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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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die Zeit großer politischer Aufregungen die Schwachen schwächer, die Starken
größer macht, zeigt sich auch im Leben dieser Staaten; in Portugal, Italien
und der Türkei, wie in dein kleinen Griechenland ein Siechthum, welches nach
menschlichem Urtheil unheilbar scheint. In Frankreich ist die Dotationssrage mit
mürrischer Nachgiebigkeit von Seiten des Präsidenten wie der Nationalversammlung
ausgeglichen worden, die Haltung beider Theile zeigte von geringem Selbstver¬
trauen, aber großem Uebermaß von Schwäche. Unterdeß ist Paris wieder voll
von Fremden, namentlich Engländern, und der Pariser amüsirt sich und macht
Geschäfte wie ein Mensch, der sich gewöhnt hat, auf einem Vulkan zu wohnen.
Daß ein solcher Zustand der totalen Unsicherheit mehr demoralisirt, als irgend
eine große politische Aufregung, haben auch wir in der letzten Zeit erfahren.
In England aber wurde die Freude über deu Sieg des Ministeriums im Unter¬
hause plötzlich unterbrochen durch die eruste Trauer über den Tod Robert Peel'S.
Alle Parteien waren beflissen, dieß. wichtige Ereigniß als ein Nationalunglück dar¬
zustellen; Reden im Ober- und Unterhaus, die Läden der City geschlossen, die
Schiffe der Themse unter Trauerflagge. Was ein großer englischer Staatsmann
zu bedeuten hat, merken anch die Gleichgültigen, sobald er stirbt; es zieht dann
wie ein Trcmertvn durch die Lust über die ganze Erde.

Und Deutschland? Alles Interesse, aller Eifer concentrirt sich in einem
wichtigen Ereigniß: Der Friede zwischen Preußen und Dänemark ist am 2. Juli
unterzeichnet worden. Noch ist der offizielle Text nicht publicirt, wir theilen seinen
Inhalt mit, so weit ihn die deutsche Reform giebt: "Preußen hat im Namen
des Bundes, gestützt auf die allgemeine Vollmacht desselben, einen einfachen Frieden
mit Dänemark unterzeichnet, unter Vorbehalt der Ratification der einzelnen Bundes¬
regierungen und seiner eigenen, innerhalb einer Frist von drei Wochen. Unter
der gegenseitigen Versicherung: Alles zu vermeiden, was den Frieden stören könnte,
treten alle Verträge wieder in Kraft, welche vor dem Kriege bestanden haben,
und die Kontrahenten verwahren sich ausdrücklich alle Rechte, welche ihnen
gegenseitig vor demselben zustanden. Durch eine besondere Declaration zu
Protokoll geschieht Dies für Dentschland noch mit specieller Hinweisung ans den
Bnndesbeschluß vom 17. Sept. 1846. Nach dem Friedensschluß kann und muß
der König vou Dänemark als Herzog von Holstein die Intervention des Bundes
in diesem Herzogthum für den Fall anrufen, daß er selbst die Ausübung seiner
legitimen Autorität in Holstein nicht im Wege der Verständigung wiederherstellen
kann und also mit den Waffen in der Hand in einem Bundeslande auftreten
will. Er theilt dann gleichzeitig seine Plane über die Pacificirung des Landes
mit. Der Bund entscheidet, ob nach dem Bundesrecht, nach Maßgabe des Antrags
und der dänischen Intentionen, er mit seiner vollen Kompetenz selbst einzuschreiten
hat oder die streitige Angelegenheit vorderhand der eigenen Entwickelung überlassen
will. Dieser Entwickelung freien Laus lassen, heißt nichts Anderes, als die Her-


die Zeit großer politischer Aufregungen die Schwachen schwächer, die Starken
größer macht, zeigt sich auch im Leben dieser Staaten; in Portugal, Italien
und der Türkei, wie in dein kleinen Griechenland ein Siechthum, welches nach
menschlichem Urtheil unheilbar scheint. In Frankreich ist die Dotationssrage mit
mürrischer Nachgiebigkeit von Seiten des Präsidenten wie der Nationalversammlung
ausgeglichen worden, die Haltung beider Theile zeigte von geringem Selbstver¬
trauen, aber großem Uebermaß von Schwäche. Unterdeß ist Paris wieder voll
von Fremden, namentlich Engländern, und der Pariser amüsirt sich und macht
Geschäfte wie ein Mensch, der sich gewöhnt hat, auf einem Vulkan zu wohnen.
Daß ein solcher Zustand der totalen Unsicherheit mehr demoralisirt, als irgend
eine große politische Aufregung, haben auch wir in der letzten Zeit erfahren.
In England aber wurde die Freude über deu Sieg des Ministeriums im Unter¬
hause plötzlich unterbrochen durch die eruste Trauer über den Tod Robert Peel'S.
Alle Parteien waren beflissen, dieß. wichtige Ereigniß als ein Nationalunglück dar¬
zustellen; Reden im Ober- und Unterhaus, die Läden der City geschlossen, die
Schiffe der Themse unter Trauerflagge. Was ein großer englischer Staatsmann
zu bedeuten hat, merken anch die Gleichgültigen, sobald er stirbt; es zieht dann
wie ein Trcmertvn durch die Lust über die ganze Erde.

Und Deutschland? Alles Interesse, aller Eifer concentrirt sich in einem
wichtigen Ereigniß: Der Friede zwischen Preußen und Dänemark ist am 2. Juli
unterzeichnet worden. Noch ist der offizielle Text nicht publicirt, wir theilen seinen
Inhalt mit, so weit ihn die deutsche Reform giebt: „Preußen hat im Namen
des Bundes, gestützt auf die allgemeine Vollmacht desselben, einen einfachen Frieden
mit Dänemark unterzeichnet, unter Vorbehalt der Ratification der einzelnen Bundes¬
regierungen und seiner eigenen, innerhalb einer Frist von drei Wochen. Unter
der gegenseitigen Versicherung: Alles zu vermeiden, was den Frieden stören könnte,
treten alle Verträge wieder in Kraft, welche vor dem Kriege bestanden haben,
und die Kontrahenten verwahren sich ausdrücklich alle Rechte, welche ihnen
gegenseitig vor demselben zustanden. Durch eine besondere Declaration zu
Protokoll geschieht Dies für Dentschland noch mit specieller Hinweisung ans den
Bnndesbeschluß vom 17. Sept. 1846. Nach dem Friedensschluß kann und muß
der König vou Dänemark als Herzog von Holstein die Intervention des Bundes
in diesem Herzogthum für den Fall anrufen, daß er selbst die Ausübung seiner
legitimen Autorität in Holstein nicht im Wege der Verständigung wiederherstellen
kann und also mit den Waffen in der Hand in einem Bundeslande auftreten
will. Er theilt dann gleichzeitig seine Plane über die Pacificirung des Landes
mit. Der Bund entscheidet, ob nach dem Bundesrecht, nach Maßgabe des Antrags
und der dänischen Intentionen, er mit seiner vollen Kompetenz selbst einzuschreiten
hat oder die streitige Angelegenheit vorderhand der eigenen Entwickelung überlassen
will. Dieser Entwickelung freien Laus lassen, heißt nichts Anderes, als die Her-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/90>, abgerufen am 27.07.2024.