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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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einzelnen Scenen (z. B. der Scene in der Loge, als mitten in der Unterredung
der beiden Liebenden der plötzliche Tod des Königs bekannt wird, wie der am
Brunnen, wo jener Popanz, der sich bisher für Adriennens Bruder ausgegeben
hat, sie mit der Erklärung überrascht, daß sie nur sein Werkzeug sei, und daß er
auch ein wildes sinnliches Gelüst auf sie geworfen habe) hat er wenigstens den
theatralischen Effekt glücklich gefunden, und vol diesem, den man mit Unrecht ge¬
ringschätzt, zum dramatischen zu steigen, ist nur noch eine freiere Bildung von-
nöthen.

Außerdem hat das Stück einen großen Vorzug vor den meisten unserer Büh-
nenmachwerkc: es enthält eine zusammenhängende, vollkommen verständliche Hand¬
lung, ein zweckmäßiges Ineinandergreifen der verschiedenen Scenen, und man darf
nicht erst Logogryphe auflösen, um deu moralischen Inhalt des Ganzen zu über¬
sehen. --

Dumas' Loute llermcm nud Schillers Räuber. -- ovale Hsrmari
heißt ein fünfactiges Stück, welches im December vorigen Jahres in Paris
aufgeführt wurde -- das -50ste seit deu zwanzig Jahren, wo Alexander Dumas zu¬
erst die Bühne betrat: eine anerkennenswerthe Arbeitskraft, wenn man dabei in
Anschlag bringt, daß daneben noch alljährlich ein oder zwei zehnbändige Fenilleton-
Nomane erschienen, und daß unter jenen mit wunderbarer Eilfertigkeit hingewor¬
fenen Plöner einige recht gelungen zu nennen sind. Wo Dumas als Vertreter
des national-französischen Geistes austritt, wie er ihn in alten Chroniken studirt
und durch die eigenen Schicksale und Empfindungen ergänzt hat, ist er immer --
ich will nicht sagen musterhaft, aber amüsant. Aber er hat sich von Zeit zu Zeit
bemüßigt gefunden, den deutschen Geist, wie er sich durch die Romantik allmälig
in Frankreich einbürgerte, wiederzugeben; er phantasirt mit Hoffmann von einem
transcendentalen Don Juan, schreibt philosophisch-kritische Vorreden, in denen
er sich über die Idee seiner poetischen Schöpfung ausläßt, und wirft tiefsinnige
Blicke auf's Menschenleben und dessen Bedeutung. Dieses närrische Gebährden
eines Franzosen, der im Mysticismus Geschäfte machen will, soll unsere Aufmerk¬
samkeit hier in Anspruch nehmen.

"Graf Hermann" ist hervorgerufen durch Schiller's Räuber; zum Dank läßt
ihn der Dichter in Deutschland spielen, unter Heidelberger Studenten, in den
Bädern von Baden-Baden und ans fränkischen Schlössern. Der -eine Hauptheld,
Doctor Fritz, hat sich durch die Lectüre der Rolle des Franz Moor gebildet. Er
erklärt Schiller für einen großen Philosophen, ohne zu überlegen, daß ,,die Räuber"
keineswegs eine Billigung jenes Bösewichts, sondern eine gründliche Widerlegung
seiner abscheulichen Grundsätze, wenn anch nnr dnrch ein arxumsnwiri an liomineni
enthalten. Der französische Dichter hat sich also die überflüssige Mühe gegeben,
ihn zum zweiten Male zu widerlegen. -- Fritz glaubt an keinen Gott, und ist
folglich, wie es sich die Franzosen nicht anders vorstellen können, der krasseste


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einzelnen Scenen (z. B. der Scene in der Loge, als mitten in der Unterredung
der beiden Liebenden der plötzliche Tod des Königs bekannt wird, wie der am
Brunnen, wo jener Popanz, der sich bisher für Adriennens Bruder ausgegeben
hat, sie mit der Erklärung überrascht, daß sie nur sein Werkzeug sei, und daß er
auch ein wildes sinnliches Gelüst auf sie geworfen habe) hat er wenigstens den
theatralischen Effekt glücklich gefunden, und vol diesem, den man mit Unrecht ge¬
ringschätzt, zum dramatischen zu steigen, ist nur noch eine freiere Bildung von-
nöthen.

Außerdem hat das Stück einen großen Vorzug vor den meisten unserer Büh-
nenmachwerkc: es enthält eine zusammenhängende, vollkommen verständliche Hand¬
lung, ein zweckmäßiges Ineinandergreifen der verschiedenen Scenen, und man darf
nicht erst Logogryphe auflösen, um deu moralischen Inhalt des Ganzen zu über¬
sehen. —

Dumas' Loute llermcm nud Schillers Räuber. — ovale Hsrmari
heißt ein fünfactiges Stück, welches im December vorigen Jahres in Paris
aufgeführt wurde — das -50ste seit deu zwanzig Jahren, wo Alexander Dumas zu¬
erst die Bühne betrat: eine anerkennenswerthe Arbeitskraft, wenn man dabei in
Anschlag bringt, daß daneben noch alljährlich ein oder zwei zehnbändige Fenilleton-
Nomane erschienen, und daß unter jenen mit wunderbarer Eilfertigkeit hingewor¬
fenen Plöner einige recht gelungen zu nennen sind. Wo Dumas als Vertreter
des national-französischen Geistes austritt, wie er ihn in alten Chroniken studirt
und durch die eigenen Schicksale und Empfindungen ergänzt hat, ist er immer —
ich will nicht sagen musterhaft, aber amüsant. Aber er hat sich von Zeit zu Zeit
bemüßigt gefunden, den deutschen Geist, wie er sich durch die Romantik allmälig
in Frankreich einbürgerte, wiederzugeben; er phantasirt mit Hoffmann von einem
transcendentalen Don Juan, schreibt philosophisch-kritische Vorreden, in denen
er sich über die Idee seiner poetischen Schöpfung ausläßt, und wirft tiefsinnige
Blicke auf's Menschenleben und dessen Bedeutung. Dieses närrische Gebährden
eines Franzosen, der im Mysticismus Geschäfte machen will, soll unsere Aufmerk¬
samkeit hier in Anspruch nehmen.

„Graf Hermann" ist hervorgerufen durch Schiller's Räuber; zum Dank läßt
ihn der Dichter in Deutschland spielen, unter Heidelberger Studenten, in den
Bädern von Baden-Baden und ans fränkischen Schlössern. Der -eine Hauptheld,
Doctor Fritz, hat sich durch die Lectüre der Rolle des Franz Moor gebildet. Er
erklärt Schiller für einen großen Philosophen, ohne zu überlegen, daß ,,die Räuber"
keineswegs eine Billigung jenes Bösewichts, sondern eine gründliche Widerlegung
seiner abscheulichen Grundsätze, wenn anch nnr dnrch ein arxumsnwiri an liomineni
enthalten. Der französische Dichter hat sich also die überflüssige Mühe gegeben,
ihn zum zweiten Male zu widerlegen. — Fritz glaubt an keinen Gott, und ist
folglich, wie es sich die Franzosen nicht anders vorstellen können, der krasseste


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/515>, abgerufen am 01.09.2024.