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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Geschenk von 12,000 Gulden, von einem Herrn ans der Wojewodschaft Augustow
ein Knabe mit einem Geschenk von 6000 Thalern preußischen GeprägS ans der
Zeit Friedrichs des Großen übergeben worden. Das Register so freigebiger Väter
unglücklicher Kinder, welches die gewandte Lippe der gefälligen Schwester der
Barmherzigkeit mir aufschlug, war ziemlich lang. Aber sie bezeichnete als Liefe¬
ranten des Findclhauscs nur Herren, sie schonte ans Partcisinn ihr Geschlecht;
denn der Apotheker der Anstalt wußte eine sehr große Zahl von vornehmen Damen
zu nennen, welche für die Zwecke der Anstalt gesorgt hatten. Unter ihnen nannte
die ein,-oni"ZM sLÄnäa!en8e des Hauses eine Dame, welche einen durch ganz Polen,
ja durch Europa berühmten und am russischen Hofe beliebten Namen trug.

Ueberhaupt schien mir, daß die Fiudelanstalt verhältnißmäßig zumeist von
den vornehmen Ständen benutzt wurde, und das lag vielleicht weniger in der
stärkeren Sitteulostgkcit, als in der größeren Bereitwilligkeit, mit welcher die
Anstalt sich ihnen aufthat. Denn natürlich mußte es dieser lieber sein, eine Dame
brachte Zuwachs, welche im Stande war, aus ihrem Strickbeutel einige 1000 Gul¬
den zu schütteln, als daß ein armes Wesen kam, welches nicht mehr als das
gesetzliche Minimum von 45 Gulden besaß, oder sich wohl gar ohne irgend , eine
Zahlung davon zu stehlen versuchte.

Für die Armen war allerdings die Anstalt nicht völlig verschlossen. Allein der
Mittelstand, wenn ich den gewerbtreibenden Bürgerstand so nennen darf, hatte
auch hier uoch immer seine gute Sitte bewahrt und war selten in der Verlegenheit,
sich nach dem Fiudelhause umsehen zu müssen; die Personen der ärmsten Classen
dagegen, welche keine Zahlung machen konnten, waren einer nicht geringen Gefahr
ausgesetzt, die zu umgehen sie oft lieber ihre Kiuder behielten, oder aus eine
andere Weise los zu werden suchten.

Es bestand nämlich folgende seltsame Einrichtung. Ein riesenhafter .Kerl befand
sich hinter dem verschlossenen, von Innen leicht zu öffnenden Thore, das Ohr
an dem Pfosten, das Auge an einem kleinen von Außen unsichtbaren Guckloche,
fortwährend auf der Wacht. Dicht neben dem Thore war in einer Oeffnung der
Mauer die berühmte sogenannte Wiege. Wie das Anfuahmegefäß zu diesem Na¬
men gekommen, weiß ich nicht, er ist ein trauriges Witzwort; deun es gleicht
durchaus uicht einer Wiege, sondern einer riesenhaften, aufrecht stehenden Kaffee-
trommel. Es ist ein auf einem Zapfen stehender Cylinder, von roth gestrichenen
Bretern, der früher mit einer Abbildung Christi in der Scene, wo er die Kind¬
lein zu sich kommen läßt, bedeckt gewesen sein soll. Auf der einen Seite enthält
dieser hölzerne Cylinder eine fast ebenso große Oeffnung als die Oeffnung in
der Mauer, und ist er leer, so steht jene Oeffnung in dieser so, daß von der
Straße aus si den Cylinder hineingereicht werden kann. Diese Trommel war
dazu bestimmt, im Namen der Anstalt die Kinder derjenigen Personen in Empfang
zu nehmen, welche nicht die gesetzliche Zahlung von 45 Gulden an das Findelhaus


Geschenk von 12,000 Gulden, von einem Herrn ans der Wojewodschaft Augustow
ein Knabe mit einem Geschenk von 6000 Thalern preußischen GeprägS ans der
Zeit Friedrichs des Großen übergeben worden. Das Register so freigebiger Väter
unglücklicher Kinder, welches die gewandte Lippe der gefälligen Schwester der
Barmherzigkeit mir aufschlug, war ziemlich lang. Aber sie bezeichnete als Liefe¬
ranten des Findclhauscs nur Herren, sie schonte ans Partcisinn ihr Geschlecht;
denn der Apotheker der Anstalt wußte eine sehr große Zahl von vornehmen Damen
zu nennen, welche für die Zwecke der Anstalt gesorgt hatten. Unter ihnen nannte
die ein,-oni«ZM sLÄnäa!en8e des Hauses eine Dame, welche einen durch ganz Polen,
ja durch Europa berühmten und am russischen Hofe beliebten Namen trug.

Ueberhaupt schien mir, daß die Fiudelanstalt verhältnißmäßig zumeist von
den vornehmen Ständen benutzt wurde, und das lag vielleicht weniger in der
stärkeren Sitteulostgkcit, als in der größeren Bereitwilligkeit, mit welcher die
Anstalt sich ihnen aufthat. Denn natürlich mußte es dieser lieber sein, eine Dame
brachte Zuwachs, welche im Stande war, aus ihrem Strickbeutel einige 1000 Gul¬
den zu schütteln, als daß ein armes Wesen kam, welches nicht mehr als das
gesetzliche Minimum von 45 Gulden besaß, oder sich wohl gar ohne irgend , eine
Zahlung davon zu stehlen versuchte.

Für die Armen war allerdings die Anstalt nicht völlig verschlossen. Allein der
Mittelstand, wenn ich den gewerbtreibenden Bürgerstand so nennen darf, hatte
auch hier uoch immer seine gute Sitte bewahrt und war selten in der Verlegenheit,
sich nach dem Fiudelhause umsehen zu müssen; die Personen der ärmsten Classen
dagegen, welche keine Zahlung machen konnten, waren einer nicht geringen Gefahr
ausgesetzt, die zu umgehen sie oft lieber ihre Kiuder behielten, oder aus eine
andere Weise los zu werden suchten.

Es bestand nämlich folgende seltsame Einrichtung. Ein riesenhafter .Kerl befand
sich hinter dem verschlossenen, von Innen leicht zu öffnenden Thore, das Ohr
an dem Pfosten, das Auge an einem kleinen von Außen unsichtbaren Guckloche,
fortwährend auf der Wacht. Dicht neben dem Thore war in einer Oeffnung der
Mauer die berühmte sogenannte Wiege. Wie das Anfuahmegefäß zu diesem Na¬
men gekommen, weiß ich nicht, er ist ein trauriges Witzwort; deun es gleicht
durchaus uicht einer Wiege, sondern einer riesenhaften, aufrecht stehenden Kaffee-
trommel. Es ist ein auf einem Zapfen stehender Cylinder, von roth gestrichenen
Bretern, der früher mit einer Abbildung Christi in der Scene, wo er die Kind¬
lein zu sich kommen läßt, bedeckt gewesen sein soll. Auf der einen Seite enthält
dieser hölzerne Cylinder eine fast ebenso große Oeffnung als die Oeffnung in
der Mauer, und ist er leer, so steht jene Oeffnung in dieser so, daß von der
Straße aus si den Cylinder hineingereicht werden kann. Diese Trommel war
dazu bestimmt, im Namen der Anstalt die Kinder derjenigen Personen in Empfang
zu nehmen, welche nicht die gesetzliche Zahlung von 45 Gulden an das Findelhaus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/68>, abgerufen am 27.07.2024.