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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band.

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Slaven Ungarns (und der größte Theil dieser ist in jenes Säbclreich gezwängt)
bleiben für die europäische (Zivilisation verloren, und die Völker Oestreichs
müssen bereit sein, ihre ConstitutiouSgelüste nicht nnr mit ihrem Blute, sondern
auch mit ihren Uhren, Ketten, Ringen und andern dergleichen Croatenwaaren zu
bezahlen. --

Doch gehen wir zu unserer Erzählung zurück.

Am -i. April 18-59, Abends gegen 9 Uhr, hatte das hinter Pesch ans einem
wellenförmigen Ausläufer des Tatragebirges gelegene Dörfchen M.....ein
ganz eigentümliches Aussehen. -- Das Dörfchen zählt auf 49--59 aus Lehm
gestampften, mit Stroh gedeckten, aber gut erhaltenen Häuschen, gegen fünf
hundert slavische Einwohner, welche bis zum März 1848 an mehrere gräfliche
und andere adelige Familien grundherrschaftlichc Dienste leistete". Solche slavische
Dörfer gibt es in dieser und andern magyarischen Gegenden viele, aber die Ein¬
wohner, zu dem ohnedies gut ungarisch gesinnten Stamme der Nordslaven ge¬
hörend, haben sich im Lause der Zeit so sehr mit dem Magyarismns identistcirt,
daß sich unsere Krvnlandfarikanten sehr täuschen würden, wollten sie bei diesen
Söhnen Slava's Hilfe für ihre Bestrebungen suchen, oder sie uur als AnsschlagS-
zahl in die Rubrik "Slaven" hineinoctroyiren. In den größern slavischen Gemein¬
den, wie Szarvas, Csaba u. a. jenseits der Theiß, widerstand zwar die Zahl*)
dem allgemeinen Gesetz der Mischung; aber diese Gemeinden sind darum nicht
minder gut ungarisch, und sie würden einem Agitator, der ihnen in den lockenden
Tönen der Libnssa von Losreißung und Krieg gegen ihre magyarischen Brüder
predigen wollte, mit dem echt magyarischen KrrnKos^) die Thüre weisen. Die klei¬
nern, in den magyarischen Gegenden zerstreut liegenden slavischen Dörfer sprechen
ihre "alte" Sprache nur noch im Familienkreise, und wenn sie vor einem Magyaren
Geheimnisse abzumachen haben; aber im öffentlichen Leben sind sie in Sprache,
Tracht und Haltung von den Einwohnern KecSkeMöt's, Szolnok's und Jäszbe-
rmiy's nnr schwer zu unterscheiden.

Auch M..... gehört zu diesen letztern, und die kleine Gemeinde hatte sogar
den Muth, im vergangenen Winter, als noch das blutige alter sxc> im Lande
waltete, eine Demonstration zu Gunsten des Magyarenthums zu machen, indem
sie ihren Ortsgeistlichen aufforderte, bei dem lieben Gott, der von ihnen bis jetzt
slavisch angesprochen wurde, in der rebellischen Magyarensprache zu petitioniren.
'-- Gebet und Predigt wurden magyarisirt. --

Am obgenannten Tage war das Dörfchen voller Bewegung. Die Kunde
von der Niederlage des Feindes war von dem nahe gelegenen N. Kala dahin




Elftere zählt es, letztere 40 tausend slavische Einwohner, und ist dies das größte Dorf
in der Geographie.
Knotenstock.

Slaven Ungarns (und der größte Theil dieser ist in jenes Säbclreich gezwängt)
bleiben für die europäische (Zivilisation verloren, und die Völker Oestreichs
müssen bereit sein, ihre ConstitutiouSgelüste nicht nnr mit ihrem Blute, sondern
auch mit ihren Uhren, Ketten, Ringen und andern dergleichen Croatenwaaren zu
bezahlen. —

Doch gehen wir zu unserer Erzählung zurück.

Am -i. April 18-59, Abends gegen 9 Uhr, hatte das hinter Pesch ans einem
wellenförmigen Ausläufer des Tatragebirges gelegene Dörfchen M.....ein
ganz eigentümliches Aussehen. — Das Dörfchen zählt auf 49—59 aus Lehm
gestampften, mit Stroh gedeckten, aber gut erhaltenen Häuschen, gegen fünf
hundert slavische Einwohner, welche bis zum März 1848 an mehrere gräfliche
und andere adelige Familien grundherrschaftlichc Dienste leistete». Solche slavische
Dörfer gibt es in dieser und andern magyarischen Gegenden viele, aber die Ein¬
wohner, zu dem ohnedies gut ungarisch gesinnten Stamme der Nordslaven ge¬
hörend, haben sich im Lause der Zeit so sehr mit dem Magyarismns identistcirt,
daß sich unsere Krvnlandfarikanten sehr täuschen würden, wollten sie bei diesen
Söhnen Slava's Hilfe für ihre Bestrebungen suchen, oder sie uur als AnsschlagS-
zahl in die Rubrik „Slaven" hineinoctroyiren. In den größern slavischen Gemein¬
den, wie Szarvas, Csaba u. a. jenseits der Theiß, widerstand zwar die Zahl*)
dem allgemeinen Gesetz der Mischung; aber diese Gemeinden sind darum nicht
minder gut ungarisch, und sie würden einem Agitator, der ihnen in den lockenden
Tönen der Libnssa von Losreißung und Krieg gegen ihre magyarischen Brüder
predigen wollte, mit dem echt magyarischen KrrnKos^) die Thüre weisen. Die klei¬
nern, in den magyarischen Gegenden zerstreut liegenden slavischen Dörfer sprechen
ihre „alte" Sprache nur noch im Familienkreise, und wenn sie vor einem Magyaren
Geheimnisse abzumachen haben; aber im öffentlichen Leben sind sie in Sprache,
Tracht und Haltung von den Einwohnern KecSkeMöt's, Szolnok's und Jäszbe-
rmiy's nnr schwer zu unterscheiden.

Auch M..... gehört zu diesen letztern, und die kleine Gemeinde hatte sogar
den Muth, im vergangenen Winter, als noch das blutige alter sxc> im Lande
waltete, eine Demonstration zu Gunsten des Magyarenthums zu machen, indem
sie ihren Ortsgeistlichen aufforderte, bei dem lieben Gott, der von ihnen bis jetzt
slavisch angesprochen wurde, in der rebellischen Magyarensprache zu petitioniren.
'— Gebet und Predigt wurden magyarisirt. —

Am obgenannten Tage war das Dörfchen voller Bewegung. Die Kunde
von der Niederlage des Feindes war von dem nahe gelegenen N. Kala dahin




Elftere zählt es, letztere 40 tausend slavische Einwohner, und ist dies das größte Dorf
in der Geographie.
Knotenstock.
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[0461] Slaven Ungarns (und der größte Theil dieser ist in jenes Säbclreich gezwängt) bleiben für die europäische (Zivilisation verloren, und die Völker Oestreichs müssen bereit sein, ihre ConstitutiouSgelüste nicht nnr mit ihrem Blute, sondern auch mit ihren Uhren, Ketten, Ringen und andern dergleichen Croatenwaaren zu bezahlen. — Doch gehen wir zu unserer Erzählung zurück. Am -i. April 18-59, Abends gegen 9 Uhr, hatte das hinter Pesch ans einem wellenförmigen Ausläufer des Tatragebirges gelegene Dörfchen M.....ein ganz eigentümliches Aussehen. — Das Dörfchen zählt auf 49—59 aus Lehm gestampften, mit Stroh gedeckten, aber gut erhaltenen Häuschen, gegen fünf hundert slavische Einwohner, welche bis zum März 1848 an mehrere gräfliche und andere adelige Familien grundherrschaftlichc Dienste leistete». Solche slavische Dörfer gibt es in dieser und andern magyarischen Gegenden viele, aber die Ein¬ wohner, zu dem ohnedies gut ungarisch gesinnten Stamme der Nordslaven ge¬ hörend, haben sich im Lause der Zeit so sehr mit dem Magyarismns identistcirt, daß sich unsere Krvnlandfarikanten sehr täuschen würden, wollten sie bei diesen Söhnen Slava's Hilfe für ihre Bestrebungen suchen, oder sie uur als AnsschlagS- zahl in die Rubrik „Slaven" hineinoctroyiren. In den größern slavischen Gemein¬ den, wie Szarvas, Csaba u. a. jenseits der Theiß, widerstand zwar die Zahl*) dem allgemeinen Gesetz der Mischung; aber diese Gemeinden sind darum nicht minder gut ungarisch, und sie würden einem Agitator, der ihnen in den lockenden Tönen der Libnssa von Losreißung und Krieg gegen ihre magyarischen Brüder predigen wollte, mit dem echt magyarischen KrrnKos^) die Thüre weisen. Die klei¬ nern, in den magyarischen Gegenden zerstreut liegenden slavischen Dörfer sprechen ihre „alte" Sprache nur noch im Familienkreise, und wenn sie vor einem Magyaren Geheimnisse abzumachen haben; aber im öffentlichen Leben sind sie in Sprache, Tracht und Haltung von den Einwohnern KecSkeMöt's, Szolnok's und Jäszbe- rmiy's nnr schwer zu unterscheiden. Auch M..... gehört zu diesen letztern, und die kleine Gemeinde hatte sogar den Muth, im vergangenen Winter, als noch das blutige alter sxc> im Lande waltete, eine Demonstration zu Gunsten des Magyarenthums zu machen, indem sie ihren Ortsgeistlichen aufforderte, bei dem lieben Gott, der von ihnen bis jetzt slavisch angesprochen wurde, in der rebellischen Magyarensprache zu petitioniren. '— Gebet und Predigt wurden magyarisirt. — Am obgenannten Tage war das Dörfchen voller Bewegung. Die Kunde von der Niederlage des Feindes war von dem nahe gelegenen N. Kala dahin Elftere zählt es, letztere 40 tausend slavische Einwohner, und ist dies das größte Dorf in der Geographie. Knotenstock.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_85583/461>, abgerufen am 01.09.2024.