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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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entrichten konnten. Sobald ein Kind in diese Trommel hineingethan wird, dreht
sie sich in Folge der Belastung mit ihrer Oeffnung nach Innen und setzt zugleich
eine Glocke in dein ExpeditionSzimmer, in welchem sich fortwährend zwei der barm¬
herzigen Schwestern befinden mußten, in Bewegung. Eine derselben hatte nun
das Kind aus der Wiege zu nehmen und in das Bad und zur Taufe zu bringen.
Doch bevor zu diesen beiden Acten geschritten wurde, muß!e abgewartet werden,
ob es dem Wächter möglich war, die Uebcrbriugerin deö Kindes einzusaugen.
Dieser nämlich hatte die Verpflichtung, sobald er gewahrte, daß ein Kind ein¬
gelegt wurde, aus dem Thore zu stürzen, die Trägerin gefangen zu nehmen und
in das Hans zu schleppen. Hier mußte sie unverweilt vor den beiden barmher¬
zigen Schwestern bekennen, ob sie die Mutter des Kindes war. War sie es
muthmaßlich und leugnete sie, so wurde sie untersucht. Ergab sich ihre Verdäch¬
tigten, so wurde sie gefragt, ob sie 45 Gulden bezahlen wolle. War ihr das
unmöglich, so wurde sie -- selbst die kräftigsten Einwendungen waren ungültig
und unwirksam -- in das Haus der Säuglinge gebracht und hatte hier das fürch¬
terliche Schicksal zu erdulden, ans so lange, als ihre Brust Milch gab, vier, fünf
und noch mehr Säuglingen als Amme zu dienen. Da den Kindern nur vier
Wochen lang die Brust vergönnt wurde, so erhielten diese Ammen alle Augen¬
blicke audere Säuglinge und dies mochte das Schrecklichste in ihrem Schicksale
sein; wenigstens äußerte eine gegen mich: "Herr! fortwährend zwei, drei, ja fünf
Kinder an der Brust haben, und noch dazu immer wieder andere; sich fortwährend
ans neue " "Säuglmgsmncken"" einlernen müssen -- o da verflucht man sein Leben!"

Die armen Dirnen, in der Furcht vor einem solchen Schicksal, pflegten die
Früchte ihrer Liebe des Nachts dnrch alte Frauen in die Wiege schaffen zu las¬
sen, waren aber deshalb durchaus nicht gesichert, sobald sie nicht die Stadt und ihr
nächstes Gebiet verlassen hatten. Und auch diesen' alten Frauen drohete eine
andere unheimliche Gefahr. Weigerten sie sich fünfundvierzig Gulden zu erlegen
oder die Mutter deö KiudcL nachzuweisen, so wurden sie selbst in der Anstalt
zurückbehalten und zu den unangenehmsten Dienstverrichtuugcn im Hof nud
in den Krankensälen gezwungen. Meist ließen sich die entsetzten alten Damen durch die
Schilderung des ihnen bevorstehenden Looses bewegen, an der vertrauten Dirne
den Judas zu spielen. ES war dann die Sache eines Klosterknechtes, diese ans
ihrer Wohnung zu holen, wobei es bisweilen ohne- skandalöse Balgereien nicht
abging, wie denn auch oft bei dem Einfangen derjenigen Personen, welche Kin¬
der in die Wiege legten, nichtswürdige Raufereien stattfanden. Ich selbst hahe
einmal mitten in der Nacht eine solche Scene mit angesehen. Auf der einen
Seite kämpften drei Straßenwächter, welche ihre Bilde ay der Ecke des "Kindlein
Jesus" hatten, als Alliirte des Klostcrknechts, auf der andern zwei Freunde des
Mädchens mit großen Fäusten; es floß sogar Blut, denn der eine der Straßen¬
soldaten hieb seine Hellebarde in das Genick eines der Heiden jungeu Männer,


entrichten konnten. Sobald ein Kind in diese Trommel hineingethan wird, dreht
sie sich in Folge der Belastung mit ihrer Oeffnung nach Innen und setzt zugleich
eine Glocke in dein ExpeditionSzimmer, in welchem sich fortwährend zwei der barm¬
herzigen Schwestern befinden mußten, in Bewegung. Eine derselben hatte nun
das Kind aus der Wiege zu nehmen und in das Bad und zur Taufe zu bringen.
Doch bevor zu diesen beiden Acten geschritten wurde, muß!e abgewartet werden,
ob es dem Wächter möglich war, die Uebcrbriugerin deö Kindes einzusaugen.
Dieser nämlich hatte die Verpflichtung, sobald er gewahrte, daß ein Kind ein¬
gelegt wurde, aus dem Thore zu stürzen, die Trägerin gefangen zu nehmen und
in das Hans zu schleppen. Hier mußte sie unverweilt vor den beiden barmher¬
zigen Schwestern bekennen, ob sie die Mutter des Kindes war. War sie es
muthmaßlich und leugnete sie, so wurde sie untersucht. Ergab sich ihre Verdäch¬
tigten, so wurde sie gefragt, ob sie 45 Gulden bezahlen wolle. War ihr das
unmöglich, so wurde sie — selbst die kräftigsten Einwendungen waren ungültig
und unwirksam — in das Haus der Säuglinge gebracht und hatte hier das fürch¬
terliche Schicksal zu erdulden, ans so lange, als ihre Brust Milch gab, vier, fünf
und noch mehr Säuglingen als Amme zu dienen. Da den Kindern nur vier
Wochen lang die Brust vergönnt wurde, so erhielten diese Ammen alle Augen¬
blicke audere Säuglinge und dies mochte das Schrecklichste in ihrem Schicksale
sein; wenigstens äußerte eine gegen mich: „Herr! fortwährend zwei, drei, ja fünf
Kinder an der Brust haben, und noch dazu immer wieder andere; sich fortwährend
ans neue „ „Säuglmgsmncken"" einlernen müssen — o da verflucht man sein Leben!"

Die armen Dirnen, in der Furcht vor einem solchen Schicksal, pflegten die
Früchte ihrer Liebe des Nachts dnrch alte Frauen in die Wiege schaffen zu las¬
sen, waren aber deshalb durchaus nicht gesichert, sobald sie nicht die Stadt und ihr
nächstes Gebiet verlassen hatten. Und auch diesen' alten Frauen drohete eine
andere unheimliche Gefahr. Weigerten sie sich fünfundvierzig Gulden zu erlegen
oder die Mutter deö KiudcL nachzuweisen, so wurden sie selbst in der Anstalt
zurückbehalten und zu den unangenehmsten Dienstverrichtuugcn im Hof nud
in den Krankensälen gezwungen. Meist ließen sich die entsetzten alten Damen durch die
Schilderung des ihnen bevorstehenden Looses bewegen, an der vertrauten Dirne
den Judas zu spielen. ES war dann die Sache eines Klosterknechtes, diese ans
ihrer Wohnung zu holen, wobei es bisweilen ohne- skandalöse Balgereien nicht
abging, wie denn auch oft bei dem Einfangen derjenigen Personen, welche Kin¬
der in die Wiege legten, nichtswürdige Raufereien stattfanden. Ich selbst hahe
einmal mitten in der Nacht eine solche Scene mit angesehen. Auf der einen
Seite kämpften drei Straßenwächter, welche ihre Bilde ay der Ecke des „Kindlein
Jesus" hatten, als Alliirte des Klostcrknechts, auf der andern zwei Freunde des
Mädchens mit großen Fäusten; es floß sogar Blut, denn der eine der Straßen¬
soldaten hieb seine Hellebarde in das Genick eines der Heiden jungeu Männer,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/69>, abgerufen am 01.09.2024.