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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Aber ich stehe in Dover am Quai und suche ein Nachtlager. Alle Hotels
präsentirten sich, ich hob uicht eine einzige der bald großen, bald kleinen, bald ein¬
fachen, bald geschnörkelten Karten auf, die aus den Händen der am Quai stationirten
Hoteldiener wie ein kleines Schneegestöber wirbelnd vor mir niederfielen, nahm, was
der hnmanisirtc Mensch fiir Nacht und Morgen braucht, ans der Reisetasche, war
taub allen Anempfehlungen und hatte meinen Entschluß gefaßt. Ich wollte in
dem scheinbar respektabelsten Hause vou der Art übernachten, an welchem ich die
Aufschrift fände: ""ova dents, gute Betten." Ein kecker Entschluß. Derlei
Hänser steheu in London in keinem ehrenvollen Uns, und es begreift sich, warum
sie in einem Hafenorte in noch schlechter"! stehen. Aber ich hatte nie in einem
übernachtet; es verlangte mich nach eigener Erfahrung, es konnte mit Häusern
sein, wie mit Menschen, daß sie besser sind, als ihr Ruf.

Dover hat eine Unzahl guter Betten, dafern die Betten alle gut sind, deren
Tugend die Aufschriften an den Häusern rühmen. Offenbar aber liegt es im
Interesse jedes Hauseigners, welcher Betten vermiethet, daß nicht schon das
Aeußere seines Hauses abschrecke, und unter den vielen Häusern, die jenen Er¬
werbszweig treiben, waren eine Menge, deren Außenseite sehr bedenklich war.
Sie hatten das Gepräge des Lasters und die Farbe des Schmutzes. Unbescholten
erschien mir endlich ein Haus, das zugleich nahe am Qual. Es nannte sich Kaffee¬
haus und war ein einstöckiger, vier Fenster breiter Bau. Ein Mann begrüßte
mich, wollte mir ein Zimmer zeigen und führte mich in dem anscheinend kleinen
Hause über lauge Gänge nach einer Schlafstube, auf welche das beste Hotel sich
etwas einbilden konnte. Der Preis für eine Nacht achtzehn Pence, ein halber
Thaler. Der Abend war spät geworden, als ich mich hinauftrollte. Eine ge¬
schäftige, saubere Hand hatte meine Stube geordnet, blüthenweiß das Bett
überzogen, jede Kleinigkeit wohlwollend bedacht. Ich forderte Thee. Ein Ne¬
benzimmer ging auf, ein Zimmer mit Allem, was in England einem sMmx-room
gebührt, und der Thee war vortrefflich, und sein englisches Gefolge, das Fleisch,
das Brod, die Butter.

Ein Schilling für den Aufwärter that seine Wirkung. Schlag halb vier Uhr:
"Kot vo,ehr, 8ir;" um vier der Kaffee, für Thee, Kaffee und Bett vier Schillinge!
Ich weiß nicht, welchen Ruf dieses Haus in Dover genießt. Aber das Haus
erwies sich als ein gutes Haus, sie leerten nicht die Taschen aus, wie zu Eastsheap.

Dem schönen, warmen Gestern folgte ein häßliches Heute -- ein kalter, stür¬
mischer Morgen. Die Wolken jagten, Regenschauer strömten und mannshohe
Wellen schüttete das Meer über unser Deck. Das Schiff stöhnte, die Passagiere
auch -- ein widriger Einklang. Obschon der Wind zum Sturme wurde und
schräg ans'uns einschnitt -- Britannia ließ sich nicht irren, fürchte das Meer,
tanzte über das schäumende, kämpfte und siegte. Vor wenigen Jahren noch
dauerte die günstige Fahrt acht Stunden. Seitdem hat die Handhabung des


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Aber ich stehe in Dover am Quai und suche ein Nachtlager. Alle Hotels
präsentirten sich, ich hob uicht eine einzige der bald großen, bald kleinen, bald ein¬
fachen, bald geschnörkelten Karten auf, die aus den Händen der am Quai stationirten
Hoteldiener wie ein kleines Schneegestöber wirbelnd vor mir niederfielen, nahm, was
der hnmanisirtc Mensch fiir Nacht und Morgen braucht, ans der Reisetasche, war
taub allen Anempfehlungen und hatte meinen Entschluß gefaßt. Ich wollte in
dem scheinbar respektabelsten Hause vou der Art übernachten, an welchem ich die
Aufschrift fände: „«ova dents, gute Betten." Ein kecker Entschluß. Derlei
Hänser steheu in London in keinem ehrenvollen Uns, und es begreift sich, warum
sie in einem Hafenorte in noch schlechter»! stehen. Aber ich hatte nie in einem
übernachtet; es verlangte mich nach eigener Erfahrung, es konnte mit Häusern
sein, wie mit Menschen, daß sie besser sind, als ihr Ruf.

Dover hat eine Unzahl guter Betten, dafern die Betten alle gut sind, deren
Tugend die Aufschriften an den Häusern rühmen. Offenbar aber liegt es im
Interesse jedes Hauseigners, welcher Betten vermiethet, daß nicht schon das
Aeußere seines Hauses abschrecke, und unter den vielen Häusern, die jenen Er¬
werbszweig treiben, waren eine Menge, deren Außenseite sehr bedenklich war.
Sie hatten das Gepräge des Lasters und die Farbe des Schmutzes. Unbescholten
erschien mir endlich ein Haus, das zugleich nahe am Qual. Es nannte sich Kaffee¬
haus und war ein einstöckiger, vier Fenster breiter Bau. Ein Mann begrüßte
mich, wollte mir ein Zimmer zeigen und führte mich in dem anscheinend kleinen
Hause über lauge Gänge nach einer Schlafstube, auf welche das beste Hotel sich
etwas einbilden konnte. Der Preis für eine Nacht achtzehn Pence, ein halber
Thaler. Der Abend war spät geworden, als ich mich hinauftrollte. Eine ge¬
schäftige, saubere Hand hatte meine Stube geordnet, blüthenweiß das Bett
überzogen, jede Kleinigkeit wohlwollend bedacht. Ich forderte Thee. Ein Ne¬
benzimmer ging auf, ein Zimmer mit Allem, was in England einem sMmx-room
gebührt, und der Thee war vortrefflich, und sein englisches Gefolge, das Fleisch,
das Brod, die Butter.

Ein Schilling für den Aufwärter that seine Wirkung. Schlag halb vier Uhr:
„Kot vo,ehr, 8ir;" um vier der Kaffee, für Thee, Kaffee und Bett vier Schillinge!
Ich weiß nicht, welchen Ruf dieses Haus in Dover genießt. Aber das Haus
erwies sich als ein gutes Haus, sie leerten nicht die Taschen aus, wie zu Eastsheap.

Dem schönen, warmen Gestern folgte ein häßliches Heute — ein kalter, stür¬
mischer Morgen. Die Wolken jagten, Regenschauer strömten und mannshohe
Wellen schüttete das Meer über unser Deck. Das Schiff stöhnte, die Passagiere
auch — ein widriger Einklang. Obschon der Wind zum Sturme wurde und
schräg ans'uns einschnitt — Britannia ließ sich nicht irren, fürchte das Meer,
tanzte über das schäumende, kämpfte und siegte. Vor wenigen Jahren noch
dauerte die günstige Fahrt acht Stunden. Seitdem hat die Handhabung des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/99>, abgerufen am 27.07.2024.