Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Dialektstücke, Vertrautheit mit den localen Verhältnissen, den Eigenthümlichkeiten
im Familien- und bürgerlichen Leben, auch in der Charakterzeichnung und den
Situationen manches Unregelmäßige verursacht, auf der einen Seite in den
Situationen zu große Breite, auf der andern Seite in den Charakteren porträt¬
ähnliche Umrisse und viele Lücken, welche die Gewandtheit des Schauspielers aus¬
zufüllen hat. Deßhalb also gibt die Lektüre dem Fremden eine sehr unvollständige
Vorstellung von den Wirkungen solcher Stücke, und auch der sehr achtungswerthe
Humor in den Stücken von Malß, wird den Lesenden oft nicht zum Lachen
bringen. Er muß sich denselben erst in die deutsche Schriftsprache oder das Ge-
bahren seines eigenen Dialekts übertragen. Was ihn etwa erwärmt, ist doch
nnr reflectirtes Licht. Und die Position eines deutschen Localstückes in unserer
Literatur ist deßhalb nicht weniger kritisch, als die Ueberhebung eines Gedichts
aus einer fremden Sprache.

Trojzdem werden anch die Norddeutschen einzelne Stücke des Frankfurter
Dichters aus der Lektüre liebgewinnen, und da Malß der bedeutendste unserer
dramatischen Localdichtcr ist (zu denen ich hier Raimund nicht rechne) und sich
ans seinen Lustspielen manches Merkwürdige und Lehrreiche erkennen läßt, so
mögen hier einige Bemerkungen über sein Talent und sein Genre Raum finden.
Viererlei ist zunächst an ihm interessant. Er arbeitet sorgfältig, und es ist viel
kleiner, sauberer Zierrath an seinen Werken; seine Kenntniß nicht nnr des Frank¬
furter, sondern mehrerer oberdeutscher Dialekte ist wunderbar genau, und ihre
Handhabung im Dialog vortrefflich; ec ist ein gebildeter Mensch, dessen Lustspicl-
weisheit nichts weniger als weichlich erscheint; anch er verfällt allmälig den Dämonen
feines beschränkten Genres, aber nicht in der gewöhnlichen Weise, daß sich sein
Charakterisiren in abgeschmackte Fratzen und widerliche Sentimentalität auflöst,
sondern er endet respektabler, als ein hypochondrischer Humorist, in dessen Anlagen
etwas Herdes und Strenges gewesen sein muß, in der Art, daß der Idealismus
aus seinen Figuren und der Handlung zu sehr schwindet, und die gemeine Wirk¬
lichkeit des kleinen Lebens unschön abconterfeit wird. Dieses allmälige Dahin¬
sterben eines zwar beschränkten, aber gefunden Talentes ist charakteristisch für die
gegenwärtige Entwickelungsstufe unseres Volkes und seiner Lnstspielknnst.

Das erste und bedeutendste seiner Stücke ist der alte Bürgercapitän.
Als er unternahm, dies Charakterbild zu schreiben, war sein Bestreben dasselbe,
welches fast überall der Ausgangspunkt für die neuere Lvcalkomödie gewesen ist. Er
wollte Zustände der Wirklichkeit schildern, das beschränkte, behagliche, komische
Familienleben der kleinen Welt, welche ihn umgab, deren wunderliche Gestalten
ihn lebhaft anregten. Es waren nur Zustände, die er darstellte, Situationen und
drollige Charaktere auf Frankfurter Grund; die Handlung wurde deßhalb Neben¬
sache, sie lief so nebenbei, und hatte weder Einheit noch innere Nothwendigkeit. Der
alte ehrliche Gastwirth Kimmelmeier mit seinem Bürgerwehr-Selbstgefühl, seiner


Dialektstücke, Vertrautheit mit den localen Verhältnissen, den Eigenthümlichkeiten
im Familien- und bürgerlichen Leben, auch in der Charakterzeichnung und den
Situationen manches Unregelmäßige verursacht, auf der einen Seite in den
Situationen zu große Breite, auf der andern Seite in den Charakteren porträt¬
ähnliche Umrisse und viele Lücken, welche die Gewandtheit des Schauspielers aus¬
zufüllen hat. Deßhalb also gibt die Lektüre dem Fremden eine sehr unvollständige
Vorstellung von den Wirkungen solcher Stücke, und auch der sehr achtungswerthe
Humor in den Stücken von Malß, wird den Lesenden oft nicht zum Lachen
bringen. Er muß sich denselben erst in die deutsche Schriftsprache oder das Ge-
bahren seines eigenen Dialekts übertragen. Was ihn etwa erwärmt, ist doch
nnr reflectirtes Licht. Und die Position eines deutschen Localstückes in unserer
Literatur ist deßhalb nicht weniger kritisch, als die Ueberhebung eines Gedichts
aus einer fremden Sprache.

Trojzdem werden anch die Norddeutschen einzelne Stücke des Frankfurter
Dichters aus der Lektüre liebgewinnen, und da Malß der bedeutendste unserer
dramatischen Localdichtcr ist (zu denen ich hier Raimund nicht rechne) und sich
ans seinen Lustspielen manches Merkwürdige und Lehrreiche erkennen läßt, so
mögen hier einige Bemerkungen über sein Talent und sein Genre Raum finden.
Viererlei ist zunächst an ihm interessant. Er arbeitet sorgfältig, und es ist viel
kleiner, sauberer Zierrath an seinen Werken; seine Kenntniß nicht nnr des Frank¬
furter, sondern mehrerer oberdeutscher Dialekte ist wunderbar genau, und ihre
Handhabung im Dialog vortrefflich; ec ist ein gebildeter Mensch, dessen Lustspicl-
weisheit nichts weniger als weichlich erscheint; anch er verfällt allmälig den Dämonen
feines beschränkten Genres, aber nicht in der gewöhnlichen Weise, daß sich sein
Charakterisiren in abgeschmackte Fratzen und widerliche Sentimentalität auflöst,
sondern er endet respektabler, als ein hypochondrischer Humorist, in dessen Anlagen
etwas Herdes und Strenges gewesen sein muß, in der Art, daß der Idealismus
aus seinen Figuren und der Handlung zu sehr schwindet, und die gemeine Wirk¬
lichkeit des kleinen Lebens unschön abconterfeit wird. Dieses allmälige Dahin¬
sterben eines zwar beschränkten, aber gefunden Talentes ist charakteristisch für die
gegenwärtige Entwickelungsstufe unseres Volkes und seiner Lnstspielknnst.

Das erste und bedeutendste seiner Stücke ist der alte Bürgercapitän.
Als er unternahm, dies Charakterbild zu schreiben, war sein Bestreben dasselbe,
welches fast überall der Ausgangspunkt für die neuere Lvcalkomödie gewesen ist. Er
wollte Zustände der Wirklichkeit schildern, das beschränkte, behagliche, komische
Familienleben der kleinen Welt, welche ihn umgab, deren wunderliche Gestalten
ihn lebhaft anregten. Es waren nur Zustände, die er darstellte, Situationen und
drollige Charaktere auf Frankfurter Grund; die Handlung wurde deßhalb Neben¬
sache, sie lief so nebenbei, und hatte weder Einheit noch innere Nothwendigkeit. Der
alte ehrliche Gastwirth Kimmelmeier mit seinem Bürgerwehr-Selbstgefühl, seiner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/85633"/>
            <p xml:id="ID_160" prev="#ID_159"> Dialektstücke, Vertrautheit mit den localen Verhältnissen, den Eigenthümlichkeiten<lb/>
im Familien- und bürgerlichen Leben, auch in der Charakterzeichnung und den<lb/>
Situationen manches Unregelmäßige verursacht, auf der einen Seite in den<lb/>
Situationen zu große Breite, auf der andern Seite in den Charakteren porträt¬<lb/>
ähnliche Umrisse und viele Lücken, welche die Gewandtheit des Schauspielers aus¬<lb/>
zufüllen hat. Deßhalb also gibt die Lektüre dem Fremden eine sehr unvollständige<lb/>
Vorstellung von den Wirkungen solcher Stücke, und auch der sehr achtungswerthe<lb/>
Humor in den Stücken von Malß, wird den Lesenden oft nicht zum Lachen<lb/>
bringen. Er muß sich denselben erst in die deutsche Schriftsprache oder das Ge-<lb/>
bahren seines eigenen Dialekts übertragen. Was ihn etwa erwärmt, ist doch<lb/>
nnr reflectirtes Licht. Und die Position eines deutschen Localstückes in unserer<lb/>
Literatur ist deßhalb nicht weniger kritisch, als die Ueberhebung eines Gedichts<lb/>
aus einer fremden Sprache.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_161"> Trojzdem werden anch die Norddeutschen einzelne Stücke des Frankfurter<lb/>
Dichters aus der Lektüre liebgewinnen, und da Malß der bedeutendste unserer<lb/>
dramatischen Localdichtcr ist (zu denen ich hier Raimund nicht rechne) und sich<lb/>
ans seinen Lustspielen manches Merkwürdige und Lehrreiche erkennen läßt, so<lb/>
mögen hier einige Bemerkungen über sein Talent und sein Genre Raum finden.<lb/>
Viererlei ist zunächst an ihm interessant. Er arbeitet sorgfältig, und es ist viel<lb/>
kleiner, sauberer Zierrath an seinen Werken; seine Kenntniß nicht nnr des Frank¬<lb/>
furter, sondern mehrerer oberdeutscher Dialekte ist wunderbar genau, und ihre<lb/>
Handhabung im Dialog vortrefflich; ec ist ein gebildeter Mensch, dessen Lustspicl-<lb/>
weisheit nichts weniger als weichlich erscheint; anch er verfällt allmälig den Dämonen<lb/>
feines beschränkten Genres, aber nicht in der gewöhnlichen Weise, daß sich sein<lb/>
Charakterisiren in abgeschmackte Fratzen und widerliche Sentimentalität auflöst,<lb/>
sondern er endet respektabler, als ein hypochondrischer Humorist, in dessen Anlagen<lb/>
etwas Herdes und Strenges gewesen sein muß, in der Art, daß der Idealismus<lb/>
aus seinen Figuren und der Handlung zu sehr schwindet, und die gemeine Wirk¬<lb/>
lichkeit des kleinen Lebens unschön abconterfeit wird. Dieses allmälige Dahin¬<lb/>
sterben eines zwar beschränkten, aber gefunden Talentes ist charakteristisch für die<lb/>
gegenwärtige Entwickelungsstufe unseres Volkes und seiner Lnstspielknnst.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_162" next="#ID_163"> Das erste und bedeutendste seiner Stücke ist der alte Bürgercapitän.<lb/>
Als er unternahm, dies Charakterbild zu schreiben, war sein Bestreben dasselbe,<lb/>
welches fast überall der Ausgangspunkt für die neuere Lvcalkomödie gewesen ist. Er<lb/>
wollte Zustände der Wirklichkeit schildern, das beschränkte, behagliche, komische<lb/>
Familienleben der kleinen Welt, welche ihn umgab, deren wunderliche Gestalten<lb/>
ihn lebhaft anregten. Es waren nur Zustände, die er darstellte, Situationen und<lb/>
drollige Charaktere auf Frankfurter Grund; die Handlung wurde deßhalb Neben¬<lb/>
sache, sie lief so nebenbei, und hatte weder Einheit noch innere Nothwendigkeit. Der<lb/>
alte ehrliche Gastwirth Kimmelmeier mit seinem Bürgerwehr-Selbstgefühl, seiner</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0050] Dialektstücke, Vertrautheit mit den localen Verhältnissen, den Eigenthümlichkeiten im Familien- und bürgerlichen Leben, auch in der Charakterzeichnung und den Situationen manches Unregelmäßige verursacht, auf der einen Seite in den Situationen zu große Breite, auf der andern Seite in den Charakteren porträt¬ ähnliche Umrisse und viele Lücken, welche die Gewandtheit des Schauspielers aus¬ zufüllen hat. Deßhalb also gibt die Lektüre dem Fremden eine sehr unvollständige Vorstellung von den Wirkungen solcher Stücke, und auch der sehr achtungswerthe Humor in den Stücken von Malß, wird den Lesenden oft nicht zum Lachen bringen. Er muß sich denselben erst in die deutsche Schriftsprache oder das Ge- bahren seines eigenen Dialekts übertragen. Was ihn etwa erwärmt, ist doch nnr reflectirtes Licht. Und die Position eines deutschen Localstückes in unserer Literatur ist deßhalb nicht weniger kritisch, als die Ueberhebung eines Gedichts aus einer fremden Sprache. Trojzdem werden anch die Norddeutschen einzelne Stücke des Frankfurter Dichters aus der Lektüre liebgewinnen, und da Malß der bedeutendste unserer dramatischen Localdichtcr ist (zu denen ich hier Raimund nicht rechne) und sich ans seinen Lustspielen manches Merkwürdige und Lehrreiche erkennen läßt, so mögen hier einige Bemerkungen über sein Talent und sein Genre Raum finden. Viererlei ist zunächst an ihm interessant. Er arbeitet sorgfältig, und es ist viel kleiner, sauberer Zierrath an seinen Werken; seine Kenntniß nicht nnr des Frank¬ furter, sondern mehrerer oberdeutscher Dialekte ist wunderbar genau, und ihre Handhabung im Dialog vortrefflich; ec ist ein gebildeter Mensch, dessen Lustspicl- weisheit nichts weniger als weichlich erscheint; anch er verfällt allmälig den Dämonen feines beschränkten Genres, aber nicht in der gewöhnlichen Weise, daß sich sein Charakterisiren in abgeschmackte Fratzen und widerliche Sentimentalität auflöst, sondern er endet respektabler, als ein hypochondrischer Humorist, in dessen Anlagen etwas Herdes und Strenges gewesen sein muß, in der Art, daß der Idealismus aus seinen Figuren und der Handlung zu sehr schwindet, und die gemeine Wirk¬ lichkeit des kleinen Lebens unschön abconterfeit wird. Dieses allmälige Dahin¬ sterben eines zwar beschränkten, aber gefunden Talentes ist charakteristisch für die gegenwärtige Entwickelungsstufe unseres Volkes und seiner Lnstspielknnst. Das erste und bedeutendste seiner Stücke ist der alte Bürgercapitän. Als er unternahm, dies Charakterbild zu schreiben, war sein Bestreben dasselbe, welches fast überall der Ausgangspunkt für die neuere Lvcalkomödie gewesen ist. Er wollte Zustände der Wirklichkeit schildern, das beschränkte, behagliche, komische Familienleben der kleinen Welt, welche ihn umgab, deren wunderliche Gestalten ihn lebhaft anregten. Es waren nur Zustände, die er darstellte, Situationen und drollige Charaktere auf Frankfurter Grund; die Handlung wurde deßhalb Neben¬ sache, sie lief so nebenbei, und hatte weder Einheit noch innere Nothwendigkeit. Der alte ehrliche Gastwirth Kimmelmeier mit seinem Bürgerwehr-Selbstgefühl, seiner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/50
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/50>, abgerufen am 27.07.2024.