Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Unterdeß geht Oestreich seinen Weg neben drohenden Abgründen ruhig weiter.
Nach außen bemüht, die Union zu vernichten, nach innen in eifriger, nicht immer
glücklicher Arbeit sich zu verjüngen. Das gegenwärtige Ministerium durch sein
schlechtes Princip in eine gefährliche Bahn hineingetrieben, macht alle die Stadien
durch, welche sich ihm seit vorigem Herbst voraussagen ließen: Kampf mit den
Generälen, den Prätorianern in den pacificirtcn Provinzen, welche fast den ganzen
Kaiserstaat ausmachen; Besiegung der Militärgewalt; unumschränkte Herrschaft
seiner Bureaukraten, und endlich eine ministerielle Katastrophe durch die finanzielle
Fäulniß im Staatskörper.

Die stolzen Pairs von Frankreich wallfahrten nach dem kleinen östreichischen
Städtchen Frohsdorf, um dort der geduldeten Majestät von Chambord den legi¬
timen Weihrauch zu streuen, und die Goldgrafen von Albion beeilen sich in einem
parlamentarischen Gefecht gegen den eifrigen Palmerston dem armen Oestreich ihre
Huldigung darzubringen. Natürlich mußte diese Nehabilitirung Oestreichs im Aus¬
lande anch auf die innern Angelegenheiten des Kaiserstaatö von Einfluß sein,
und wir scheu verwundert das Ministerium Schwarzenberg mit eiuer Energie
austreten, die ihm vor Kurzem von niemandem zugemuthet worden wäre.

Vor einigen Tagen brachte die Neichszeitnng einen Protest der östreichischen
Regierung an deu Präsidenten der Vereinigten Staaten, weil er sich erdreistet hatte,
darzuthun, daß er die Unabhängigkeit Ungarns im Falle eines Sieges der Insur¬
genten anerkannt hätte; und heute trifft die telegraphische Depesche aus Wien
bei uns ein: "General Hayna" ist wegen Nichtbefolgung kaiserlicher
Befehle seines Kommandos und seiner Vollmachten enthoben wor¬
den." Ja es mußte so kommen. Das Blatt hat sich gewendet; das unter-
thänigst gehorsamste Ministerium geht ans dem Kampfe mit der allmäch¬
tigen Soldateska sehr siegreich hervor, man wird bei Haynan nicht stehen bleiben,
sondern Melden und Consorten werden folgen, ja selbst die souveränen Leib-
adjntanten der Majestät stehen auf wankendem Grund.

Der Sieg des Ministeriums Schwarzenberg scheint ein großer und vollständiger
und doch ist derselbe in seinen Resultaten bedenklich. Die östreichische Regierung
kämpft im Anstände wie im Inlande ans feindlichem Boden, und wie der Er¬
oberer nach jedem Siege sein Heer durch Besatzungen, welche er in dem occu-
pirtcn Terrain zurückgelassen, schwächt, bis es endlich der concentrirten Macht des
Feindes unterliegen muß, so kostet Schwarzenberg jede Spanne Boden, die er in
Deutschland gewinnt, ein Stück von der octroyirten Charte, und wenn einst
Preußen wieder die ihm gebotene Stellung in Deutschland einnimmt und die
Restauration vou 1815 über deu Haufen wirft, wird der Fürst mit Bewunderung
wahrnehmen, daß er nicht nur Deutschland verloren, sondern anch von den 123 Pa¬
ragraphen von Olmütz nnr einen kleinen unbedeutenden Nest in seiner Hand behalten
hat. Wichtiger als die errungenen Vortheile in Deutschland ist der Sieg über


Unterdeß geht Oestreich seinen Weg neben drohenden Abgründen ruhig weiter.
Nach außen bemüht, die Union zu vernichten, nach innen in eifriger, nicht immer
glücklicher Arbeit sich zu verjüngen. Das gegenwärtige Ministerium durch sein
schlechtes Princip in eine gefährliche Bahn hineingetrieben, macht alle die Stadien
durch, welche sich ihm seit vorigem Herbst voraussagen ließen: Kampf mit den
Generälen, den Prätorianern in den pacificirtcn Provinzen, welche fast den ganzen
Kaiserstaat ausmachen; Besiegung der Militärgewalt; unumschränkte Herrschaft
seiner Bureaukraten, und endlich eine ministerielle Katastrophe durch die finanzielle
Fäulniß im Staatskörper.

Die stolzen Pairs von Frankreich wallfahrten nach dem kleinen östreichischen
Städtchen Frohsdorf, um dort der geduldeten Majestät von Chambord den legi¬
timen Weihrauch zu streuen, und die Goldgrafen von Albion beeilen sich in einem
parlamentarischen Gefecht gegen den eifrigen Palmerston dem armen Oestreich ihre
Huldigung darzubringen. Natürlich mußte diese Nehabilitirung Oestreichs im Aus¬
lande anch auf die innern Angelegenheiten des Kaiserstaatö von Einfluß sein,
und wir scheu verwundert das Ministerium Schwarzenberg mit eiuer Energie
austreten, die ihm vor Kurzem von niemandem zugemuthet worden wäre.

Vor einigen Tagen brachte die Neichszeitnng einen Protest der östreichischen
Regierung an deu Präsidenten der Vereinigten Staaten, weil er sich erdreistet hatte,
darzuthun, daß er die Unabhängigkeit Ungarns im Falle eines Sieges der Insur¬
genten anerkannt hätte; und heute trifft die telegraphische Depesche aus Wien
bei uns ein: „General Hayna« ist wegen Nichtbefolgung kaiserlicher
Befehle seines Kommandos und seiner Vollmachten enthoben wor¬
den." Ja es mußte so kommen. Das Blatt hat sich gewendet; das unter-
thänigst gehorsamste Ministerium geht ans dem Kampfe mit der allmäch¬
tigen Soldateska sehr siegreich hervor, man wird bei Haynan nicht stehen bleiben,
sondern Melden und Consorten werden folgen, ja selbst die souveränen Leib-
adjntanten der Majestät stehen auf wankendem Grund.

Der Sieg des Ministeriums Schwarzenberg scheint ein großer und vollständiger
und doch ist derselbe in seinen Resultaten bedenklich. Die östreichische Regierung
kämpft im Anstände wie im Inlande ans feindlichem Boden, und wie der Er¬
oberer nach jedem Siege sein Heer durch Besatzungen, welche er in dem occu-
pirtcn Terrain zurückgelassen, schwächt, bis es endlich der concentrirten Macht des
Feindes unterliegen muß, so kostet Schwarzenberg jede Spanne Boden, die er in
Deutschland gewinnt, ein Stück von der octroyirten Charte, und wenn einst
Preußen wieder die ihm gebotene Stellung in Deutschland einnimmt und die
Restauration vou 1815 über deu Haufen wirft, wird der Fürst mit Bewunderung
wahrnehmen, daß er nicht nur Deutschland verloren, sondern anch von den 123 Pa¬
ragraphen von Olmütz nnr einen kleinen unbedeutenden Nest in seiner Hand behalten
hat. Wichtiger als die errungenen Vortheile in Deutschland ist der Sieg über


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85677"/>
            <p xml:id="ID_335"> Unterdeß geht Oestreich seinen Weg neben drohenden Abgründen ruhig weiter.<lb/>
Nach außen bemüht, die Union zu vernichten, nach innen in eifriger, nicht immer<lb/>
glücklicher Arbeit sich zu verjüngen. Das gegenwärtige Ministerium durch sein<lb/>
schlechtes Princip in eine gefährliche Bahn hineingetrieben, macht alle die Stadien<lb/>
durch, welche sich ihm seit vorigem Herbst voraussagen ließen: Kampf mit den<lb/>
Generälen, den Prätorianern in den pacificirtcn Provinzen, welche fast den ganzen<lb/>
Kaiserstaat ausmachen; Besiegung der Militärgewalt; unumschränkte Herrschaft<lb/>
seiner Bureaukraten, und endlich eine ministerielle Katastrophe durch die finanzielle<lb/>
Fäulniß im Staatskörper.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_336"> Die stolzen Pairs von Frankreich wallfahrten nach dem kleinen östreichischen<lb/>
Städtchen Frohsdorf, um dort der geduldeten Majestät von Chambord den legi¬<lb/>
timen Weihrauch zu streuen, und die Goldgrafen von Albion beeilen sich in einem<lb/>
parlamentarischen Gefecht gegen den eifrigen Palmerston dem armen Oestreich ihre<lb/>
Huldigung darzubringen. Natürlich mußte diese Nehabilitirung Oestreichs im Aus¬<lb/>
lande anch auf die innern Angelegenheiten des Kaiserstaatö von Einfluß sein,<lb/>
und wir scheu verwundert das Ministerium Schwarzenberg mit eiuer Energie<lb/>
austreten, die ihm vor Kurzem von niemandem zugemuthet worden wäre.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_337"> Vor einigen Tagen brachte die Neichszeitnng einen Protest der östreichischen<lb/>
Regierung an deu Präsidenten der Vereinigten Staaten, weil er sich erdreistet hatte,<lb/>
darzuthun, daß er die Unabhängigkeit Ungarns im Falle eines Sieges der Insur¬<lb/>
genten anerkannt hätte; und heute trifft die telegraphische Depesche aus Wien<lb/>
bei uns ein: &#x201E;General Hayna« ist wegen Nichtbefolgung kaiserlicher<lb/>
Befehle seines Kommandos und seiner Vollmachten enthoben wor¬<lb/>
den." Ja es mußte so kommen. Das Blatt hat sich gewendet; das unter-<lb/>
thänigst gehorsamste Ministerium geht ans dem Kampfe mit der allmäch¬<lb/>
tigen Soldateska sehr siegreich hervor, man wird bei Haynan nicht stehen bleiben,<lb/>
sondern Melden und Consorten werden folgen, ja selbst die souveränen Leib-<lb/>
adjntanten der Majestät stehen auf wankendem Grund.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_338" next="#ID_339"> Der Sieg des Ministeriums Schwarzenberg scheint ein großer und vollständiger<lb/>
und doch ist derselbe in seinen Resultaten bedenklich. Die östreichische Regierung<lb/>
kämpft im Anstände wie im Inlande ans feindlichem Boden, und wie der Er¬<lb/>
oberer nach jedem Siege sein Heer durch Besatzungen, welche er in dem occu-<lb/>
pirtcn Terrain zurückgelassen, schwächt, bis es endlich der concentrirten Macht des<lb/>
Feindes unterliegen muß, so kostet Schwarzenberg jede Spanne Boden, die er in<lb/>
Deutschland gewinnt, ein Stück von der octroyirten Charte, und wenn einst<lb/>
Preußen wieder die ihm gebotene Stellung in Deutschland einnimmt und die<lb/>
Restauration vou 1815 über deu Haufen wirft, wird der Fürst mit Bewunderung<lb/>
wahrnehmen, daß er nicht nur Deutschland verloren, sondern anch von den 123 Pa¬<lb/>
ragraphen von Olmütz nnr einen kleinen unbedeutenden Nest in seiner Hand behalten<lb/>
hat. Wichtiger als die errungenen Vortheile in Deutschland ist der Sieg über</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] Unterdeß geht Oestreich seinen Weg neben drohenden Abgründen ruhig weiter. Nach außen bemüht, die Union zu vernichten, nach innen in eifriger, nicht immer glücklicher Arbeit sich zu verjüngen. Das gegenwärtige Ministerium durch sein schlechtes Princip in eine gefährliche Bahn hineingetrieben, macht alle die Stadien durch, welche sich ihm seit vorigem Herbst voraussagen ließen: Kampf mit den Generälen, den Prätorianern in den pacificirtcn Provinzen, welche fast den ganzen Kaiserstaat ausmachen; Besiegung der Militärgewalt; unumschränkte Herrschaft seiner Bureaukraten, und endlich eine ministerielle Katastrophe durch die finanzielle Fäulniß im Staatskörper. Die stolzen Pairs von Frankreich wallfahrten nach dem kleinen östreichischen Städtchen Frohsdorf, um dort der geduldeten Majestät von Chambord den legi¬ timen Weihrauch zu streuen, und die Goldgrafen von Albion beeilen sich in einem parlamentarischen Gefecht gegen den eifrigen Palmerston dem armen Oestreich ihre Huldigung darzubringen. Natürlich mußte diese Nehabilitirung Oestreichs im Aus¬ lande anch auf die innern Angelegenheiten des Kaiserstaatö von Einfluß sein, und wir scheu verwundert das Ministerium Schwarzenberg mit eiuer Energie austreten, die ihm vor Kurzem von niemandem zugemuthet worden wäre. Vor einigen Tagen brachte die Neichszeitnng einen Protest der östreichischen Regierung an deu Präsidenten der Vereinigten Staaten, weil er sich erdreistet hatte, darzuthun, daß er die Unabhängigkeit Ungarns im Falle eines Sieges der Insur¬ genten anerkannt hätte; und heute trifft die telegraphische Depesche aus Wien bei uns ein: „General Hayna« ist wegen Nichtbefolgung kaiserlicher Befehle seines Kommandos und seiner Vollmachten enthoben wor¬ den." Ja es mußte so kommen. Das Blatt hat sich gewendet; das unter- thänigst gehorsamste Ministerium geht ans dem Kampfe mit der allmäch¬ tigen Soldateska sehr siegreich hervor, man wird bei Haynan nicht stehen bleiben, sondern Melden und Consorten werden folgen, ja selbst die souveränen Leib- adjntanten der Majestät stehen auf wankendem Grund. Der Sieg des Ministeriums Schwarzenberg scheint ein großer und vollständiger und doch ist derselbe in seinen Resultaten bedenklich. Die östreichische Regierung kämpft im Anstände wie im Inlande ans feindlichem Boden, und wie der Er¬ oberer nach jedem Siege sein Heer durch Besatzungen, welche er in dem occu- pirtcn Terrain zurückgelassen, schwächt, bis es endlich der concentrirten Macht des Feindes unterliegen muß, so kostet Schwarzenberg jede Spanne Boden, die er in Deutschland gewinnt, ein Stück von der octroyirten Charte, und wenn einst Preußen wieder die ihm gebotene Stellung in Deutschland einnimmt und die Restauration vou 1815 über deu Haufen wirft, wird der Fürst mit Bewunderung wahrnehmen, daß er nicht nur Deutschland verloren, sondern anch von den 123 Pa¬ ragraphen von Olmütz nnr einen kleinen unbedeutenden Nest in seiner Hand behalten hat. Wichtiger als die errungenen Vortheile in Deutschland ist der Sieg über

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/94
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/94>, abgerufen am 27.07.2024.