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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Materialist von der Welt. Er hat sehr gründlich Naturwissenschaft studirt, benutzt
seine Kenntnisse aber nur zur Befriedigung seiner Habsucht. Kleinliche Zwecke
hintansetzend, hat er sich gleich ein recht weites Ziel gesetzt: er will die so und
so viel Millionen des Grafen Hermann erben, verkauft ihm zu diesem Zweck seine
Braut, die er früher selber gekauft hat, um sie uach dem Tode des Grafen --
den er nicht positiv, sondern durch falsche ärztliche Behandlung beschleunigt --
selber zu Heirathen, und mit ihr die besagten Millionen. Sein Zweck wird durch
eine unerwartete Wendung vereitelt, und er beschließt daher, sich zu tobten, "gu-ma
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exxsrisnLS: -- est Jamas mourt." Wovon der Grund nicht recht abzusehen,
wenn es uicht der ist, eine Stcrbesceue im Franz-Moor scheu Geschumck aufzu¬
führen, mit den Zuthaten, welche die moderne Bildung unerläßlich macht. -- Fritz
vergiftet sich nämlich, und benutzt seine letzten Augenblicke, über die Natur des
Giftes wie über die dadurch hervorgerufenen Empfindungen sehr kaltblütig phy¬
sikalische und psychologische Beobachtungen anzustellen. Zuletzt findet er, daß sein
Verstand mehr und mehr schwindet, bis er im letzten Augenblick, wo man schließen
muß, derselbe habe ganz aufgehört, ausruft: Non visu, SeiAnsur! pu6onus/-moi.
Dieser Ausruf eines halb erloschenen Geistes kann eigentlich nicht viel beweisen,
aber dem katholischen Dichter kommt es auch mehr ans die moralische Wirkung
desselben an. Dumas erklärt nämlich in dem Nachwort: -- nous avons laisse
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visu, sous Is nom as eontrition xarkaite, o, promis sg miserieorcle in-
linie. Also ganz noch wie bei Calderon, trotz Pascal und Voltaire! Wie bequem
doch diese gute Kirche ist!

Dem Bösewicht ist ein ebenso abstracter Tugendspiegel entgegengestellt.
Graf Hermann ist nicht nnr so gutmüthig, allen Nothleidenden ans die fabelhafte
Weise des Grafen Mvntechristo zu helfen, sondern er vergibt auch allen Sündern,
selbst dem Bösewicht, der an ihm seit drei Jahren herum mordet, und schließt
damit, zum Besten seiner Mitmenschen, ans Tugend eine Todsünde zu begehen:
er vergiftet sich selbst, um seiner jungen Gemahlin Freiheit zu lassen, seinen Neffen
zu Heirathen. -- Wieder katholisch! Bei uns kann Man sich in solchem Fall scheiden
lassen.

Warum ich dies närrische Machwerk vorführe? -- Weil uns in diesem Zerr¬
bild die Unnatur des Originals so recht aufgeht. Diese Antithese des Bösen und
Guten, wie sie Schiller versucht hat, muß immer lächerlich ausfallen. "Die Räu¬
ber" siud ein sehr schlechtes Stück, wir werden es nnr uicht gewahr, weil sich die
Träume und Schwärmereien unserer frühesten Jugend darau knüpfen, und weil
wir nicht mehr unterscheiden können, was wir hineiuempsunden und was wir


Materialist von der Welt. Er hat sehr gründlich Naturwissenschaft studirt, benutzt
seine Kenntnisse aber nur zur Befriedigung seiner Habsucht. Kleinliche Zwecke
hintansetzend, hat er sich gleich ein recht weites Ziel gesetzt: er will die so und
so viel Millionen des Grafen Hermann erben, verkauft ihm zu diesem Zweck seine
Braut, die er früher selber gekauft hat, um sie uach dem Tode des Grafen —
den er nicht positiv, sondern durch falsche ärztliche Behandlung beschleunigt —
selber zu Heirathen, und mit ihr die besagten Millionen. Sein Zweck wird durch
eine unerwartete Wendung vereitelt, und er beschließt daher, sich zu tobten, „gu-ma
An Komme oomme moi a VN 8'svanonir uns ssvsranee nounis trois ans, et
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wenn es uicht der ist, eine Stcrbesceue im Franz-Moor scheu Geschumck aufzu¬
führen, mit den Zuthaten, welche die moderne Bildung unerläßlich macht. — Fritz
vergiftet sich nämlich, und benutzt seine letzten Augenblicke, über die Natur des
Giftes wie über die dadurch hervorgerufenen Empfindungen sehr kaltblütig phy¬
sikalische und psychologische Beobachtungen anzustellen. Zuletzt findet er, daß sein
Verstand mehr und mehr schwindet, bis er im letzten Augenblick, wo man schließen
muß, derselbe habe ganz aufgehört, ausruft: Non visu, SeiAnsur! pu6onus/-moi.
Dieser Ausruf eines halb erloschenen Geistes kann eigentlich nicht viel beweisen,
aber dem katholischen Dichter kommt es auch mehr ans die moralische Wirkung
desselben an. Dumas erklärt nämlich in dem Nachwort: — nous avons laisse
8'sedappsr als Ig, poitrins Imlstants als I<rien es üernivr ort als tsi-rsur amiuel
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linie. Also ganz noch wie bei Calderon, trotz Pascal und Voltaire! Wie bequem
doch diese gute Kirche ist!

Dem Bösewicht ist ein ebenso abstracter Tugendspiegel entgegengestellt.
Graf Hermann ist nicht nnr so gutmüthig, allen Nothleidenden ans die fabelhafte
Weise des Grafen Mvntechristo zu helfen, sondern er vergibt auch allen Sündern,
selbst dem Bösewicht, der an ihm seit drei Jahren herum mordet, und schließt
damit, zum Besten seiner Mitmenschen, ans Tugend eine Todsünde zu begehen:
er vergiftet sich selbst, um seiner jungen Gemahlin Freiheit zu lassen, seinen Neffen
zu Heirathen. — Wieder katholisch! Bei uns kann Man sich in solchem Fall scheiden
lassen.

Warum ich dies närrische Machwerk vorführe? — Weil uns in diesem Zerr¬
bild die Unnatur des Originals so recht aufgeht. Diese Antithese des Bösen und
Guten, wie sie Schiller versucht hat, muß immer lächerlich ausfallen. „Die Räu¬
ber" siud ein sehr schlechtes Stück, wir werden es nnr uicht gewahr, weil sich die
Träume und Schwärmereien unserer frühesten Jugend darau knüpfen, und weil
wir nicht mehr unterscheiden können, was wir hineiuempsunden und was wir


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/516>, abgerufen am 27.07.2024.