Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.schienen. Man darf Mendelssohn den Komponist der anständigen Leute nennen. Die Verhältnisse, unter welchen Schumann seinen Namen erringen mußte, 62*
schienen. Man darf Mendelssohn den Komponist der anständigen Leute nennen. Die Verhältnisse, unter welchen Schumann seinen Namen erringen mußte, 62*
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schienen. Man darf Mendelssohn den Komponist der anständigen Leute nennen.
Nie kommt Einer in die mißliche Lage, ihm etwas zu verzeihen, denn was er anch
thut, er thut es aus eine feine, gewissenhafte und uuanstvßige Weise. Schon von Ju-
gend auf wurde er in diese Bahn geleitet. Der alte ehrenfeste Zelter, der geniale
Louis Bergen und der gründliche Klein haben jeder ans seine Weise an dem Edel¬
steine geschliffen.
Die Verhältnisse, unter welchen Schumann seinen Namen erringen mußte,
siud freilich ganz andere. In der kleinen Stadt Zwickau in Sachsen geboren
(1810) und auch dort bis zur Universität erzogen, von einem Lehrer unterrichtet,
der zwar gewissenhaft und kunstverständig, aber durch den Aufenthalt in der kleinen
Stadt von allem hohem Kunstleben abgeschnitten war, wurde er wenigstens nicht
durch äußere Eindrücke nach einer festen Richtung Angetrieben. Er blieb sich selbst
überlassen und konnte sich nur durch sich selbst bilde». Kein Wunder, daß er sich
in romantische Schwärmereien stürzte, daß er als ächter Romantiker sich in seinen
ersten Werken zu Formlosigkeiten hinreißen ließ, welche ihn lange Zeit hindurch
als eiuen unklaren Kopf gelten machten. Deshalb gingen seine ersten Werke
spurlos vorüber. ES kam dazu, daß Mendelssohn gerade bei seinem ersten künst¬
lerischen Auftreten uach Leipzig berufen wurde. Dieser klare und verständige
Mann erwarb sich in kurzer Zeit einen Anhang, wie ihn kaum ein Künstler um
sich verewigt hatte. Mendelssohn's Ruf war damals schon durch das Oratorium
Paulus begründet. Die Ouvertüre zu den Hebriden, zum Sommernachtstraum,
zu Meeresstille und glückliche Fahrt führte er in Leipzig bald nach dem Antritt
seiner neuen Stellung auf. Schumann trat bei dein Eintritt dieser glanzvollen
Ereignisse in den Hintergrund. Nur eine kleine Anzahl Freunde, nach gleichem
Ziele strebend und in dem Genossen die künftige Große ahnend, schaarte sich ihm
treu zur Seite. Sie nannten sich selbst die Davidsbündler. Ihre Richtung
und ihre Thätigkeit läßt sich am genauesten erkennen aus den ersten Jahrgängen
der. Neuen Zeitschrift für Musik, welche der Verein als Buudesorgan be¬
nutzte. Erst nach vielen neugierigen Anfragen über den geheimnißvollen Bund
tritt endlich Schumann, der bis jetzt die Bundeöuamen Florestan und Eusebius
geführt, mit seinem wirklichen Namen hervor, und es geht daraus deutlich hervor,
wie er eigentlich die Person war, um welche sich die übrigen Glieder untergeordnet
bewegten. Er erscheint nun auch als genannter Redacteur der Neuen Zeitschrift
und sucht unter eignem Namen den reformatorischen Tendenzen des Vereins in
größeren Kreise Eingang zu verschaffe». Das Blatt eröffnete eine Polemik gege» das
in den Jahren 1830— 4(1 üppig w»cher»de Virtuosenunwesen und gegen die be¬
deutungslose und schlechte musikalische Presse. Damals beherrschte ein Organ
vorzugsweise die musikalische Meinung in Deutschland: die Allgemeine musi¬
kalische Zeitung von Breitkopf und Härtel. Der berühmte Rochlitz hatte
dieselbe 1799 begründet. Sie erschien anfangs als Vertreterin des Fortschritts,
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