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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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So weit war man in den Herzogthümern und im Königreich vor der fran¬
zösischen Revolution!

Und nun kamen die dröhnenden Schläge der Pariser Revolution, die mäch¬
tigen Erschütterungen des halben Welttheils; immer näher heran schwoll die un¬
geheure Welle allgemeinen Umsturzes. Metternich ward gestürzt, in Berlin wurde
das System gewechselt; Deutschland schien sich einigen, sich einheitlich verjüngen
zu wollen.

Nach Kopenhagen kam die erste Nachricht von den Pariser Ereignissen am
2. März; die beiden Parteien der Opposition waren zu gut organisirt, um nicht
die Bewegung der Masse in der Hand zu haben; ihre Interessen hatten zu viele
Momente der Gemeinsamkeit und zu nahe Aussicht, um sich nicht gegenseitig zu
unterstützen. Ans dem Wege des Radicalismus hoffte die Eidcrpartei Schleswig
sicher zu fassen; durch Vernichtung des "conservativen Schleswig-HvlsteiuiSmus"
hofften die Radicalen eine Verfassung zu gewinnen, wie sie ihnen Bedürfnis; schien.

Am 7. März enthielt Fädrelandct eine Einladung von Holde, "im Austrage"
unterschriebe", zu einer Versammlung im Casino am 11. d. M.: "von den Ge¬
fahren, hieß es darin, welche die Selbstständigkeit des dänischen Volks bedrohen,
ist der Einfluß der Schleswig-holsteinischen Partei die nächste und größte; es ist
nothwcndig, durch gesetzliche und geziemende Mittel die constitutionelle Vereinigung
Schleswigs mit Dänemark zu erwirken." Die Versammlung, etwa 2500 Men¬
schen, fand statt: "Man habe jetzt, sagte Professor Clausen, einen volksthümlichen
(folkelig) und wirklich dänisch gesinnten König, an den man sich sammeln könne;"
und ein unermeßlicher Beifall folgte den Worten. "Es könne, äußerte Capitän
Tscherning, gar nicht davon die Rede sein, was Schleswig wolle oder nicht
wolle, Schleswig sei kein eigener souveräner Staat, sondern wie Lollaud und
Fühnen ein Theil der dänischen Monarchie; wolle sich Schleswig losreißen, um einen
eigenen Staat zu bilden, oder sich eigenmächtig einem fremden Staat anzuschließen, so
wäre ein solcher Schritt geradezu Aufruhr, und solche Aufrührer zum Gehorsam
zu bringen, nötigenfalls mit Gewalt der Waffen, sei in diesem Fall Pflicht der
Regienmg; ob man ihm Recht gebe?" Mit lautem Zuruf antwortete man Ja!

Ein "Nein" ward gehört von dem Schullehrer Nasmus Sörensen; dann
wurde uoch vou mehrern Seiten gegen die Eroberung Schleswigs Widerspruch
erhoben, aber derselbe wurde durch deu brausenden Lärm übertäubt. Schließlich
legte der Kandidat Goldschmidt, Redacteur des "Nord und Süd" gegen die Ein¬
stimmigkeit des gefaßten Beschlusses Widerspruch ein. "Mitten im tobenden
Lärm hatte er die Geistesgegenwart, der Masse die zwei wichtigen Wahrheiten
zuzurufen, welche man durch Toben bei Seite werfen wollte: erstens daß es
eine Revolution, eine auf die Macht der Massen gestützte Staatsvcränderuug sei,
welche mau vollziehen wolle, und zweitens, daß diese Revolution soweit sie
Schleswig angehe, und soweit man das Schicksal des schleswigschen Volks ohne


So weit war man in den Herzogthümern und im Königreich vor der fran¬
zösischen Revolution!

Und nun kamen die dröhnenden Schläge der Pariser Revolution, die mäch¬
tigen Erschütterungen des halben Welttheils; immer näher heran schwoll die un¬
geheure Welle allgemeinen Umsturzes. Metternich ward gestürzt, in Berlin wurde
das System gewechselt; Deutschland schien sich einigen, sich einheitlich verjüngen
zu wollen.

Nach Kopenhagen kam die erste Nachricht von den Pariser Ereignissen am
2. März; die beiden Parteien der Opposition waren zu gut organisirt, um nicht
die Bewegung der Masse in der Hand zu haben; ihre Interessen hatten zu viele
Momente der Gemeinsamkeit und zu nahe Aussicht, um sich nicht gegenseitig zu
unterstützen. Ans dem Wege des Radicalismus hoffte die Eidcrpartei Schleswig
sicher zu fassen; durch Vernichtung des „conservativen Schleswig-HvlsteiuiSmus"
hofften die Radicalen eine Verfassung zu gewinnen, wie sie ihnen Bedürfnis; schien.

Am 7. März enthielt Fädrelandct eine Einladung von Holde, „im Austrage"
unterschriebe», zu einer Versammlung im Casino am 11. d. M.: „von den Ge¬
fahren, hieß es darin, welche die Selbstständigkeit des dänischen Volks bedrohen,
ist der Einfluß der Schleswig-holsteinischen Partei die nächste und größte; es ist
nothwcndig, durch gesetzliche und geziemende Mittel die constitutionelle Vereinigung
Schleswigs mit Dänemark zu erwirken." Die Versammlung, etwa 2500 Men¬
schen, fand statt: „Man habe jetzt, sagte Professor Clausen, einen volksthümlichen
(folkelig) und wirklich dänisch gesinnten König, an den man sich sammeln könne;"
und ein unermeßlicher Beifall folgte den Worten. „Es könne, äußerte Capitän
Tscherning, gar nicht davon die Rede sein, was Schleswig wolle oder nicht
wolle, Schleswig sei kein eigener souveräner Staat, sondern wie Lollaud und
Fühnen ein Theil der dänischen Monarchie; wolle sich Schleswig losreißen, um einen
eigenen Staat zu bilden, oder sich eigenmächtig einem fremden Staat anzuschließen, so
wäre ein solcher Schritt geradezu Aufruhr, und solche Aufrührer zum Gehorsam
zu bringen, nötigenfalls mit Gewalt der Waffen, sei in diesem Fall Pflicht der
Regienmg; ob man ihm Recht gebe?" Mit lautem Zuruf antwortete man Ja!

Ein „Nein" ward gehört von dem Schullehrer Nasmus Sörensen; dann
wurde uoch vou mehrern Seiten gegen die Eroberung Schleswigs Widerspruch
erhoben, aber derselbe wurde durch deu brausenden Lärm übertäubt. Schließlich
legte der Kandidat Goldschmidt, Redacteur des „Nord und Süd" gegen die Ein¬
stimmigkeit des gefaßten Beschlusses Widerspruch ein. „Mitten im tobenden
Lärm hatte er die Geistesgegenwart, der Masse die zwei wichtigen Wahrheiten
zuzurufen, welche man durch Toben bei Seite werfen wollte: erstens daß es
eine Revolution, eine auf die Macht der Massen gestützte Staatsvcränderuug sei,
welche mau vollziehen wolle, und zweitens, daß diese Revolution soweit sie
Schleswig angehe, und soweit man das Schicksal des schleswigschen Volks ohne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/61>, abgerufen am 01.09.2024.