanntes Werk wurde in Dresden aufgeführt zur Feier des IWjährigen<lb/>
Geburtstages Goethe's. Obgleich es so spät in die Oeffentlichkeit gebracht wurde,<lb/>
gehört es doch eiuer früheren Zeit an. Es ist unmittelbar nach der Perl entstan¬<lb/>
den und war schon bis zu dem Schlnßchore fertig, als Schumann sich nach Dresden<lb/>
übersiedelte. Dieser Schlnßchor unterscheidet sich auch sichtlich von den ersten<lb/>
Nummern. Während diese sich in ihrer Klarheit und Darstellungsweise der Perl<lb/>
nähern, gehört der genannte Chor schon der Zeit an, in welcher es sich als<lb/>
Schumann's Hauptbestreben herausstellt, kunstreich und mit großaugelegteu For¬<lb/>
men zu schreiben. Das contrapnnttische Element erscheint hier, wie in den spä¬<lb/>
tern größern Werken, herausfordernd. Schumann ist in dem ganzen Werke Gö-<lb/>
the's mystischen Verzückungen mit vielem Eifer gefolgt. Die Schilderung der<lb/>
einzelnen Gestalten ist wohlgelungen, vielleicht war er auch der Einzige, der es<lb/>
vermöge seines zur Schwärmerei sich neigenden Naturells vermochte, diese Ge¬<lb/>
stalten ans so ideale Weise wiederzugeben. Der Schlnßchor, die Quintessenz des<lb/>
ganzen dramatischen Gedichtes in sich bergend:</p><lb/>
            <quote> Alles Vergängliche ist nur ein Gleichniß n-.</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_9" next="#ID_10"> hat von Schumann eine doppelte Behandlung erfahren. Einmal stellt er ihn,<lb/>
als wirklichen eüorus mMwirs, in einer langsamen, schweren Bewegung ß, auf<lb/>
religiöse Weise, mit imitatorisch eintretenden Stimmen dar. Das Orchester gibt<lb/>
dazu in gehaltenen Accorden die wesentliche harmonische Unterlage. Die an¬<lb/>
fänglich ernstere Färbung geht allmählich in ein helleres, verklärtes Licht über:<lb/>
Faust ist ja in den Himmel aufgehoben und das Bewußtsein seiner Seligkeit wird<lb/>
ihm zur Klarheit.</p><lb/>
            <quote>
              <lg xml:id="POEMID_1" type="poem">
                <l> Vom edlem Geisterchor umgeben,<lb/>
Wird sich der -Neue kaum gewahr,<lb/>
Er ahnet kaum das frische Leben,<lb/>
So gleicht er schon der Heiligen Schaar le.</l>
              </lg>
            </quote><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> «6*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0011] die träge Maschine wieder in raschere Bewegung zu bringen. Die politischen Verhältnisse haben ihn von dannen getrieben und Dresden schickt sich jetzt von neuem an zu schlummern. Der Versuch, ein Coucertinstitut uach Art des Leipziger zu gründen, ist ebenfalls mißlungen. Es gehört jetzt uuter die Ereignisse in Dres¬ den, wenn jährlich an dem bestimmten Tage ein größeres Orchesterwerk und Oratorium mit unendlicher Geschäftigkeit an das Licht gebracht wird. Mau ist jetzt ebeu dahin gelaugt, Mendelssohn nothdürftig zu kennen, daß Gabe lebt, weiß man, und daß Schumann versucht hat, Dies oder Jenes zu schreiben, dies zu glauben, ist leider Mancher getrieben ivordeu, iudeiu er zuhören mußte oder in dem noch schlimmern Falle sich befand, mitzuwirken. Jetzt, wo Schumann Dres¬ den verlassen, indem er einem ehrenvollen Rufe uach dem kunstsinnigen Düsseldorf folgte, ist jede Veranlassung geschwunden, sich Schumann'S zu erinnern. Die offi- cielle Mustk wird uicht mehr behelligt sein durch Aufführung seiner Sinfonien, der Perl, oder der Musik zu dem zweiten Theil des Göthe'scheu Faust. Letztgenanntes Werk wurde in Dresden aufgeführt zur Feier des IWjährigen Geburtstages Goethe's. Obgleich es so spät in die Oeffentlichkeit gebracht wurde, gehört es doch eiuer früheren Zeit an. Es ist unmittelbar nach der Perl entstan¬ den und war schon bis zu dem Schlnßchore fertig, als Schumann sich nach Dresden übersiedelte. Dieser Schlnßchor unterscheidet sich auch sichtlich von den ersten Nummern. Während diese sich in ihrer Klarheit und Darstellungsweise der Perl nähern, gehört der genannte Chor schon der Zeit an, in welcher es sich als Schumann's Hauptbestreben herausstellt, kunstreich und mit großaugelegteu For¬ men zu schreiben. Das contrapnnttische Element erscheint hier, wie in den spä¬ tern größern Werken, herausfordernd. Schumann ist in dem ganzen Werke Gö- the's mystischen Verzückungen mit vielem Eifer gefolgt. Die Schilderung der einzelnen Gestalten ist wohlgelungen, vielleicht war er auch der Einzige, der es vermöge seines zur Schwärmerei sich neigenden Naturells vermochte, diese Ge¬ stalten ans so ideale Weise wiederzugeben. Der Schlnßchor, die Quintessenz des ganzen dramatischen Gedichtes in sich bergend: Alles Vergängliche ist nur ein Gleichniß n-. hat von Schumann eine doppelte Behandlung erfahren. Einmal stellt er ihn, als wirklichen eüorus mMwirs, in einer langsamen, schweren Bewegung ß, auf religiöse Weise, mit imitatorisch eintretenden Stimmen dar. Das Orchester gibt dazu in gehaltenen Accorden die wesentliche harmonische Unterlage. Die an¬ fänglich ernstere Färbung geht allmählich in ein helleres, verklärtes Licht über: Faust ist ja in den Himmel aufgehoben und das Bewußtsein seiner Seligkeit wird ihm zur Klarheit. Vom edlem Geisterchor umgeben, Wird sich der -Neue kaum gewahr, Er ahnet kaum das frische Leben, So gleicht er schon der Heiligen Schaar le. «6*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/11
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92288/11>, abgerufen am 24.08.2024.